Aus vier Einzelbildern zusammen gesetztes Bild, das vier verschiedene Bodenorganismeng zeigt.

Die Bodenbiodiversität im Gebirge ist zu wenig untersucht. Insbesondere zu bestimmten Organismengruppen gibt es wenig Untersuchungen.

Boden­bio­lo­gie im Gebirge als kri­ti­sche For­schungs­lü­cke

Über die bodenbiologische Vielfalt im Gebirge weiß man viel zu wenig. Das zeigt eine im Journal Biological Reviews veröffentlichte Bestandsaufnahme unter der Leitung von Biolog:innen der Universität Innsbruck. Durch die Klimakrise bedingte Veränderungen sind aufgrund der Forschungslücken schlecht abschätzbar, warnen die Autor:innen, die für ihre Untersuchung gemeinsam mit 37 internationalen Expert:innen rund 1400 wissenschaftliche Arbeiten ausgewertet haben.

Obwohl er eigentlich nur eine hauchdünne Schicht ist, bildet der Boden die scheinbar selbstverständliche Grundlage für das Leben auf der Erde: Er erfüllt eine ganze Reihe von Leistungen innerhalb des Ökosystems, die vor allem dem Zusammenwirken verschiedenster Bodenorganismen – eine Handvoll Boden enthält Milliarden von ihnen – zu verdanken sind.
Systematisch und funktionell lassen sich Bodenorganismen in Kryptogamen, Biokrusten, Viren, Archaeen, Bakterien, Pilze, Protisten, Mikro-, Meso- und Makrofauna einteilen. Ihre unglaubliche und größtenteils unbekannte Vielfalt macht den Boden nicht nur zum Kohlenstoffspeicher, Schadstofffilter und Nährstoffreservoir, sondern auch zu einem einzigartigen Lebensraum, weshalb die Biodiversität im Boden immer mehr ins Zentrum der wissenschaftlichen Aufmerksamkeit rückt. Zur bodenbiologischen Vielfalt oberhalb der Baumgrenze, vor allem zu bestimmten Organismengruppen gibt es jedoch wenig Untersuchungen; es fehlen durchwegs Daten über eine längere Zeitspanne hinweg, zu manchen Gebirgsregionen liegt teilweise überhaupt kein Wissen vor. In den Alpen hingegen ist die Untersuchungslage vergleichsweise besser, aber immer noch unzureichend. Dies und noch viel mehr zeigt eine Mitte Mai in der renommierten Fachzeitschrift Biological Reviews erschienene Publikation. Die Studie wurde maßgeblich von Nadine Präg und Paul Illmer (Institut für Mikrobiologie) sowie Julia Seeber (Institut für Ökologie) verfasst – in enger Zusammenarbeit mit der Plattform Global Mountain Biodiversity Assessment (GMBA), Michael Steinwandter (Alumnus der Universität Innsbruck, Eurac Research) und Bettina Weber (Universität Graz). Das Einbeziehen verschiedener Organismengruppen und Fachrichtungen unterstreicht den integrativen Charakter der Untersuchung, die in dieser Breite und in ihrem Fokus auf globale Gebirgsregionen einzigartig ist. Die Veröffentlichung gibt einen systematischen und graphisch aufbereiteten Überblick über den Stand der Forschung und verdeutlicht gleichzeitig die Notwendigkeit, den Blick auf die sensiblen Boden-Ökosysteme im Gebirge zu richten: Wie kleinste Bodenorganismen auf Umweltgradienten reagieren, kann weitreichende Folgen haben, beispielsweise auf die Sauberkeit und Speicherung von Wasser.

Die Grafik zeigt ein Kuchendiagramm und ein Säulendiagramm in verschiedenen Farben, das die Anzahl der Publikationen zu den jeweiligen Organismengruppen sichtbar macht.

