Blick auf das Bohrschiff
Das Tote Meer ist ein „Erdbeben-Hotspot“: Im Rahmen des internationalen kontinentalen Tiefbohrprogramms (ICDP) wurde ein Bohrkern aus dem 300 Meter tiefen Meer gewonnen, der wertvolle Daten liefert.

Einzig­artige Daten: 220.000 Jahre Erd­beben-Ge­schichte

Ein 457 Meter langer „Datenschatz“ in Form eines Bohrkernes aus dem Toten Meer erlaubt einen präzisen Blick in vergangene Erdbeben. Die Erkenntnisse sind enorm wichtig, um künftige Starkbeben besser prognostizieren zu können. Yin Lu ist Experte auf dem Gebiet der Paläoseismologie und seit Herbst als Post-Doc in der Arbeitsgruppe Sedimentgeologie am Institut für Geologie tätig.

Erdbeben zählen zu den schlimmsten Naturkatastrophen auf unserer Erde. Besonders „Starkerdbeben“ mit einer Magnitude über 7 stellen eine große Gefahr da. Um die Dynamiken hinter Erdbeben verstehen zu können, ist ein Blick in die Vergangenheit unerlässlich. Dieser Blick reicht allerdings nicht sehr weit, da zuverlässige seismologische Aufzeichnungen nur etwa 100 Jahre zurückreichen, auch historische Daten sind hier nicht ausreichend. Forscherinnen und Forscher greifen daher auf Bohrkerne aus Sedimentablagerungen aus der Tiefsee oder auch aus Seen zurück, um präzise Daten aus der prähistorischen Vergangenheit zu erhalten. „Die einzelnen Sediment-Schichten, die sich Jahr für Jahr am See- oder Meeresgrund ablagern, geben Aufschluss über klimatische und ökologische Bedingungen, die weit über historische Aufzeichnungen hinaus reichen. Die Sedimentabfolgen enthalten aber auch Deformationsstrukturen, welche durch vergangene Starkerdbeben induziert wurden. Wissen über diese vergangenen Ereignisse kann dabei helfen, Wiederkehrraten von Starkerdbeben besser zu verstehen und Indikatoren zur Prognostizierbarkeit künftiger Erdbebenereignisse zu finden“, sagt Prof. Michael Strasser, Leiter der Arbeitsgruppe für Sedimentgeologie am Institut für Geologie und der Austrian Core Facility für wissenschaftliche Bohrkernanalysen an der Universität Innsbruck. „Vor diesem Hintergrund ist der Bohrkern aus dem Toten Meer, den mein Kollege Yin Lu nun in Innsbruck untersucht, ein fantastisches Datenset und sehr wertvoll für unsere Forschungsarbeit.“

Totes-Meer-Archiv

Die Störungszone am Toten Meer zwischen der afrikanischen und arabischen Platte ist eine der bekanntesten Erdbeben-Gebiete der Erde. Das Tote Meer liegt etwa in der Mitte dieser Verwerfung und ist mit 434 Metern unter dem Meeresspiegel der tiefste Punkt der Erde. Bereits vor 10 Jahren wurde dort im Rahmen des internationalen kontinentalen Tiefbohrprogram (ICDP) ein Bohrkern aus dem 300 Meter tiefen Toten Meer gewonnen, der 457 Meter lang ist und in seinen Sedimentablagerungen eine Zeitspanne von 220.000 Jahren abdeckt. „An den Strukturen der Schlammablagerungen können wir erkennen, wann es in der Vergangenheit grösser Erdbeben gab und wie stark diese waren “, sagt Yin Lu. Lu ist seit 1. Oktober 2020 am Institut für Geologie tätig, wo er in den nächsten Jahren im Rahmen des Lise-Meitner-Programms des FWF im Projekt „DeadSeaQuakeRec“ die unterschiedlichen Erdbeben-induzierten Strukturen und Ereignislagen in diesem Bohrkern weiter erforschen wird. Betreut wird er dabei von Ass.-Prof. Jasper Moernaut. Bereits im Rahmen seiner Tätigkeit am Institut für Geophysik an der Universität Tel Aviv, beschäftigte sich Yin Lu intensiv mit dieser Thematik.

Starkbeben in kurzen Intervallen

Mehr als 400 Sediment-Deformationen, die auf Erdbebenereignisse schließen lassen, identifizierte Yin Lu gemeinsam mit internationalen Kolleginnen und Kollegen im Bohrkern. Erste Ergebnisse wurden kürzlich im Journal Science Advances veröffentlicht. „Starke Erdbeben sind relativ selten. Da instrumentelle Aufzeichnungen aber nicht lange zurückreichen, wissen wir wenig über einen möglichen Zyklus der Starkbeben“, erklärt Lu. „In den Sedimentablagerungen aus dem Toten Meer können wir eine sehr unregelmäßige zeitliche Verteilung von starken Erdbeben innerhalb der letzten 220.000 Jahre sehen, wobei sich im Mittel alle 1400 Jahre ein Starkerdbeben ereignete. Dieser Rhythmus ist signifikant kürzer als jener, der bisher angenommen wurde und legt nahe, dass die Erdbebengefährdung in dieser Region bisher unterschätzt wurde. Bislang gingen wir aufgrund von Schätzungen anhand der unvollständigen Daten davon aus, dass sich Starkbeben nur etwa alle 11.000 bis 7.000 Jahre wiederholen“, beschreibt der Geologe eine der wesentlichen Erkenntnisse der aktuellen Studie. Die Arbeit an diesem „fossilen Seismographen“ wird auch in den nächsten Jahren intensiv fortgeführt werden. Die Forscher haben bereits mehrere Pläne für künftige Forschungsarbeiten im Rahmen des Aufenthalts von Yin Lu. „Wir werden diesen einzigartigen Bohrkern künftig mit dem hier in Innsbruck zu Verfügung stehenden hochauflösenden Bohrkernscanner untersuchen und unsere Ergebnisse beispielweise auch in den Zusammenhang mit klimatischen Entwicklungen stellen, die im Toten Meer zu dramatischen Seespiegel-Schwankungen geführt haben “, freut sich Jasper Moernaut.

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