Lumnesh bei der Feldarbeit

Der Doktorand Lumnesh Swaroop Kumar Joseph untersuchte zehn Pflanzenarten unter zukünftigen Klimabedingungen.

Mehr als graue Theo­rie

Studieren an der Uni Innsbruck ist weit mehr als Theorie pauken: Studierende sind aktiv in die Forschung eingebunden, arbeiten praxisnah und tragen ihr Wissen in die Gesellschaft. 

So vielfältig wie die Fächer- und Studienangebote an den 16 Fakultäten der Universität Innsbruck sind auch die Erfahrungen der Studierenden. wissenswert holt vier spannende Projekte aus den Bereichen Ökologie, Wirtschaft, Architektur und Informatik beispielhaft vor den Vorhang.

Klimakrise und Landwirtschaft

Der Klimawandel beeinflusst die typischen jahreszeitlichen Entwicklungsstadien von Pflanzen, beispielsweise den Zeitpunkt von Keimung, Austrieb, Blüte oder Samenbildung – ihre Phänologie. Wie genau sich einzelne Faktoren wie Temperaturanstieg, erhöhte CO2-Konzentration in der Luft oder Trockenheit auf die Phänologie von Grünlandpflanzen auswirken, untersucht Doktorand Lumnesh Swaroop Kumar Joseph in der Arbeitsgruppe Funktionelle Ökologie von Michael Bahn. Sein wissenschaftliches Interesse ist dabei zutiefst persönlich und biografisch begründet, denn seine Heimat Indien zählt zu den am stärksten von der Klimakrise betroffenen Ländern der Welt: „Während meiner Ausbildung zum Jesuiten-Priester war ich viel in ländlichen Regionen Südindiens unterwegs und habe immer wieder erlebt, wie Ernteausfälle Landwirte in den Selbstmord trieben. Das ist ein großes Thema in Indien“, erzählt er. Damals entschloss er sich, dem Leid der Bevölkerung nicht nur als Geistlicher, sondern auch als Wissenschaftler entgegenzutreten und studierte Umweltwissenschaften in Indien. Im Doktorat wollte Lumnesh Joseph sein Wissen in einem Fachgebiet vertiefen, das ihm bei der Lösung sozioökologischer Probleme in Indien nützen sollte. So stieß er bei seinen Recherchen auf ClimGrass, ein weltweit einzigartiges, im steirischen Raumberg-Gumpenstein angesiedeltes Freiland-Experiment, an dem neben anderen Forschungseinrichtungen auch die Universität Innsbruck seit mehreren Jahren maßgeblich beteiligt ist. „Ich war auf der Suche nach einer Möglichkeit, Klimaextreme und ihre Auswirkungen auf die Landwirtschaft zu studieren. ClimGrass ist sehr nahe an dem, was ich suchte. Inhaltlich und methodisch lerne ich hier genau das, was wichtig ist“, beschreibt Lumnesh Joseph.

Die internationale Ausrichtung der Arbeitsgruppe am Institut für Ökologie und die Einbindung in das Innsbruck Doctoral College (IDC) „Alpine Biology and Global Change“ erleichterten und bereicherten sein Studium. „Weil die Arbeitssprache im PhD-Programm Englisch ist, war von Anfang an ein fachlicher und persönlicher Austausch mit meinen Kolleginnen und Kollegen möglich“, freut sich Lumnesh Joseph, der mittlerweile seit drei Jahren in Innsbruck lebt und die Datenerhebung für seine Doktorarbeit bereits abgeschlossen hat.

Auf den Versuchsflächen in der Steiermark untersuchte er zehn Pflanzenarten unter zukünftigen Klimabedingungen, die mittels Heiz- und Begasungssystemen sowie Regendächern simuliert wurden. Neben den Standard-Messungen, die er während der Vegetationsperiode einmal wöchentlich vor Ort durchführte, wertet Lumnesh Joseph die Fotos einer Phäno-Kamera aus, die die Entwicklung auf der Versuchsfläche fünf Mal pro Tag automatisch dokumentiert. Erste Ergebnisse liegen bereits vor und finden demnächst in einer Publikation Niederschlag. Für mögliche Projekte und den Aufbau einer Forschungsinfrastruktur in seiner Heimatprovinz Karnataka möchte er nach seiner Rückkehr nicht nur das erworbene Know-how, sondern auch die Kontakte nützen. „Vielleicht ergeben sich ja auch Zukunft Kooperationen“, hofft der Ökologe.

