Ehrensenator und Ehrenbürger Fritz Kiehn (1885-1980)

Die Ehrung des deutschen Fabrikanten Fritz Kiehn in den 1960er Jahren kann exemplarisch für den universitären Umgang mit Ehrenwürden, die nicht aufgrund wissenschaftlicher Verdienste verliehen wurden, in den ersten Nachkriegsjahrzehnten stehen. Zugleich kann an diesem Beispiel verdeutlicht werden, dass NS-Vergangenheiten rund 20 Jahre nach Kriegsende zumindest universitätsintern im Ehrungskontext keinerlei Bedenken hervorriefen. 1962 zum Ehrenbürger und 1966 zum Ehrensenator der Universität Innsbruck ernannt, waren diese Auszeichnungen Kiehns die Folge finanzieller Zuwendungen für die Universität – eine Praxis, die auch universitätsrechtlich legitimiert war.

Der ursprünglich aus Westfalen stammende Kiehn begann seine Karriere in den 1910er Jahren in Baden-Württemberg mit der Gründung der Efka-Werke, die zunächst auf Schreibwaren spezialisiert waren. Prägend für sein weiteres berufliches Leben war allerdings der Einstieg in die Zigarettenpapier- und -hülsenfabrikation nach Ende des Ersten Weltkrieges, die Efka, deren Produktionsgebiete ab den 1950er Jahren sukzessive erweitert wurden, auch aktuell betreibt – seit dem Jahr 2000 übernommen von der Imperial Tobacco Group.

Während der Zeit des Nationalsozialismus gelang es Kiehn, der ab 1930 NSDAP-, ab 1933 SS-Mitglied war, seine berufliche Position zu festigen und seine Firma auszubauen. 1931 in den Gemeinderat seiner Heimatgemeinde Trossingen gewählt, erhielt Kiehn im Folgejahr ein NSDAP-Reichstagsmandat, das er bis 1945 behielt. Er war bis 1937 stellvertretender Gauwirtschaftsberater und zudem Mitglied der Internationalen Handelskammer. Darüber hinaus gelang es Kiehn, weitere einflussreiche regionale Ämter zu erlangen, wie Präsidentschaften der Industrie- und Handelskammern in Stuttgart und Rottweil, des Wehrwirtschaftsrates des Gaues Württemberg-Hohenzollern, der Landesgruppe Württemberg des Reichsstandes der deutschen Industrie, des Württembergischen Industrie und Handelstages sowie der Wirtschaftskammer für Württemberg-Hohenzollern. Innerhalb der NSDAP selbst war er als Gründer der Trossinger Ortsgruppe 1930 zunächst deren Leiter, nach 1933 Kreisleiter. 1938 wurde er Mitglied im Freundeskreis Reichsführer SS, einer Industriellenvereinigung, was vermutlich neben seinen weiteren Kontakten zu einflussreichen Personen dazu beitrug, dass er trotz Spekulationsvorwürfen und Konflikten mit anderen Parteifunktionären sowie einer Verwarnung durch das Gaugericht 1939 aufgrund von Verstoß gegen die Parteidisziplin bedeutende finanzielle Gewinne während der NS-Zeit erzielen konnte. In zwei Fällen handelte es sich dabei um „Arisierungen“, also die Enteignung als jüdisch definierter und verfolgter Geschäftsinhaber*innen und den Verkauf der Firmen weit unter Wert und meist ohne Auszahlung an die Beraubten. 1938 gelangte Kiehn unter diesen Umständen in den Besitz der Berliner Zigarettenetuifabrik von Hugo Büttner und 1940 der Seidenpapierfabrik Fleischer in Eislingen/Fils, Baden-Württemberg. In beiden Fällen waren ursprünglich andere „Käufer“ vorgesehen gewesen, denen Kiehn jedoch zuvorkommen konnte.

Mit juristischen Folgen war Kiehn in der Nachkriegszeit konfrontiert, als er nach seiner Flucht 1945 in Innsbruck verhaftet und für knapp vier Jahre interniert wurde. Die während des Nationalsozialismus durch „Arisierungen“ um geringe Summen erworbenen Unternehmen wurden Kiehn abgesprochen, er konnte jedoch bereits 1950, aus der Entnazifizierung im Jahr davor als „minderbelastet“ hervorgegangen, mit Hilfe eines Kredits der Landesregierung Baden-Württembergs die Sanierung eines Rüstungsunternehmens betreiben und wurde 1953 erneut Trossinger Gemeinderatsmitglied.

