Blick auf die Ortschaft Kühtai
Viele Tourismusbetriebe in Tirol - im Bild ein Blick ins Kühtai - sind oft schon seit Generationen in Familienhand.

Es bleibt in der Familie

Regionalität und Nachhaltigkeit: Die Tourismuslandschaft Tirols ist geprägt durch Betriebe in Familienhand. Der Tourismusforscher Prof. Mike Peters vom Institut für Strategisches Management, Marketing und Tourismus untersucht mit seinem Team die Charakteristika von kleinen und mittleren Unternehmen.

In Tirol gibt es etwa 17.500 Familienunternehmen – insbesondere im Tourismus ist die Dichte an Familienunternehmen (ca. 90%) besonders hoch. Rund um die Besonderheiten dieser Betriebe besteht noch viel Forschungsbedarf. Mehr als 45 Millionen Nächtigungen verzeichnete Tirol im Jahr 2015. Hinter dieser im Vergleich zu anderen Tourismusdestinationen häufig als „weltmeisterlich“ bezeichneten Zahl stehen tausende Unternehmen – der Großteil von ihnen mit weniger als 10 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern. „Tourismusunternehmen wie Hotels, Pensionen oder Restaurants sind sehr häufig bereits seit Generationen in Familienhand und zeichnen sich durch spezielle Eigenschaften aus, die wir genauer untersuchen wollen“, sagt Mike Peters. Seit einem Jahr ist der Betriebswirt Stiftungsprofessor des Landes Tirol für „KMU (Kleine und Mittlere Unternehmen) und Tourismus“ am Institut für Strategisches Management, Marketing und Tourismus und Sprecher eines neu eingerichteten Forschungszentrums für Tourismus und Freizeit (siehe unten). Peters und sein Team legen ihren Fokus auf die Tourismuswirtschaft in Tirol sowie Familienunternehmen allgemein und sind dabei auch in verschiedenen Tälern und Ortschaften präsent. Dass es sich dabei um eine „faszinierende sowie spannende Branche und Unternehmensform“ handelt, machen die Wissenschaftler an verschiedenen Besonderheiten in der unternehmerischen Orientierung fest. In enger Zusammenarbeit mit seinem Kollegen Andreas Kallmünzer interessiert sich Peters neben den wirtschaftlichen, besonders für die soziale und regionale Einbettung der Tiroler Familienunternehmen.

Regionalität

 Familiengeführte Betriebe sind außerordentlich stark in ihrem regionalen Umfeld verankert. Das konnten Peters und Kallmünzer bereits in mehreren Forschungsarbeiten belegen. „Sie spielen gerade in kleinen Ortschaften und Talregionen eine sehr wichtige Rolle, da sie Arbeitsplätze schaffen und zur Wertschöpfung beitragen. Viele Ortschaften wären ohne den Jobmotor Tourismus noch viel stärker von der Abwanderung in große Städte betroffen“, sind sich die Wissenschaftler einig. Die Unternehmer wissen um ihre Wichtigkeit für ihr lokales Umfeld und fühlen sich dementsprechend verantwortlich. „Hier kommen sozial-emotionale Aspekte in den Vordergrund, die gerade im Vergleich zu Nicht-Familienunternehmen sehr auffällig sind und von einem großen Verantwortungsbewusstsein geprägt sein können“, erklärt Peters. „Touristische Familienbetriebe sind tendenziell nicht nur auf Wachstum ausgerichtet, sondern legen ihren Entscheidungen oftmals Aspekte der Nachhaltigkeit zu Grunde“, sagt Kallmünzer. Die Wissenschaftler machen diese Emotionalität im Vergleich zu anderen Unternehmensformen fest: „Gerade bei Neu-Gründungen von Unternehmen, so genannter Start-Ups, beobachten wir häufig, dass es bereits von Beginn an Teil des Konzeptes ist, nach zwei bis drei Jahren das Unternehmen wieder möglichst gewinnbringend zu verkaufen. Wenn mir als Besitzer eines kleinen Hotels nun aber daran gelegen ist, den Betrieb an meine Kinder weiterzugeben und in der Region zu etablieren, verhalte ich mich anders, bin weniger risikofreudig und gehe schonend mit den Ressourcen meiner Umgebung um“, erklärt Mike Peters.