Software-Entwicklung

Die Überwachung der Gesundheit von Pflanzen stand im vergangenen Sommersemester im Zentrum der Informatik-Lehrveranstaltung „Software Engineering“. In Teams wurden die Studierenden vor die Aufgabe gestellt, eine Software zu entwickeln, die die Pflanzen in einem Mini-Gewächshaus datenbasiert überwacht. „Unser Ziel bei der Lehrveranstaltung ‚Software Engineering‘ ist, dass unsere Absolvent:innen mit Methoden der industriellen Softwareentwicklung vertraut werden und sich in Entwicklungsteams integrieren können. Dafür möchten wir ihnen insbesondere das Know-How vermitteln, die Bedürfnisse von Kund:innen und Nutzer:innen zu erkennen und IT-Systeme sicher und zuverlässig zu entwickeln“, erklärt Univ.-Prof. Dr. Ruth Breu, Leiterin des Instituts für Informatik an der Uni Innsbruck. Für ihre Aufgabe wurde jedem der 25 Teams ein mit Sensorik, Mikro-Controller und Mini-Rechner ausgestattetes Gewächshaus zur Verfügung gestellt. „Die Aufgabenstellung erlaubte den Teams, eigene Schwerpunkte im Projekt zu setzen, z. B. in Bezug auf die Benutzungsoberfläche, die Software-Architektur oder das Projektmanagement“, führt Ruth Breu weiter aus. Am Ende der Lehrveranstaltung erhielten die besten Teams die Gelegenheit, ihre Lösungen vor einer fachkundigen Jury zu präsentieren. „Der Enthusiasmus der Studierenden für die Informatik und ihre präsentierten Lösungen haben mich immer wieder sehr beeindruckt. Es war faszinierend zu sehen, mit welcher Leidenschaft und Hingabe die einzelnen Projekte realisiert wurden“, berichtet Jury-Mitglied DI Hansjörg Haller, CEO der InfPro IT Solutions GmbH. „Die Integration von Praxisprojekten in das Studienprogramm eröffnet den Studierenden eine hervorragende Gelegenheit, sich gezielt auf die Herausforderungen der Arbeitswelt vorzubereiten. Als Softwareunternehmen mit einem engagierten Team von mehr als hundert Mitarbeiter:innen legen wir großen Wert auf solche praktisch erfahrenen Talente.“

Menschen bei der Projektpräsentation

Eines der von der Jury mit Gold ausgezeichneten Projekt-Teams legte seinen Schwerpunkt auf die Realisierung des User Interfaces auf Basis eines selbst gewählten Frameworks und auf ein skalierbares Kommunikationsprotokoll. „Unsere Entscheidung, das User Interface auf ein separates Frontend auszulagern, bot uns viele Möglichkeiten zum Selbststudium. Zudem erfordert ein solches Projekt viel Koordination und Planung mit Mitstudierenden“, erklärt Emanuel Prader, Informatik-Student im 6. Semester, den Ansatz seines Teams. „Für viele Studierende, mich eingeschlossen, ist ein solches Projekt der erste Berührungspunkt mit der praktischen Arbeit eines Softwareentwicklers. Am Anfang des Studiums lernt man zwar programmieren und auch viel theoretischen Hintergrund, aber eine Verbindung zum Praktischen fehlt oft.“, so Prader. Auch Fiona Hoppe, Studentin im Erweiterungsstudium Informatik und Teil des zweiten mit Gold prämierten Projekt-Teams, sieht in der Aufgabenstellung der Lehrveranstaltung eine Bereicherung für ihr Studium: „Da ich neben dem Studium auch als Software Engineer arbeite, war das Projektseminar sehr wertvoll für mich, sowohl was Lösungen betrifft, als auch den Umgang mit technischen Lösungen und die Teamarbeit . Im Studium würde ich mir wünschen, dass es mehr solche Projekte gibt, um den Studierenden die Möglichkeit zu geben, sich in die Richtung der Softwareentwicklung weiterzuentwickeln.“

