Rund um den Sillpark

Auf den Spuren von Arbeit und Migration rund um den Sillpark

SchülerInnen der UNESCO NMS Gabelsberger waren gemeinsam mit KooperationspartnerInnen des Projekt auf den "Spuren der Migration" rund um den Sillpark

Gemeinsam mit der Stadt Innsbruck bietet das Zentrum für MigrantInnen in Tirol Stadtspaziergänge „Auf den Spuren der Migration“ an: Auf Rundgängen durch Innsbrucks Stadtteile wird die Geschichte der Arbeitsmigration zwischen 1960 und 1990 lebendig.

Wo heute der Sillpark steht, befand sich bis 1983 die Textilfabrik „Herrburger und Rhomberg“, bei der zahlreiche ArbeitsmigrantInnen beschäftigt waren. Der Rundgang nimmt die Arbeitsbedingungen der sogenannten „Gastarbeiter“ unter die Lupe und gibt spannende, historische Einblicke in die Situation der ArbeitsmigrantInnen.

 

Die Arbeitsmigration seit den 60iger Jahren – Teil unserer Geschichte

In den 1960er Jahren gab es in Österreich einen massiven Wirtschaftsaufschwung, der vor allem die Textil-, Metall-, und Baubranche betraf. Um die offenen Arbeitsstellen besetzen zu können, schlossen die Gewerkschaft und die Wirtschaftskammer 1961 eine Vereinbarung, das sogenannte Raab-Olah-Abkommen. Damit wurde der Zugang von ausländischen Arbeiter-Innen auf dem österreichischen Arbeitsmarkt erleichtert. Darüber hinaus gab es eigene Anwerbeverträge und –stellen mit und in der Türkei, dem damaligen Jugoslawien und Spanien. Nach dem Start der Anwerbung lief aber vieles informell, ArbeiterInnen nahmen auf Wunsch der Firmen Bekannte aus ihrem Heimatort mit, die hier auch ohne größere Probleme Arbeit finden konnten.

 

Die Textilfabrik Herrbuger & Rhomberg

So auch in der Vorarlberger Textilfabrik Herrburger & Rhomberg (H&R) mit Standorten in Innsbruck, Absam und Matrei. Die Textilindustrie war in den 1970er Jahren in Tirol ein bedeutender Arbeitgeber. In 34 Textilwerken arbeiteten circa 5000 Personen. Bedeutende Firmen waren neben H&R auch Jenny und Schindler in Telfs, Baur-Foradori, Pischl-Weyrer oder die Reuttener Textilwerke. 1835 erwarb die Firma H&R die Sillgründe in Innsbruck für ein neues Werk. Durch den Anschluss an die Sill war das Grundstück ideal gelegen, da man für den Antrieb der Webstühle Wasserkraft benötigte.  Die Turbine ist noch immer hinter dem heutigen Sillpark zu sehen. Gleichzeitig befand sich die neu errichtete Fabrik als eindrucksvoller Endpunkt der Museumsstraße in prominenter Lage.

Ende der 1970er Jahre begann die gesamte Textilindustrie aufgrund einer veränderten Welthandelssituation zu straucheln. Ab 1980 zog die Produktion vom Sillpark weg nach Telfs. Ab 1983 stand das Fabriksareal in Innsbruck leer, 1994 wurde Herrburger und Rhomberg komplett geschlossen. Hunderte Menschen verloren somit ihre Arbeit. Das Gelände wurde verkauft. Es entstand ein Interspar Einkaufszentrum und später der heutige „Sillpark“.

 

(„Gast“-)Arbeitsbedingungen

Arbeitskräfte aus dem Ausland waren für die Textilindustrie ab den 1960ern von großer Bedeutung. In den 1970er Jahren waren bereits mehr als die Hälfte der ArbeiterInnen bei H&R ausländische StaatsbürgerInnen.[1] Bezahlt wurde nach Kollektiv. Der Lohn in der Textilbranche war allerdings sehr gering.

Frau Frančič aus dem damaligen Jugoslawien hatte 15 Jahre lang bei H&R gearbeitet. Nach dessen Konkurs wechselte sie als Reinigungskraft ins Stadtmagistrat und verdiente dort plötzlich das Doppelte.

Daher waren Arbeitsplatzsicherheit und soziale Zusatzleistungen des Betriebs sehr wichtig, um die ArbeiterInnen halten zu können: Diese umfassten günstige Werkswohnungen, Mittagessen in der Kantine um 7 Schilling, Suppe um 1,50 Schilling und die Arbeitskleidung mit aufgesticktem H&R Emblem. Die Arbeit erfolgte in drei Schichten und die Maschinen blieben auch Samstag nicht stehen. Die Nachtschicht übernahmen ausschließlich Männer, Frauen durften in der Nacht nicht arbeiten.