Grafik A zeigt die Anzahl der wissenschaftlichen Publikationen mit Schwerpunkt auf einer der drei in der Publikation behandelten Organismengruppen des alpinen Bodens. Grafik B zeigt die Anzahl der Veröffentlichungen mit einem primären oder sekundären Schwerpunkt auf diesen Organismen. Die Icons stammen von Biorender.com

„Mithilfe von Text Mining haben wir einschlägige Publikationen seit dem Jahr 2000 erfasst, die Untersuchungsgebiete geografisch gruppiert und dann zusammengefasst, was über die Bodendiversität oberhalb der Baumgrenze in gemäßigten und kontinentalen Gebirgsregionen bekannt ist“, erklärt Erstautorin Nadine Präg die Herangehensweise. „Dabei hat sich ganz allgemein gezeigt, dass ab dem Jahr 2010 ein deutlicher Anstieg an Studien zu verzeichnen ist – aber eben nicht zu allen Organismengruppen und nicht für alle Gebirgsregionen.“ Die größten Wissenslücken gibt es zu Viren und Protisten. Geographisch betrachtet wurden die meisten Diversitätsstudien zu Böden oberhalb der Waldgrenze in Zentralasien und Europa durchgeführt, am wenigsten erforscht ist die Bodendiversität in Gebirgsregionen in Nord- und Südamerika, in Afrika sowie im Kaukasus. Organismisch betrachtet befassen sich ca. 75 Prozent aller Studien mit der Diversität von Bodenmikroorganismen. Thematisch liegen die Schwerpunkte auf Untersuchungen zur Diversität, zu Gemeinschaftsstrukturen und zu Ökosystemleistungen, während Aspekte wie Evolution und invasive Arten bislang weitgehend unberücksichtigt bleiben.

Virale dunkle Materie

„Viren im Boden sind überhaupt ein Sonderfall. Ihre Bedeutung ist mittlerweile unbestritten, bei unserer Literaturrecherche haben wir aber nur drei Publikationen identifiziert, die sich explizit mit Viren in Bergböden befassen“, verdeutlicht Paul Illmer. Wie artenreich die sogenannte „virale dunkle Materie“ ist und welche Funktion sie in Interaktionen hat, ist also noch kaum bekannt.

Unbekannte Bodentierchen

Auch über die Zusammensetzung der Mikrofauna und Mesofauna weiß man sehr wenig, ein deutlicher Anstieg an Veröffentlichungen setzt erst 2015 und damit noch später als bei den meisten anderen Gruppen ein. „Bis jetzt fehlen entsprechende Methoden, um die Biodiversität kleiner Bodentiere zu erforschen. Mit der Entwicklung und Etablierung molekulare Methoden wird auch auf diesem Gebiet die Anzahl der Studien steigen“, erklärt Julia Seeber vom Institut für Ökologie. „Wir können aktuell nicht nachvollziehen, welche Veränderungen durch die Klimakrise bereits wirksam sind, weil wir gar nicht wissen, wie die Mikro- und Mesofauna vorher ausgesehen hat“, bedauert die Bodenökologin und verdeutlicht: „Höchstwahrscheinlich sind bereits Arten verschwunden, von denen wir gar nie wussten.“ – Ein Fakt, das auch auf andere Organismengruppen zutrifft. Umso wichtiger ist es, so die Autor:innen unisono, dass nun mit dem Paper ein Startpunkt für ein Monitoring der Bodenbiologie im Gebirge gelegt wurde. „Um eine wissenschaftlich fundierte Entscheidungsfindung und Gesetzgebung zum Schutz von Bergregionen zu ermöglichen, ist es ist unumgänglich zu wissen, welche Lebewesen im Boden vorhanden sind“, so lautet ein Fazit aus der Bestandsaufnahme.

Sechs verschiedene Grafiken zu sechs verschiedenen Organismengruppen.

Liniendiagramme, die die kumulative Anzahl wissenschaftlicher Veröffentlichungen im Laufe der Zeit zeigen, die sich mit der biologischen Vielfalt des Bodens oberhalb der Baumgrenze in gemäßigten und kontinentalen Bergregionen befassen. 

Sechs verschiedene Liniendiagramme zu den unterschiedlichen Organismengruppen.

Höhenabhängige Muster

Die Veröffentlichung deckt im Übrigen nicht nur Bereiche mit dem größten Forschungsbedarf auf, sondern dokumentiert die bemerkenswerte Anpassungsfähigkeit sowie die ökologischen Funktionen von Bodenorganismen in alpinen Lebensräumen. Die Studie versucht außerdem aus dem vorhandenen Wissen höhenabhängige Diversitätsmuster und deren Einflussfaktoren und Interaktionen zu identifizieren, um Rückschlüsse auf zukünftige, durch steigende Temperaturen verursachte Änderungen zu ermöglichen.

Publikation: Biodiversity in mountain soils above the treeline. Nadine Praeg & Michael Steinwandter et al. Biological Reviews, Mai 2025 DOI: https://doi.org/10.1111/brv.70028

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