Das Phänomen der Selbstüberschätzung nach der Gründung eines Start-Ups

In der heutigen Zeit wird man immer wieder mit neuen Produkten, neuen Innovationen sowie neuen Marken konfrontiert.

Wintersemester 2021/22: Kerstin-Ina Schütz und Christin Reichle

Ein Start-Up-Unternehmen beschreibt den Prozess der Gründung eines Unternehmens bis hin zur vollständigen Etablierung in der Wirtschaft, was als die schwierigste Phase im Rahmen des Werdegangs eines Unternehmens bezeichnet werden kann. Häufig liest man heutzutage von der Zeit der Start-Ups, wie man beispielsweise in Großbritannien sehen kann, da jährlich circa 200.000 neue Firmen entstehen. Während die einen die erste Phase nach der Gründung nicht überleben, wachsen die anderen zu großen Unternehmen heran und bieten für Eigentümer und Mitarbeiter eine wichtige Existenzgrundlage (Birley, 1996). Ein wichtiger Faktor für das Unternehmenswachstum ist dabei das Vertrauen der Eigentümer und Mitarbeiter in die eigenen und unternehmerischen Fähigkeiten. Die Selbstüberschätzung, die dabei jedoch entstehen kann, kann sowohl ausschlaggebend für den Erfolg eines Start-Ups sein als auch negative Auswirkungen haben. Im Rahmen dessen, stellt sich die Frage: „Welche Gründe beziehungsweise Faktoren können dazu führen, dass die Selbstüberschätzung das Scheitern eines Start-Ups begünstigen?“

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Quelle: Verfügbar unter URL https://karrierebibel.de/selbstueberschaetzung/ [abgerufen am 30.11.2021]

Daniel Kahneman und Amos Tversky beschäftigten sich schon Ende des 20. Jahrhunderts mit den Folgen des sogenannten Overconfidence Bias. Dieser besagt, dass Menschen dazu neigen ihre Fähigkeiten und Leistungen zu überschätzen. Dabei wird zwischen der Überschätzung der eigenen Fähigkeiten, Leistungen und Erfolgschancen („overrestimation"), der individuelle Überschätzung im Vergleich zu anderen („overconfidence") sowie der übermäßigen Gewissheit der Richtigkeit des eigenen Wissens („overprecision") unterschieden (Moore & Healy, 2008).

Dieser Overconfidence-Effekt beschreibt, dass wir Menschen uns überschätzen, indem wir der Meinung sind, dass wir viel mehr wissen und können, als es der Fall ist und der Betroffene sich für moralischer und schlichtweg besser hält als den „durchschnittlichen" Menschen (Mai & Rettig, 2011). Diese Selbstüberschätzung soll bei Unternehmern sogar verstärkt ausgeprägt sein (Szerb & Vörös, 2021). Der Fokus wird aufgrund dieser Einstellung verstärkt auf die eigene Meinung gelegt und kritische Meinungen anderer werden ignoriert. Eine Folge, die diese Ignoranz mit sich bringt, ist die mangelnde Kritikfähigkeit und das Eingestehen eigener Fehler, was für die Gründung und Verbesserung des eigenen Unternehmens als essenziell eingestuft wird (Wie Overconfidence Startups zum Fall bringt, 2015). Dieses Phänomen der Selbstüberschätzung trifft demnach auf nahezu alle Unternehmer zu, wobei gerade die Jungunternehmer und Gründer der Start-Ups noch häufiger der Meinung sind, für die kommenden Aufgaben qualifiziert genug zu sein und ein höheres Vertrauen in ihre unternehmerischen Fähigkeiten zu haben als erfahrene Unternehmer (Szerb & Vörös, 2021).

