DER STANDARD, 22. Dezember 1999


Abschied von Robert Bresson, dem Meister der Stille und der Unbeweglichkeiten

Kino, gemacht wie eine Arbeit der Hände


Erst jetzt wurde es bekannt gegeben: Schon am 18. Dezember ist Robert Bresson, einer der vielleicht einflussreichsten Filmemacher und Künstler dieses Jahrhunderts, im Alter von 98 Jahren in seinem Landhaus westlich von Paris gestorben. Ein Nachruf von Claus Philipp.

Paris - "Erschaffen bedeutet nicht, Personen und Dinge zu verformen oder zu erfinden. Es bedeutet, zwischen Personen und Dingen, die existieren und so, wie sie existieren, neue Beziehungen knüpfen." "In deinem Film fühle man die Seele und das Herz, aber er sei gemacht wie eine Arbeit der Hände." "Die Wirklichkeit ist nicht dramatisch. Das Drama wird aus einem gewissen Ablauf nicht dramatischer Elemente entstehen." "Erbaue deinen Film auf Weißem, auf der Stille und auf Unbeweglichkeiten."

Auszüge aus den Noten zum Kinematographen, die Robert Bresson zwischen 1950 und 1968 wie hart erkämpfte, unwiderlegbare Erfahrungswerte zusammentrug:

Er drehte in dieser Zeit sechs von insgesamt 14 Filmen seines einzigartigen Werks. Jeder von ihnen - "Drehen bedeutet,Vorbereitungen zu treffen" - ist wie eine Vorbereitung zu einem "Kino, das endlich aus einer falschen Spur herauskommt". Jeder von ihnen hat, in jeweils sehr unterschiedlichen Genres, aber mit einer "laienhaften" Härte und Schlichtheit des Ausdrucks und in überwältigend kunstvoller Rhythmik, eine Strahlkraft, die in der Geschichte des Kinos unverwechselbar ist - auch wenn wiederholt Filme-macher in aller Welt Bresson als Vorbild herbeizitieren.

Das Tagebuch eines Landpfarrers (1951), in dem nach einer Vorlage von Georges Bernanos eine "Phänomenologie des Heils und der Gnade" (André Bazin) gelingt; Ein zumTode Verurteilter ist entflohen (1956) und Pickpocket (1959), beide oft imitiert in ihren eleganten Abfolgen kunstvoller und verweigerter Bewegungen: Siehe etwa die berühmte Schlussszene zweier Hände zwischen Gitterstäben, die Paul Schrader später in Arbeiten wie American Gigolo oder Light Sleeper variierte.

Schließlich Jeanne d'Arc (1962), Au hasard Balthazar (1966) und die zweite Ber- nanos-Adaption Mouchette (1967): unverwandte Blicke auf eine profane Welt, in der "die Geschöpfe eingesperrt sind in eine Schöpfung, aus der es keinen anderen Ausweg gibt als den Tod" (A. J. Seiler). Aber gerade der Verzicht auf Psychologie und Analyse schafft metaphysische Erhabenheit. Immer wieder werden im Umfeld Bressons Einflüsse wie Dostojewski oder - unübersehbar später auch in Lancelot du Lac (1974) - mittelalterliche Fresken genannt.

Robert Bresson, der, 1907 in Bromont-Lamothe geboren, Philosophie und Kunstgeschichte studierte, um dann erste Versuche als Drehbuchautor zu unternehmen - er hat "gut gemachte" Momente immer in dem Sinne vermieden, als man das "Gemacht-Sein" nie sehen sollte: Erst recht nicht bei den beiden extremsten Faktoren seiner von menschlicher Eigeninitiative unabhängigen und zugleich bereicherten Welt: "Der Tod kann einen bewegen, wenn man ihn nicht zeigt. Das gleiche gilt für die Liebe." Das Wesentliche ist, so könnte man mit Saint-Exupery folgern, für die Augen unsichtbar.

Besonders brutal auf sichtbare Handreichungen beschränkt (und gleichzeitig von dem erzählend, das über sie hinausgeht) war also Bressons letzter Film Das Geld (1983): Frei nach einer Tolstoi-Novelle ergibt da eine höchst abstrakt gefilmte Verkettung von Tauschhändeln und Gewalttaten letztlich eine zutiefst verstörende Heilserwartung: "Es wird Ihnen vergeben werden", sagt sehr unvermutet eine Frau zu einem Mörder.

Was im Kino des Robert Bresson vielleicht am meisten erstaunte: Man verließ seine Kunstwerke nie wie Lektionen. Dazu waren sie in ihrer Anmutung zu bescheiden. Und sie machten einen auch nicht staunen: Dazu gingen sie in all ihrer Distanz zu nahe. Bresson bevorzugte eine sanft und zärtlich vorgetragene Unnahbarkeit.

Als ihn Paul Schrader in einem Interview fragte: "Was wird mit Ihnen geschehen, wenn Sie sterben?" - da lachte er: "Wissen Sie, ich kann nicht aufhören, daran zu glauben, dass man immer etwas fühlen wird. Man fühlt die Einsamkeit, man fühlt das Dunkel des Sarges, man fühlt die Kälte. An die Wiederauferstehung zu glauben ist höchst schwierig. Die Wiederauferstehung des Körpers: Was ist das? Ich weiß es nicht . . ."


© DER STANDARD, 22. Dezember 1999, Alle Rechte vorbehalten

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