Augustiner Chorherrenstift Neustift

1140 wurde Hartmann, damaliger Propst des Augustiner-Chorherrenstiftes Klosterneuburg bei Wien, zum Bischof von Brixen gewählt. Bereits zwei Jahre später gründete er unweit der Bischofsresidenz das Kloster Neustift, das unter Propst Konrad II. von Rodank (1178–1200) eine erste kulturelle Blüte erlebte. Schon bald war es aufgrund der außerordentlichen Pflege des Choralgesangs, der Schreibstube und der zahlreichen bedeutenden Künstler, die für das Stift arbeiteten, weitum bekannt.

Im 15. Jahrhundert wurde die Stiftsbibliothek erneuert. Zahlreiche Inkunabeln wurden angekauft, ältere Handschriften ausgeschieden und teilweise als Makulatur für die Bindung neuer Bücher verwendet.

Im 18. Jahrhundert wurde unter Propst Leopold de Zanna (1767–1787) der heutige zweigeschossige barocke Bibliothekssaal errichtet. Die hier aufgestellten Bände wurden mit dem Ziel, ein einheitliches Erscheinungsbild zu schaffen, teilweise neu gebunden oder zumindest mit einem neuen Rücken versehen. Auch zahlreiche Neustifter Handschriften weisen diesen charakteristischen Einbandtypus mit hellbraunem Rückenleder mit Golddruck, braun-schwarz gesprenkeltem Papier an den Deckeln und einem rot gefärbten Schnitt auf.

Im Zuge der Säkularisierung unter bayerischer Herrschaft wurde das Kloster 1807 aufgehoben. Zwei Jahre später wurde der Großteil der Bücher, darunter ca. 800 Inkunabeln und etliche Handschriften, nach Innsbruck gebracht, nur wenige dürften trotz Vorwahlrecht der Münchner Hofbibliothek nach München gekommen sein.

Die Neustifter Handschriften wurden der Handschriftensammlung der damaligen Universitätsbibliothek einverleibt und erhielten eine Numerus currens-Signatur. Nach Wiedererrichtung des Stiftes im Jahre 1816 wurde die Rückstellung der Bücher zwar bereits im folgenden Jahr versprochen, zur Durchführung kam es allerdings erst 1833. Dabei verzichtete Propst Leopold Erlacher auf bereits katalogisierte Bücher, die Inkunabelsammlung und die Handschriften.

100 Codices musste Innsbruck schließlich aufgrund des Friedensvertrages von St. Germain 1919 an den italienischen Staat übergeben. 85 davon befinden sich heute wieder im Chorherrenstift, daneben sieben weitere, die nie an die ULB Tirol überstellt worden waren. Die entsprechenden Signaturen in der Handschriftensammlung der ULB Tirol blieben frei. Heute zeigen Vertreter im Magazin an, wo ursprünglich Neustifter Handschriften standen.

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Gedruckte Kataloge mit weiterführender Literatur

Ursula Stampfer, Claudia Schretter-Picker, Die mittelalterlichen Handschriften in der Bibliothek des Augustiner Chorherrenstiftes Neustift. Unter Mitarbeit von Petra Ausserlechner, Giulia Gabrielli, Patrik Kennel, Gabriela Kompatscher Gufler, Walter Neuhauser, Anna Pinter, Susanne Rischpler, Maria Stieglecker, Lav Šubarić (Österreichische Akademie der Wissenschaften, phil.-hist. Klasse, Denkschriften 529 = Veröffentlichungen zum Schrift- und Buchwesen des Mittelalters IV,9). Wien 2021. [Open Access]

Walter Neuhauser et al., Katalog der Handschriften der Universitätsbibliothek Innsbruck (Denkschriften der phil.-hist. Klasse 192 u.ö. = Veröffentlichungen der Kommission für Schrift- und Buchwesen des Mittelalters, ab T. 8 Veröffentlichungen zum Schrift- und Buchwesen des Mittelalters II,4,1-10). Wien 1987‑2017. [Open Access: Bd. 4, 5, 6, 7, 8, 9, 10; Zugriff auf sämtliche Katalogisate als PDF über manuscripta.at]

Die Handschriften Neustifter Provenienz an der ULB Tirol waren Gegenstand des langjährigen, 2017 abgeschlossenen Projektes Erschließung der Handschriften der ULB Tirol (gefördert durch den FWF, Projektleitung: Walter Neuhauser). Ausführliche, auf den gedruckten Katalogen basierende Beschreibungen der Handschriften sind auch in der Datenbank manuscripta.at frei zugänglich.

Die mittelalterlichen Handschriften in der Stiftsbibliothek Neustift wurden in einem Kooperationsprojekt zwischen der Philosophisch-Theologischen Hochschule Brixen und der Universitäts- und Landesbibliothek Tirol in Innsbruck (gefördert durch die Autonome Provinz Bozen-Südtirol, Abteilung Bildungsförderung, Universität und Forschung, Laufzeit: 2011–2014, Projektleitung: Ursula Stampfer, Claudia Schretter-Picker [Kooperationspartner ULB Tirol]) erschlossen.

Ziel des Kooperationsprojektes war eine alle Gesichtspunkte moderner Handschriftenkatalogisierung berücksichtigende Erschließung der mittelalterlichen Handschriften des Augustiner Chorherrenstiftes Neustift und des Brixner Priesterseminars. In den Büchersammlungen spiegeln sich die vielfachen wechselseitigen Beziehungen der beiden Institutionen, bedingt durch ihre geographische Nähe und die verwobene Geschichte.

2021 erschien der gedruckte Katalog zu den Neustifter Handschriften (Förderung der Drucklegung durch den FWF; Open Access). Im Zuge der Katalogisierung gewonnene Forschungsergebnisse sind auch über das Webportal manuscripta.at zugänglich.

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