Ehrensenator Hanns Martin Schleyer (1915-1977)

1970 verlieh die Universität Innsbruck die Würde eines Ehrensenators an Hanns Martin Schleyer. Schleyer ist insbesondere durch seine Tätigkeiten in der Nachkriegszeit als Vorstandsmitglied bei Daimler-Benz, Präsident der Bundesvereinigung Deutscher Arbeitgeberverbände und Präsident des Bundesverbandes der Deutschen Industrie sowie durch seine Entführung und Ermordung durch die Rote Armee Fraktion (RAF) 1977 im kollektiven Gedächtnis der bundesdeutschen, aber auch österreichischen Gesellschaft präsent. In den vergangenen Jahren setzte sich jedoch allmählich ein differenzierterer Blick auf Schleyers Vergangenheit durch, der auch dessen Involvierung in das NS-Regime beinhaltet – die allerdings bereits während der 1960er Jahre medial diskutiert worden war.

Schleyer war ab 1933 SS-Mitglied, ab 1937 Leiter des NS-Studentenwerkes der Universität Heidelberg, bevor er nach dem „Anschluss“ zum Aufbau des lokalen Studentenwerks auf Wunsch von Reichsstudentenführer Gustav Adolf Scheel nach Innsbruck gesandt wurde, wo er 1939 auch sein Studium der Rechtswissenschaften abschloss. Nach vorübergehendem Wehrmachtseinsatz übernahm Schleyer schließlich erneut den Aufbau eines NS-Studentenwerkes, diesmal an der Deutschen Karls-Universität im besetzten Prag. Seine spätere berufliche Orientierung, die bereits in seinen Tätigkeiten für das Innsbrucker Studentenwerk angelegt war (u.a. Organisation der Verwaltung, gesundheitliche und wirtschaftliche Erfassung der Studierenden, Leitung von Wirtschafts- und Sozialamt), begann sich in seiner Zeit im Protektorat Böhmen und Mähren noch eindeutiger zu manifestieren, als Schleyer 1943 für den Zentralverband der Industrie für Böhmen und Mähren tätig wurde. Nach knapp dreijähriger Kriegsgefangenschaft begann Schleyer seine Nachkriegskarriere schließlich 1949 bei der Industrie- und Handelskammer Baden-Baden.

Schleyers Tätigkeit für das Reichsstudentenwerk wurde in späteren Jahren mitunter als „studentische Sozialarbeit“ beschrieben. Die 1933 gleichgeschalteten Studentenwerke waren neben Beratungsdienst, Verwaltungsarbeit und Studienförderung einerseits für die wirtschaftliche Unterstützung sozial schwacher Studierender zuständig, andererseits aber auch für ihre „Auslese“ nach nationalsozialistischen diskriminierenden und rassistischen Kriterien. Als „erbkrank“ bezeichnete Menschen sollten demgemäß ebenso wenig Hochschulzugang erhalten, wie andere unerwünschte Personengruppen. Mit der Beauftragung Schleyers mit dem Aufbau des Studentenwerkes in Innsbruck ab 1. Mai 1938 war grundlegend die Erhebung der „gesundheitlichen und wirtschaftlichen Lage“ der Studierenden verbunden. Neben der Anordnung und Finanzierung beispielsweise von Erholungsaufenthalten zählte dazu aber auch die „negative Auslese“. Schleyers Funktionen umfassten dabei die Leitung des Wirtschafts- und Sozialamtes, der Bezirksstelle des Beratungsdienstes und damit die Durchführung von Studien- und Berufsberatung, die Amtswalterschaft in der Gaustudentenführung Tirol, zudem war er „Untersuchungsführer“ der Innsbrucker Studentenführung.

Beim Deutschen Freundeskreis der Universität Innsbruck (DFK), einer Vereinigung von hauptsächlich Industriellen mit dem Ziel der materiellen Unterstützung der Universität Innsbruck, bei der sich auch Schleyer engagierte, war eine solche tatsächliche Verbindung zur Innsbrucker Universität in der Studienzeit keineswegs selbstverständlich. Nur selten hatten Mitglieder der ersten Nachkriegsjahrzehnte  in ihrer Ausbildungszeit Lehrveranstaltungen an der Tiroler Hochschule besucht.

