Call for Papers

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Die jüngere Forschung im Umfeld der Auseinandersetzungen über den gewaltförmigen Umgang mit Kindern und Jugendlichen in Fürsorgeerziehungseinrichtungen der Nachkriegsjahre stellt die Sorge um das „erziehungsschwierige“ Kind als ein transdisziplinäres Projekt der Moderne heraus, in welchem differente Wissensordnungen wie die Psychiatrie und die Pädiatrie, die Pädagogik und die Psychologie, die Kriminologie und Jurisdiktion sowie die Sexual- und Bevölkerungswissenschaften das diskursiv auszuhandeln begannen, was am Kind als gesund oder krank, normal oder abweichend anzusehen sei. Vor einem medikalen Hintergrund und in wechselnder Leaderschaft prägten diese Wissenschaftszweige die Debatten über Kinderschutz und Kindergesundheit und fanden in Schulen, Heimen, Kliniken, Kinderbeobachtungsstellen oder Einrichtungen der Säuglings- und Kinderfürsorge ihre räumliche Gestalt und institutionalisierte Wirkung. Ihr regulatorisches Interesse richtete sich auf den Körper, den Geist und die Ausdrucksformen von Kindern (und Jugendlichen) in Entwicklungs- und/oder Erziehungsschwierigkeiten. Als besonders einflussreich haben sich dabei die medizinischen Fächer Pädiatrie und Psychiatrie sowie hybride Teilfächer wie die Heil- oder Sonderpädagogik erwiesen.

Dieser diskursive Prozess vollzog sich vor dem Hintergrund einer seit der Aufklärung zu beobachtenden Politisierung und Ökonomisierung des privaten Feldes Gesundheit, in deren Folge die physische und mentale Gesundheit von Kindern zur Ressource – zum organischen Kapital des Staates (M. A. Wolf) – wurde. Medizinische Vorsorge- und Kontrollprogramme im Bereich der Kinderge- sundheit begannen in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts dann allmählich jene zu identifizieren und  auszugrenzen,  die  als  „gefährdet  und  gefährlich“  erachtet  wurden  und  derart  einer  bevölkerungspolitischen Regulierung, einer medizinischen oder psychiatrischen Intervention, respektive einer erzieherischen Sonderbehandlung oder Sonderbeschulung bedürftig erschienen.

Wie die eingangs angesprochenen Forschungen verdeutlichen, sind die Gewalterfahrungen von Kindern in Heimen und Fürsorgeeinrichtungen nicht allein den diesen Institutionen inhärenten Machtstrukturen geschuldet, sondern gleichermaßen in den Kontext einer diskursiv erzeugten, medikalen und pädagogischen Sorge um das Kind (und die Gesellschaft) zu stellen. Die verschiedenen Diskurskonstellationen und Interventionsfelder der auf die Kindergesundheit gerichteten Politiken sollen deshalb im Mittelpunkt der Tagung stehen: es geht um Institutionen, Konzepte, Programme und Wirkungsbereiche, Orte und Akteur_innen. Das Hauptaugenmerk gilt der Rolle der Medizin und deren Disziplinen, ihren Anwendungsgebieten und Praktiken im Prozess der Medikalisierung der Kindheit. Der zeitliche Fokus liegt auf dem späten 19. und auf dem 20. Jahrhundert.

Die Tagungsorganisation ist an vielfältigen thematischen Aspekten und methodischen Herangehensweisen an das Thema Kindergesundheit interessiert. Beiträge, die intersektionelle und empirische bzw. empirisch-vergleichende Zugänge wählen, sind besonders erwünscht. Tagungssprachen sind Deutsch und Englisch. Bitte senden Sie Ihre Beitragsvorschläge in Form eines Abstracts im Umfang von einer Textseite bis 15. Jänner 2017 per Email an:

Ao. Univ.-Prof. Dr. Elisabeth Dietrich-Daum

Email: Elisabeth.Dietrich@uibk.ac.at

und in cc an

Univ.-Prof. Dr. Michaela Ralser

Email: Michaela.Ralser@uibk.ac.at

 

Einreichungsvorgang: Deadline für die Einreichung des Papers (Abstract) ist der 15. Jänner 2017. Die Antwort, ob Ihr Paper angenommen wurde, erreicht sie spätestens mit 15. März 2017. Das Tagungsprogramm steht Ihnen mit April 2017 zur Verfügung.

Publikation: Ausgewählte Beiträge werden in Form eines Themenbandes der Zeitschrift Virus. Beiträge zur Sozialgeschichte der Medizin (peer reviewed) 2018 veröffentlicht.

Tagungsgebühr: Die Tagungsgebühr beträgt 70 Euro und deckt anfallende organisatorische Kosten sowie Kosten für Bewirtung an einzelnen Konferenztagen ab.

Selbstverständlich sind auch Kolleg/innen, die keinen eigenen Vortrag halten möchten, zur Teilnahme herzlich eingeladen.

 

Für den Verein für Sozialgeschichte der Medizin

Elisabeth Lobenwein, Präsidentin

Für die Tagungsleitung und -organisation

Michaela Ralser und Elisabeth Dietrich-Daum

 

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