Die Bautätigkeit der Oesterreichisch-Ungarischen Bank und der Oesterreichischen Nationalbank im europäischen Kontext (1878–1938)
GEFÖRDERT DURCH DEN JUBILÄUMSFONDS DER OESTERREICHISCHEN NATIONALBANK – PROJEKT-NR. 18975

Baustil

Filiale Nagy-Kanizsa. József Hubert, 1902/1903 © Tobias Möllmer, 2025
Filiale Pozsony | Bratislava | Pressburg. József Hubert, 1901/1902 © Tobias Möllmer, 2025
Filiale Marburg | Maribor. Gustav Zorn, 1914/1915 © Tobias Möllmer, 2025

In der zweiten Hälfte des 19. und beginnenden 20. Jahrhundert war es in ganz Europa üblich, sich bei der Gestaltung von Fassaden und Innenräumen an historischen Vorbildern zu orientieren. Fortschrittliche Bewegungen wie Secession und Jugendstil sowie der Reformstil versuchten der Architektur zunehmend eine neue Richtung zu geben, doch blieb der Großteil der Entwürfe traditionsverbunden und nahm die jeweils herrschenden Moden nur verhalten auf. Vor allem den Bauten der öffentlichen Hand ­– des Staates und der Städte – versuchten die Baubeamten ein nicht allzu experimentelles, sondern solides, konservatives Erscheinungsbild zu geben. Bei der staatsnahen und wie eine Staatsbehörde organisierten Oesterreichisch-ungarischen Bank war dies nicht anders: Um Beständigkeit und Verlässlichkeit zu demonstrieren, wurden bewusst keine allzu modischen oder gar extravaganten Formen verwendet.

Überraschend ist vor allem der unterschiedliche Charakter und die Verschiedenheit der Stile, die den Filialneubauten gegeben wurden: Eine Corporate Identity ist höchstens in Transleithanien zu beobachten, während die Repräsentanzen der Notenbank in Cisleithanien in ihrer Vielseitigkeit den Vielvölkerstaat der Donaumonarchie repräsentieren – und das flexible, auf regionale Besonderheiten und nationale Bedürfnisse eingehende Auftreten dieser Institution architektonisch unter Beweis stellen.

Filiale Zagreb. Lav Kalda, 1906/1907 © Tobias Möllmer, 2025
Filiale Fiume | Rijeka. József Hubert, 1914/1915 © Tobias Möllmer, 2025
Filiale Székesfehérvár | Stuhlweißenburg. József Hubert, 1903/1904  © Tobias Möllmer, 2025

Fellner & Hellmer schufen individuelle Entwürfe in konventionellen historisierenden Formen, wie sie sich seit der Entstehung der Wiener Ringstraße etabliert hatten. Sie bewegen sich ebenso zwischen italienischer Renaissance und Neubarock wie die Werke Viktor Schwerdtners und zeigen große Ähnlichkeit zur Staatsarchitektur dieser Zeit: Andererseits sollte die Architektur auch eine gewisse Fortschrittlichkeit und Weltoffenheit suggerieren, weshalb die Bauplastik durchaus die Entstehungszeit der Bauten erkennen lässt.

Auch die fast 40 Bauten, die József Hubert schuf, zeigen den allmählichen Wandel von italienischen Renaissanceformen zu einem kraftvollen, üppigen Barockstil, der zum architektonischen Merkmal des ungarischen Landesteils wurde. Es ist ebenfalls eine zeittypische Auslegung des Stils, eben ein „moderner Barock“, der Einwirkungen der Secession zeigt. Konsequent hat die Secession sich nur in Ausnahmefällen an den Gebäuden der OeUB manifestiert, so etwa in den Entwürfen von Teodor Hoffmann (Tarnopol | Ternopil) oder Franz Raichl (Szabadka | Subotica).

Die von der Baufirma Václav und Otakar Nekvasil in Böhmen erstellten Bankhäuser zählen zu den qualitätsvollsten des gesamten Bauprogramms, gleich welches „Profil“ ihre Schöpfer ihnen gaben – ob secessionistisch-modern, in geradezu wissenschaftlicher Beobachtung historischer Formen oder in reduktionistisch-klassizistischem Habitus: Alle Bauten zeichnen sich durch virtuose Anpassung der verwendeten Formen an die Proportionen der Bankgebäude aus.

Die Entwürfe des Baubüros der Oesterreichisch-ungarischen Bank sind progressiver: Ferdinand Glaser und Rudolf Eisler entfernen sich weit von der überlieferten Formenwelt, bereichern und verfremden das klassische Grundgerüst auf originelle und individuelle Weise – bei Portalen, Balkonen und Giebeln oder in der Bauplastik. Einflüsse des Reformstils sind ebenso zu erkennen wie der zeitgleichen Architektursprache der Heimatschutz-Bewegung: Regionale Zitate wie hohe Giebel, Treppentürme und Krüppelwalmdächer werden abstrahiert wiedergeben, um sich trotz fortschrittlicher Gestaltung in das historische Stadtbild einzufügen. Dagegen sind die Bauten an der Adriaküste – in Triest, Görz, Zadar und Split – wiederum sehr konservativ und folgen dem italienischen Palazzo-Schema, das bei öffentlichen wie privaten Bauten in die 1930er Jahre mit nur wenigen Änderungen beibehalten wurde.

Fazit: Die Vielseitigkeit der Architekturstile, die sich an den rund 100 Filialen der Oesterreichisch-ungarischen Bank beobachten lässt, ist weniger Ausdruck von zwanzig Jahren Wandel des architektonischen Geschmacks, sondern vielmehr in erster Linie ein sprechendes Zeugnis für die multinationale und multikulturelle Donaumonarchie, die den unterschiedlichen politischen, kulturellen und ästhetischen Ansprüchen der verschiedenen Regionen und Volksgruppen gerecht zu werden versuchte.

Filiale Görz |Gorizia. Girolamo Luzzatto, 1913/1914 © Tobias Möllmer, 2025
Filiale Bozen | Bolzano. Richard Eisler, 1913/1914 © Oesterreichische Nationalbank
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