ArbeitsmigrantInnen wurden fast ausschließlich als HilfsarbeiterInnen angestellt; der berufliche Aufstieg in der Firma blieb ihnen meist vorenthalten. Das österreichische Anwerbesystem sah vor, dass die sog. „Gastarbeiter“ nur eine Arbeitsbewilligung für ein Jahr erhielten. Danach sollten sie wieder in ihr Herkunftsland zurückkehren und durch neue ArbeiterInnen ersetzt werden. Dieses geplante „Rotationsprinzip“ scheiterte zwar fulminant, hatte aber weitreichende Auswirkungen auf die Rechtssicherheit der so angestellten ArbeiterInnen und ihre Familien.

 

Wohnen, Familie, Schule

Bei H&R wurden den ArbeiterInnen Unterkünfte zur Verfügung gestellt, es gab allerdings „bessere Häuser“ für Angestellte und Höhergestellte (in der Schmidtgasse) und einfachere Häuser für Arbeiter in der Gaswerkstraße (nördliche Straßenseite). Als erste Station der Unterbringung gab es jedoch sog. „Ledigenheime“. In der heutigen König-Laurin Allee befand sich ein Heim mit 52 Zimmern und 126 Betten, Gemeinschaftsküchen und sanitären Anlagen am Gang, einem Aufenthaltsraum und zwei Terrassen; im 1. Stock waren Frauen, im 2. Stock Männer untergebracht. Für junge Familien war diese Situation sehr schwierig. Es dauerte oft Jahre, bis sie Anspruch auf eine eigene, kleine Werkswohnung erhielten. Dies war die Voraussetzung dafür, dass sie ihre Kinder auch nach Österreich bringen konnten.

 

Ab Mitte der 70er Jahre nahm die Anzahl der ausländischen SchülerInnen zu, da die Familienzusammenführung einsetzte. Die Kinder aus der Gaswerkstraße gingen in die Leitgebschule, quasi gleich ums Eck. Dies stellte für SchülerInnen und LehrerInnen eine große Herausforderung dar. Die SchülerInnen waren oft Quereinsteiger und mussten zuerst in Deutsch unterrichtet werden. Die Angebote für diese Kinder umfassten deutschen Förderunterricht („Deutsch für Gastarbeiter“), muttersprachlichen Zusatzunterricht und Religionsunterricht. Die schweren Lebens- und Arbeitsbedingungen der Eltern belasteten auch das Leben der Kinder, da sie oft auch Aufgaben im Haushalt übernehmen mussten und von zuhause kaum Unterstützung beim Lernen erhielten. Auch die LehrerInnen waren allein gelassen. Es gab kaum didaktische Materialien und die ihnen zugedachten Ressourcen waren äußerst gering. Dies resultierte in einer hohen Zuweisungsrate von Kindern mit anderer Muttersprache als Deutsch an Sonderschulen, sowie einem erhöhten Anteil von Kindern, die die Schule ohne Pflichtschulabschluss verließen.

 

Rückblick

Viele der sog. „GastarbeiterInnen“ blieben in Österreich und trugen maßgeblich zum Wohlstand unseres Landes bei. Damals waren es Gastarbeiter, heute sind es HilfsarbeiterInnen bzw. SaisonarbeiterInnen, die mit einem zeitlich beschränkten Arbeitsvisum nach Österreich kommen. Auch heute sind Landwirtschaft, Tourismus und Pflege auf ihre Arbeit angewiesen.

Die Stadtspaziergänge laden dazu ein, sich an diese Zeit zu erinnern und Arbeitsmigration – damals wie heute – als Teil unserer gemeinsamen Lebensrealität und Geschichte wahrzunehmen.

Weitere Informationen und historische Quellen zur Geschichte der Arbeitsmigration in Tirol finden Sie im Dokumentationsarchiv Migration Tirol (www.dam.tirol und in der virtuellen Ausstellung „Hier zuhause. Migrationsgeschichten aus Tirol“ www.hier-zuhause.at .)

Die Stadtspaziergänge werden auf Anfrage für Schulklassen ab der 4. NMS/ Unterstufe sowie für Studierende durchgeführt. Informationen erhalten Sie beim ZeMiT: Tel.: 0512 577 170 – 22 und sonia.melo@zemit.at


[1] Rauter, Franz, Das Fremdarbeiterproblem in Innsbrucker Textil- und Bekleidungsbetrieben, Innsbruck 1972, S. 27.

 

Autorinnen: Christina Hollomey, Andrea Moser, Sónia Melo

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