Die Ehrentitel der Universität Innsbruck waren nicht die einzigen Ehrenwürden, die Kiehn zuteil wurden. Bereits 1935 wurde er zum Ehrenbürger von Trossingen ernannt – zwar war ihm diese Ehre 1945 für zehn Jahre aberkannt, jedoch 1955 erneut verliehen worden, bis der Aberkennungsbeschluss von 1945 im Jahr 2000 vom Gemeinderat bestätigt wurde. 1960 wurde er zum Ritter des Internationalen St. Hubertus-Jagdordens in Wien ernannt, im folgenden Jahr trat er dem Deutschen Freundeskreis der Universität Innsbruck (DFK) bei, einer Vereinigung vornehmlich Industrieller, die 1954 anknüpfend an ältere Traditionen mit dem Zweck der finanziellen Unterstützung der Universität Innsbruck gegründet worden war. Die erste Ehrung Kiehns durch die Universität Innsbruck erfolgte bereits 1962 mit der Ernennung zum Ehrenbürger auf Vorschlag des DFK, da er sich durch Spendenzahlungen „besondere Verdienste um die Ausstattung der Universität“ erworben habe. 1966 wurde Kiehn aufgrund weiterer großzügiger Spenden zum Ehrensenator ernannt.

Gemäß der üblichen Vorgehensweise mussten der Universität Innsbruck für die Durchführung der Titelvergabe verschiedene Auskünfte zur Verfügung gestellt werden. Im Fall Kiehns wurde eine entsprechende erste Nachfrage des Innsbrucker Rektorats beim DFK folgendermaßen beantwortet: „Der Deutsche Freundeskreis der Universität Innsbruck unterzieht neu aufzunehmende Mitglieder einer gewissenhaften Überprüfung, um das Eindringen unerwünschter Elemente zu verhindern. Andererseits kann sich die Universität auf unsere Angaben fest verlassen, wenn wir uns für eine Persönlichkeit unseres Kreises verbürgen.“ Als Referenzen wurden deutsche Politiker namhaft gemacht, die daraufhin vom Innsbrucker Rektorat kontaktiert wurden. Dabei wurde letztlich auf die im Entwurf ursprünglich vorgesehene explizite Frage nach Kiehns NS-Vergangenheit verzichtet. Zwei von vier Antwortschreiben enthielten dennoch Informationen über Kiehns NS-Engagement, wobei auch auf seine Rolle bei der „Gleichschaltung der Wirtschaft im Sinne des Nationalsozialismus“ hingewiesen wurde.

Interne Bedenken ergaben sich aus diesen Informationen an der Innsbrucker Universität nicht. Auch im Zuge der Verleihung der Ehrensenatorenschaft vier Jahre später führte ausschließlich die Frage nach der Abfolge von Spende und Titelverleihung zu Diskussionen: Kiehn hatte für den Fall der Ernennung zum Ehrensenator eine weitere finanzielle Zuwendung in Aussicht gestellt, die allerdings erst nach der Verleihung ausbezahlt werden sollte. Dieses Vorgehen wurde etwa von Robert Muth, Mitglied des Akademischen Senats, kritisiert: „Es geht meines Erachtens nicht an, daß wir vorweg eine Ehrung beschließen, um nachher dafür honoriert zu werden, sondern es muß wohl die in Aussicht gestellte Spende der Universität frei verfügbar sein, bevor eine solche Ehrung zustande kommt.“ Letztlich einigte man sich allerdings trotzdem auf die Hinterlegung der Summe auf einem Sperrkonto bis zur Genehmigung der Ehrung durch das Bundesministerium für Unterricht. Begründet wurde dies damit, dass eine derart hohe finanzielle Zuwendung ohne die Sicherheit der Genehmigung der Ehrung durch das Ministerium nicht verlangt werden könne. Sollten sich nach positiver Erledigung des Ehrungsantrages bei der Behebung der Spende Schwierigkeiten ergeben, so könne seitens der Universität immer noch vom Vollzug der Ehrung Abstand genommen werden. Zu derartigen Problemen kam es allerdings nicht, so dass Kiehn in einem akademischen Festakt am 9. Juli 1966 im Kaiser-Leopold-Saal der Alten Universität Innsbruck die Ehrensenatorenwürde empfangen konnte.

Erstaunlicherweise ging 1972 dem Rektorat der Universität Innsbruck ein Schreiben zu, das die NS-Vergangenheit Kiehns kritisch thematisierte. Der Verfasser erwähnte Kiehns Involvierung in NS-Strukturen und fügte sogar ein Foto bei, das Kiehn „als SS-Führer“ zeigte. Die Antwort des Rektorats fiel nicht nur knapp aus, sondern ‚bestätigte‘ die Annahme des Briefschreibers: „Bedauerlicherweise waren zur Zeit des Ehrungsantrages für Herrn Fritz Kiehn die von Ihnen angeführten Fakten der Universität Innsbruck nicht bekannt“ – was nicht den Tatsachen entsprach.

Quellen
Literatur
  • Hartmut Berghoff/Cornelia Rauh-Kühne, Fritz K. Ein deutsches Leben im 20. Jahrhundert, Stuttgart/München 2000.
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