Gruppenbild der Tagung
Tagungsausklang mit Referenten und Organisatoren.

Heißes Eisen Religion

Konferenz „Tell me Europe, how do you feel about religion?“ macht politische wie wissenschaftliche Konflikte um Religion(en) in Europa sichtbar.

Das Thema Religion ist für europäische Gesellschaften brisanter denn je. Nicht zuletzt Zuwanderung und sich verhärtende Identitäten machen die Auseinandersetzung mit den dadurch aufgeworfenen Fragen und Problemen zu einer Aufgabe, der sich auch die Wissenschaft stellen muss. Aus diesem Grund luden Michaela Neulinger (Institut für Systematische Theologie) und Marie-Luisa Frick (Institut für Philosophie) am 24. und 25. Mai 2018 zur Tagung „Tell me Europe, how do you feel about religion?“. Soziologische, philosophische, religionswissenschaftliche und theologische Perspektiven auf Europa und sein Verhältnis zum religiösen Plural sollten miteinander ins Gespräch gebracht werden. Ziel war es, gerade angesichts zugespitzter Konflikte um die Deutung und Verortung von Religion ein Forum freier Rede zu eröffnen und unterschiedliche Denkschulen zu hören sowie sie möglichst in ein Gespräch miteinander zu bringen.

Nach den Begrüßungsworten von Ulrike Tanzer, Vizerektorin für Forschung, widmete sich der erste Vormittag insbesondere den Konflikten um Migration, Islamfeindlichkeit und Exklusionsmechanismen gegenüber „dem Anderen“. Luca Mavelli (University of Kent) zeigte in seinem Eröffnungsvortrag, dass die aktuellen Diskurse zu Flucht und Migration in Europa neben islamfeindlichen Stoßrichtungen und einem oftmals zu beobachtenden säkularen Ethnozentrismus vor allem auch eine ökonomische Schlagseite aufweisen. Bezugnehmend auf Malthus und Foucault untersuchte Mavelli Prozesse der Exklusion der „Anderen“ in Europa, insbesondere von Muslimen und ökonomisch und sozial schwächer Gestellten.

Aufgrund kurzfristiger Absage von Raja Sakrani leiteten Marie-Luisa Frick und Michaela Neulinger mit zwei kurzen Impulsvorträgen eine breitere Diskussionseinheit zu Toleranz- und Exklusionsmythen in Europa ein, wie sie vor allem in den Auseinandersetzungen um den Ort von Muslimen in Europa sichtbar werden. Frick argumentierte dabei mit Blick auf den geplanten Vortrag Sakranis, der sich religiösen Minderheiten im Islamischen Spanien des Mittelalters gewidmet hätte, dass das klassische islamische Toleranzkonzept modernen, konkret menschenrechtlichen Maßstäben nicht genüge. Nicht-Monotheisten hätten darin keinen Platz. Auf das Vorbild Al-Andaluz zu verweisen sei daher zu wenig. Vielmehr täten Reformen der islamischen Tradition Not. Neulinger ging auf das Kollidieren von exklusivistischen Mythen in der Begegnung zwischen Europa und Islam ein. Auf europäischer Seite werde ein „Kampf gegen den Islam“ geführt, der als homogener Monolith vorgestellt wird, gegen den sich „das christliche Europa“, ebenso homogen imaginiert, wehren müsse. Dabei werde auch immer wieder auf historische Ereignisse verwiesen (Schlacht von Tours/Poitier; Wien 1683), die zu Abwehrmythen stilisiert werden. Zugleich seien aber auch auf islamischer Seite Mythen über das „per se“ islamophobe Europa zu finden, verbunden mit Elementen der Selbstviktimisierung und der Immunisierung gegenüber möglicherweise auch berechtigten Formen der Kritik an islamischen Denk- und Handlungstraditionen.

Die Religionssoziologinnen Mar Griera (Autonome Universität Barcelona) und Kristina Stöckl (Universität Innsbruck) gingen in ihren Beiträgen auf konkrete Formen religiöser Pluralität und interreligiöser Kooperation im Politischen ein. Griera untersuchte interreligiöse Architekturen am Beispiel der Mezquita-Catedral (Kathedralmoschee) in Cordoba und dem geplanten House of One in Berlin. Ihr Forschungsinteresse richtet sich einerseits auf Zukunftsvorstellungen multireligiöser Koexistenz und deren performative Rollen, andererseits auf interreligiös-historische Narrative und deren Wirkung im öffentlichen Diskurs. Dabei stellte sie die Frage, wie multireligiöse Bauten als pädagogische Instrumente des politischen Wandels dienen und zu neuen Identitätsformen beitragen können.

