Kirche

Glauben Sie, dass es die Kirche schaffen wird - besonders die Katholische Kirche - die „Kurve zu kratzen“, bevor es zum Aufprall kommt? Immer mehr Menschen wenden sich ab, weil die Kirche offen gegen Homosexualität ist, Frauen nicht gleichberechtigt behandelt und gegen die Abtreibung ist - was ja ein Zugeständnis für die Frau ist, ein Zeichen der Emanzipation!

ANTWORT
von Ass.-Prof. Mag. Dr. Anna Findl-Ludescher und assoz. Prof. Mag. Dr. Nikolaus Wandinger
Katholisch-Theologische Fakultät

„… ob die Kirche die Kurve kratzt…“, das fragen wir uns auch manchmal. Derzeit stecken wir jedenfalls mitten in einem radikalen Veränderungs­prozess: Die Zeit der politischen Macht der Kirche ist vorbei. Auch der öffentliche Einfluss in Sachen Moral, Ethik und Erziehung wird immer weniger. Das sind bzw. waren die vertrauten Macht-Säulen der Kirche. Wenn das alles wegbricht (und das tut es, jedenfalls bei uns in Westeuropa) – was bleibt dann?? Ein relativ kleiner, gesellschaftlich nicht bedeutsamer Zusammen­schluss von Christ*innen, die Freude an der Bibel, am Evangelium haben, davon erzählen und Gottesdienste feiern?

In der Beurteilung der Homo­sexualität jedenfalls scheint die Kirche hoffnungslos veraltet – gerade für junge Leute. Die gesellschaftliche Einstellung dazu hat sich in den vergangenen Jahrzehnten gewandelt. So waren homosexuelle Handlungen noch bis 1971 strafbar in Österreich, heute gibt es die Ehe für alle. Die Kirche kann damit nicht schritt­halten. Was müsste sich in der Kirche ändern, damit sie Homo­sexualität auch anders bewerten könnte? Wir denken, es müssten vor allem zwei Dinge zusammenkommen: Die Verantwortlichen müssten verstehen, dass Bibelstellen, die scheinbar gegen Homosexualität gerichtet sind, nicht einfach aus ihrem damaligen Kontext gelöst werden können. Diese Stellen zielten vorwiegend auf Prostitution und Ausbeutung und nicht auf echte partnerschaftliche Beziehungen. Und die Bewertung der Sexualität insgesamt müsste dazu kommen, sie als gottgewolltes Ausdrucksmittel partnerschaftlich-erotischer Liebe zu schätzen und sie nicht zu verzwecken oder gar als Machtmittel zu missbrauchen. Uns scheint, in diesem Bereich hat die Kirche – wie die Unzahl der Fälle von sexuellem Missbrauch und dessen Vertuschung zeigen – die Kurve nicht gekratzt, sondern ist mit Vollgas gegen die Wand gefahren. Aber: Für gläubige Christ*innen gibt es sogar dann noch Hoffnung, wenn alles verloren scheint. Vielleicht gibt es auch eine „Auferstehung“ aus dieser Katastrophe.

In den letzten Jahrzehnten bröckelt eine besonders kirchentreue Gruppe weg: die Frauen. Für viele moderne jüngere Frauen ist Kirche schräg und altmodisch: ein Verein, in dem die traditionellen Geschlechterrollen hochgehalten werden, wo Frauen ausgeschlossen sind von Macht und Weihe. Ältere Frauen sind zum Teil zuversichtlich, weil sie den Fortschritt der letzten 50 Jahre sehen und die Hoffnung haben, dass sich noch mehr tut. Die meisten jungen Menschen sehen nur die Ungleichheit und Ungerechtigkeit zwischen den Geschlechtern. Theologen und Theologinnen diskutieren über die Stellung der Frau in der Kirche seit einiger Zeit, und es gibt durchaus überzeugende Argumente für das Priestertum der Frau. Die Erkenntnisse von Theolog*innen stimmen aber nicht immer überein mit den Überzeugungen der Kirchenleitung, die möglichst weltweit einheitliche Regelungen anstrebt. Manche vergleichen die Kirche mit einem Hochseetanker, der nur sehr zeitverzögert auf Kurskorrekturen reagiert. Wir hoffen, dass es in dieser Frage doch noch gelingt, die Kurve zu kratzen.

Zur Frage der Abtreibung: Menschen, die ihre Einstellung zum Leben (auch) aus dem Evangelium gewinnen, kommen manchmal zu Überzeugungen, die gegen den gesellschaftlichen Mainstream sind. Bei der Frage der Abtreibung geht es um die Freiheit der Frau, aber auch um die Perspektive des nicht geborenen Lebens. Es ist Kern des christlichen Glaubens, dass das Leben von Menschen gefördert und unterstützt wird, besonders von Menschen, die selber keine bzw. wenig Kraft und Möglichkeiten haben: Arme, ausgeschlossene Menschen, Opfer von Kriegen und Unrecht, Menschen, die sich nicht wehren können. Ungeborene gehören dazu. Die Selbstbestimmung der Frauen und die Rechte der Ungeborenen können in Konflikt kommen. Es geht der Kirche nicht darum, Frauen zu verurteilen. Es geht ihr darum, diesen ethischen Konflikt bewusst zu machen und eine Option für das Leben zu vertreten.

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