Aspekte wie das unternehmerische Denken der Firmengründer, das tendenziell hohe Maß an Selbstvertrauen und der Über-Optimismus sind der perfekte Nährboden für die Selbstüberschätzung (Wie Overconfidence Startups zum Fall bringt, 2015). Ebenso kann beobachtet werden, je komplexer und anspruchsvoller die Aufgaben sind, desto größer kann die Overconfidence ausgeprägt sein. Auch die Umgebung, in der man arbeitet, kann ein Faktor sein, der dies begünstigt. Wenn man sein eigenes Büro hat und automatisch weniger Input oder Feedback von anderen bekommt und es somit auch keinen Vergleich zu anderen gibt, geht man davon aus, alles genau richtig zu machen. Spannend ist auch, dass Männer tatsächlich weitaus anfälliger gegenüber dem Overconfidence-Bias sind als Frauen, was durch empirische Studien belegt wurde (Spreer, 2018).

Des Weiteren wird laut Verhaltensökonom Peter Schwardmann aufgrund der Digitalisierung und Globalisierung die Führung von Unternehmen immer herausfordernder. Führungskräfte müssen im richtigen Moment Impulse setzen und unter wechselnden Bedingungen Strategien und Ziele erarbeiten. Dies wird immer anspruchsvoller und Schwardmann erwähnt in diesem Zusammenhang auch die Selbstüberschätzung, die viele Führungskräfte oftmals nicht unter Kontrolle haben und sich deshalb verkalkulieren. Wenn der Erfolg von Produkteinführungen am Markt oder auch die generelle Führungsarbeit überschätzt wird, kann dies sehr schädlich für das Unternehmen sein (Hass, 2019).

Diese kognitive Verzerrung hat auch schon viele Gründungsversuche missglücken lassen und dementsprechend wird der Begriff der „Overconfidence“ in den USA häufig mit der Start-Up-Szene in Verbindung gebracht. Wird die Selbstüberschätzung innerhalb der Start-Up-Unternehmen beispielsweise reduziert, können diese Misserfolge schneller erkennen und durch kritische sowie realistische Vorgehensweisen besser agieren (Wie Overconfidence Startups zum Fall bringt, 2015).

Auch wenn Overconfidence in den meisten Fällen nicht von Vorteil ist, da Verbesserungsvorschläge tendenziell abgelehnt werden und folglich die Entwicklung des Unternehmens ausgebremst wird, gibt es auch einen offensichtlich positiven Aspekt. Wenn die Menschen ausnahmslos realistisch ihre Erfolgschancen einschätzen würden, dann würden die meisten erst gar nicht beginnen ihre Ideen umzusetzen und ein Start-Up gründen. Deshalb sollte man, wenn man eine Vision hat, dieser auch nachgehen und den Schritt wagen, dennoch immer mit dem Wissen im Hinterkopf: “the investor's chief problem—and even his worst enemy—is likely to be himself” (Zitat von Benjamin Graham) (Overconfidence – die Selbstüberschätzung, o.D).

Literaturverzeichnis:

Birley, S. (1996). Start-up. In Small business and entrepreneurship (pp. 20-39). Palgrave, London. 

Hass, B. (2019, 8. Januar). Unterschätzte Risiken durch Selbstüberschätzung bei Führungskräften. Medium. Unterschätzte Risiken durch Selbstüberschätzung bei Führungskräften | by Birgit Hass | creditshelf | Medium 

Mai, J. & Rettig, D. (2011, 10. Juli). OVERCONFIDENCE-EFFEKT: Warum wir uns so oft überschätzen. WirtschaftsWoche. Overconfidence-Effekt: Warum wir uns so oft überschätzen (wiwo.de) 

Moore, D. A., & Healy, P. J. (2008). The trouble with overconfidence. Psychological review, 115(2), 502.

Overconfidence – die Selbstüberschätzung. (o.D). AnlegerCampus. Abgerufen am 29. November 2021, von http://www.anlegercampus.net/geld-anlegen-ohne-wetten/1-fehler-erkennen-fehler-abstellen-ein-ueberblick/behavioral-finance-die-wichtigsten-psychologischen-fallen/ 

Spreer, P. (2018). PsyConversion. Springer Fachmedien Wiesbaden. 

Szerb, L., & Vörös, Z. (2021). The changing form of overconfidence and its effect on growth expectations at the early stages of startups. Small Business Economics, 57(1), 151-165.

Wie Overconfidence Startups zum Fall bringt. (2015, 26. Oktober). getLaunched. Wie Overconfidence Startups zum Fall bringt - getLaunched®

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