Wandel

Auch die Tourismuswirtschaft ist wie viele andere Bereiche aufgrund verschiedenster gesellschaftlicher Entwicklungen und Veränderungen mit zahlreichen Herausforderungen konfrontiert: Das Reiseverhalten vieler, gerade junger Menschen hat sich in den letzten Jahrzehnten stark verändert. Der Klimawandel und seine Auswirkungen bleiben für Tourismusbetriebe nicht ohne Folgen. „Die Rahmenbedingungen werden immer schwieriger und machen das Festhalten an Familientraditionen gar nicht so einfach“, betont Peters. Deutlich sichtbar wird das für Mike Peters und Andreas Kallmünzer beispielsweise während der Übergabe eines Betriebes von einer Generation zur nächsten. „Bei jungen Menschen beobachten wir, dass sich auch ihre Wertvorstellungen und Prioritäten im Hinblick auf die Lebensqualität verändert haben“, so Peters. Sätze wie „Wir können den Betrieb nicht zumachen.“ sind keine Selbstverständlichkeit mehr: Zeit für die Familie, Selbstverwirklichung, Erholung und Urlaube gewinnen für Jungunternehmer auch in den Familienbetrieben zusehends an Wichtigkeit.

Interviews

Um Antworten auf die großen Fragestellungen in den genannten Interessensgebieten zu erhalten, suchen die Wissenschaftler regelmäßig den direkten Kontakt zu Familienbetrieben in ganz Tirol. Dabei kommen neben Fragebögen auch so genannte Tiefeninterviews zum Einsatz, in denen mit Familienmitgliedern ausführliche Gespräche zu verschiedenen Themenbereichen geführt werden. „Wichtig ist uns dabei ein Austausch auf Augenhöhe. Wir möchten den Unternehmern nichts aufzwingen, denn: Auch wir in der Forschung profitieren von den Erfahrungswerten in den Betrieben und versuchen gemeinsam mögliche Verbesserungen zu erarbeiten“, machen die Wissenschaftler klar. Viele der besonderen Eigenschaften von Familienunternehmen seien gleichzeitig auch das „Ass im Ärmel“, dass es noch stärker auszuspielen gelte, sagt Peters: „Das Verhaftet-Sein, die Regionalität und Nachhaltigkeit sind Bereiche, die regional agierende Familienunternehmen gerade in Zeiten einer globalisierten Welt stärker hervorstreichen könnten“.

Forschungszentrum Tourismus und Freizeit

2015 wurde an der Universität Innsbruck das interfakultäre Forschungszentrum „Tourismus und Freizeit“ ins Leben gerufen. Das Zentrum versteht sich als Netzwerk und Plattform für die gemeinsame Konzeption neuer tourismusbezogener Projekte unter Einbeziehung verschiedener wissenschaftlicher Disziplinen. Dieser interdisziplinäre Zugang soll einen möglichst umfassenden Zugang zu komplexen touristischen Fragestellungen gewährleisten. Durch die Bündelung der bereits vorhandenen Expertisen in den Bereichen Management, Wirtschaftstheorie, Ökologie, Geographie, technische Wissenschaften, Finanzwissenschaft, Sport, Architektur sowie Germanistik oder Geschichte wird die Qualität der Tourismusforschung in Tirol weiter gestärkt. Acht Fakultäten der Uni Innsbruck sind bereits beteiligt, zahlreiche Projekte in Planung. Innsbrucker Wissenschaftler bringen sich außerdem im ebenfalls neu gegründeten Tourismusforschungszentrum des Landes Tirol aktiv ein: Ziel ist die Unterstützung der Tiroler Tourismuswirtschaft bei der Entwicklung zukunftsfähiger Marktleistungen. Diese Förderungsinitiative wird vom Land Tirol gemeinsam mit Wirtschaftskammer und den Tourismusverbänden finanziert. Träger sind auch das Management Center Innsbruck (MCI) und die Universität Innsbruck.

Dieser Artikel ist in der Juni-Ausgabe des Magazins „wissenswert“ erschienen. Eine digitale Version ist hier zu finden (PDF).

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