1970 wurde Schleyer „aus Anlaß der 300-Jahr-Feier des Bestehens der Universität Innsbruck zum Ehrensenator der Universität Innsbruck“ ernannt. Die Idee, die Ehrungen dieses Jahres im Rahmen der Jubiläumsfeierlichkeiten der Universität Innsbruck durchzuführen, kam von Seiten des DFK selbst. Der damalige Vorsitzende Hans Fillié, Berliner Jurist, der während seines Studiums in den 1920er Jahren auch an der Universität Innsbruck gehört hatte und dessen NS-Vergangenheit weitere Untersuchungen notwendig erscheinen lässt, hatte in dem Schreiben, das die Ehrungsvorschläge von Schleyer und Konsul Willi Mommert unterbreitete, diesen Wunsch in Zusammenhang mit einer Spende geäußert: „[…], ob es vielleicht möglich ist, diese Ehrungen anläßlich der Jubiläumsfeier mit durchzuführen, da der DFK dadurch auch in die Lage versetzt wäre, anläßlich der Jubiläumsfeier der Universität eine größere Spende zur Verfügung zu stellen.“ In welchem Ausmaß Schleyer an dieser Spendensumme beteiligt gewesen sein mag, konnte nicht eruiert werden, doch verdeutlicht diese Aussage den engen Zusammenhang der Verleihung von Ehrenwürden mit Spendengeldern – der jedoch keineswegs ungesetzlich, sondern universitätsrechtlich legitimiert war. Neben Ehrungen aufgrund wissenschaftlicher Verdienste war auch die Auszeichnung „in Würdigung der besonderen Verdienste um die Ausgestaltung der Universität und deren Institute“, also infolge materieller Unterstützung möglich.

Drei Jahre später wurde Schleyer Vorsitzender des DFK, hatte also erneut eine hohe Funktion in Zusammenhang mit der Universität Innsbruck inne, die er bis zu seiner Ermordung 1977 behielt. Schleyer wurde am 5. September 1977 von RAF-Terrorist*innen mit dem Ziel entführt, die Freilassung von elf in der BRD inhaftierten RAF-Mitgliedern in Form eines Geiselaustausches zu erwirken. Die Bundesregierung lehnte eine Freilassung ab. Als auch die Entführung der Lufthansa Passagiermaschine „Landshut“ in Mogadischu/Somalia durch die Befreiung der Geiseln letztlich gescheitert war und sich daraufhin drei der Inhaftierten das Leben nahmen, wurde Schleyer noch am selben Tag ermordet. Seine Leiche wurde am 19. Oktober 1977 im Kofferraum eines verlassenen Autos in Mülhausen/Frankreich gefunden.

Die allgemeine Wahrnehmung Schleyers als Opfer des RAF-Terrorismus machte es in der Folge fast unmöglich, seine Involvierung in den Nationalsozialismus kritisch zu beleuchten.

Quellen
  • Archiv der Universität Innsbruck, DFK Ehrungen 1954ff., Ehrungsakt Hanns Martin Schleyer
Literatur
  • Peter Goller, Innsbrucker „Studentenbewegung“ 1967-1974, in: in bewegung. Gaismair-Jahrbuch 2011, Innsbruck 2010, 13-24.
  • Lutz Hachmeister, Schleyer. Eine deutsche Geschichte, München 2004.
  • Alex J. Kay, Dr. Hanns Martin Schleyer: „Ich bin alter Nationalsozialist und SS-Führer“, in: Wolfgang Proske (Hg.), Täter Helfer Trittbrettfahrer, Band 6: NS-Belastete aus Südbaden, Gerstetten 2017, 301–311.
  • Gerhard Oberkofler/Peter Goller, Universität Innsbruck. Entnazifizierung und Rehabilitation von Nazikadern 1945-1950, Angerberg 2003.

 

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