Tirolensie September

Tirolensie des Monats September

„Ich bleibe hier“ von Marco Balzano

Ein Tal. Eine dunkle Zeit. Eine Katastrophe, die ihre Schatten voraus wirft.

Unsere monatliche „Tirolensien-Rubrik“ führt uns im September an den Reschensee...

2018 erschien Marco Balzanos Roman „Ich bleibe hier“ erstmals in italienischer Sprache, um sich literarisch mit der Überflutung der Dörfer Graun und Reschen im Jahre 1950 und dem damit verbundenen Schicksal der dortigen Bevölkerung auseinander zu setzen. Dabei reißt nicht nur das Staudammprojekt am Reschensee tiefe Gräben durch Landschaft und Gesellschaft, sondern auch die Zeit davor und danach...

Nun liegt der Roman auch in der deutschsprachigen Version beim Diogenes-Verlag vor und wir begleiten die Lehrerin Trine, die im oberen Vinschgau lebt und ihre Geschichte erzählt. Es ist die Geschichte aus einer finsteren und ungewissen Epoche, getragen von den einfachen Begebenheiten des Alltags. Wir erfahren von Freundschaft und Hass, von Liebe und Tod, sehen Kinder heranwachsen und Erwachsene älter werden, während im Hintergrund die unausweichliche Katastrophe mehr und mehr an Gestalt annimmt, um schließlich zur furchtbaren und dunklen Wahrheit zu werden.

Es ist auch die Geschichte von Zerrissenheit und Ungerechtigkeit, von Leid, Leere und Enttäuschung, von Flucht und Entbehrung – und von der Möglichkeit der Südtirolerinnen und Südtiroler, ihrer Heimat den Rücken zu kehren oder zu bleiben, um sich ein Stück weit aufzugeben.

„Wir hatten uns daran gewöhnt, nicht mehr wir selbst zu sein“, lässt Balzano Trine erzählen.

Der Mailänder Autor führt zurück zu den Gespenstern der Vergangenheit, die ihre Schatten noch immer bis in die Gegenwart ausstrecken.  In bestechender Form, Welle für Welle, treibt Marco Balzano seine Leserschaft zum Unausweichlichen, bis hin zum bitteren Ende, bei dem Heimat und Hoffnung in kalten Fluten ertrinken.

Christian Kössler

 

Ich bleibe hier

Marco Balzano

Zürich: Diogenes

2020

285 Seiten

ISBN: 9783257071214

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