Der Ökumene konservativer religiöser Akteure in Russland, den USA und Europa widmete sich Kristina Stöckl. In postsäkularen Gesellschaften finden kulturelle Konflikte zunehmend auf einer transnationalen, interreligiösen Ebene statt, wie sie am Beispiel des sogenannten World Congress of Families zeigte. Mögliche Wege, moderne Kulturkämpfe zu verstehen und diesen entgegen zu treten sieht Stöckl in der Erforschung der gesellschaftlichen Voraussetzungen von Polarisierung, der Entwicklung einer postsäkular-politischen Soziologie der Religion, dem Anerkennen religiöser Akteure als politische und der Bereitschaft zu Open-End-Prozessen in der Auseinandersetzung mit mutmaßlich unlösbaren gesellschaftlichen Konflikten in Demokratien.

Einen Höhepunkt der zweitägigen Tagung bildete die öffentliche Panel-Diskussion am Abend des ersten Konferenztages. Moderiert von Marie-Luisa Frick und Michaela Neulinger diskutierten Mar Griera (Autonome Universität Barcelona), Roman Siebenrock, Anne Siegetsleitner (beide Universität Innsbruck) und Hans-Herbert Kögler (Universität North Florida). Kontrovers diskutiert wurden u.a. die vielleicht nur scheinbare Omnipräsenz religiöser Themen in den öffentlichen Debatten, die historischen Versprechungen des säkularen Staates und dessen befreiendes Potenzial, das Verhältnis von Aufklärung und Religion im demokratischen Staat und die positiven Beiträge von Religion für eine offene Gesellschaft.

Problematische Aspekte religiösen Glaubens beleuchtete der Religionshistoriker Hartmut Zinser (FU Berlin) am zweiten Konferenztag. Wie stehen Religionen zu Krieg? Dabei wurde rasch auch die grundlegende Schwierigkeit der definitorischen Eingrenzung der Begriffe „Religion“ und „Krieg“ offenbar. Zinser argumentierte, dass trotz der von Religionsgemeinschaften beschworenen Friedlichkeit historisch betrachtet in allen Glaubenssystemen Rechtfertigungen von kriegerischer Gewalt zu finden sind. Diese reichen von Krieg als Verteidigungsmaßnahme über Krieg als normaler Weltzustand bis hin zu Krieg als heilige und heilsbringende Aufgabe. Der kontrovers diskutierte Vortrag schloss mit der These, dass Religionen niemals an sich friedlich und diesbezüglich auf „externen Druck“ angewiesen seien.

Der finale Beitrag von Richard Amesbury (Clemson University) widmete sich gegenwärtigen politischen Dimensionen von Religion in Europe und den USA. Besonders die keineswegs eindeutige Rolle von religiösen Bezügen in populistischen Bewegungen stand im Zentrum seiner Analyse. Die politische Indienstnahme von Religion sieht er in den USA und Europa zwar in vielen Aspekten als vergleichbar an, das jeweils zugrundeliegende Narrativ unterscheide sich jedoch. Während sich in Europa die politische Rechte vor allem gegen die „andere Religion“ – den Islam – richte und dagegen eine „jüdisch-christliche Säkularität“ stelle, kämpfe dessen US-amerikanisches Pendant an zwei Fronten: einerseits gegen den Islam und andererseits gegen Säkularität.

Die Tagung offenbarte sowohl die höchst unterschiedlichen erkenntnistheoretischen Voraussetzungen in der Auseinandersetzung mit Religion wie auch Kontroversen um Macht und Autorität. Wer kann und soll religiöse Symbole als solche identifizieren und deuten? Wie können Religionen ihr positives Potenzial entfalten? Wie und durch wen können Reformen legitimerweise und erfolgreich angestoßen werden? Die Vorträge und Debatten der Tagung haben die Notwendigkeit eines vertieften, respektvollen Dialogs zwischen den Denktraditionen, aber auch zwischen Wissenschaft, Politik und Religionsgemeinschaften gezeigt. Ein kleiner Schritt auf diesem mühevollen Weg wurde mit dieser Veranstaltung jedenfalls getan.

 

Daniel Spitzenstätter / Michaela Neulinger / Marie-Luisa Frick, Mai 2018

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