Von der Punktwolke zum Tempel

Architekturstudentin Katrin Stöhr steht kurz vor dem Abschluss ihrer Masterarbeit bei Univ.-Prof. Kristina Schinegger und Univ.-Prof. Stefan Rutzinger. Ihre Erkenntnisse werden nicht nur schön gebunden im Regal stehen, sondern tragen auch zu einem interdisziplinären, österreichweiten Forschungsvorhaben bei: zum FWF-Spezialforschungsbereich (SFB) Advanced Computational Design, an dem u.a. das Institut für Konstruktion und Gestaltung der Uni Innsbruck beteiligt ist. Im theoretischen Teil ihrer Arbeit beschäftigt sich Katrin Stöhr mit den Anwendungsmöglichkeiten von 3D-Punktwolken im architektonischen Entwurfsprozess. Die Methoden, die sie analysiert und erfasst, sind insbesondere für das Innsbrucker SFB-Teilprojekt relevant, in dem ein KI-basiertes Entwurfsprogramm für Architekt:innen und Designer:innen entwickelt wird. „Das Arbeiten mit Punktwolken verleiht dem volumetrischen Entwurf ganz andere Impulse als klassische Boundary-Methoden. Kreativität hängt auch von den Werkzeugen ab, die man benutzt“, betont Katrin Stöhr.  Außerdem lassen sich bestimmte Parameter mit Punktwolken viel besser darstellen. Ein Beispiel dafür sind Bäume, die im praxisorientierten Teil von Katrin Stöhrs Masterarbeit als Umgebungsparameter eine Rolle spielen. „Ich entwerfe und plane einen Ort der Achtsamkeit im Englischen Garten in Innsbruck“, beschreibt die Studentin ihr Anwendungsbeispiel. Das von ihr konzipierte Bauwerk „Temple of no Heritage“ beheimatet einen religionsunabhängigen Raum für Meditationen oder Yogakurse, aber auch eine Bibliothek, ein Café und eine psychologische Beratungsstelle.
„Der Englische Garten ist gekennzeichnet durch hohe Bäume, aber auch durch sehr unterschiedliche Lärmverhältnisse. Zum Rennweg hin ist es durch den Verkehr sehr laut, Richtung Inn hingegen ruhig“, schildert Katrin Stöhr. Bei der Platzierung des Gebäudes und der funktionalen Raumplanung hat sie mit Punktwolken gearbeitet: Existierende Lärmmessungen lassen sich als geordnete Punktwolke darstellen, das Raumprogramm und die Umgebung mit anderen Typen von Punktwolken. „Am Ende verrechne ich die Punktwolken so miteinander, dass ich den idealen Baubereich und sogar eine grobe Kubatur bestimmen kann“, gibt sie einen kleinen Einblick in die Möglichkeiten von 3D-Wolken im Entwurfsprozess sowie in ihre Masterarbeit. Diese führt sie übrigens im Rahmen einer Anstellung als studentische Mitarbeiterin durch. „Für mich persönlich war es eine wertvolle Chance, in ein großes Projekt, aber auch in eine Struktur mit vorgegebenen Arbeitszeiten eingebunden zu sein. Außerdem hat mir der ständige Austausch mit meinen Kolleg:innen aus dem Institut sehr viel gebracht“, zeigt sich Katrin Stöhr dankbar.

Dreidimensional digital

Darstellung der Gebäude-Idee

Punktwolken ermöglichen eine digitale dreidimensionale Darstellung von Objekten und Räumen; sie bestehen aus Millionen Punkten, die auf drei Achsen angeordnet sind. Die wohl bekannteste Anwendung sind 3D-Scans. Punktwolken lassen sich aber auch für kreative Prozesse nutzen.

Die Abbildung zeigt die programmatische Idee des Gebäudes wird hier mit dem idealen Baubereich verrechnet. Input-Pointcloud (grau), Target-Pointcloud (blau-rot), Interaktion (weiß).

Wie beeinflusst uns Künstliche Intelligenz?

Diese Frage war Thema einer Ausstellung, die Studierende im Masterstudiengang „Marketing und Branding“ im Wintersemester 2023/2024 erarbeitet haben. „Im Pflichtkurs Digitales Marketing sollen sich die Studierenden mit den Chancen und Herausforderungen digitaler Technologien zur effektiven und effizienten Gestaltung von Beziehungen mit und zwischen Stakeholder:innen auseinandersetzen. In der Lehrveranstaltung kombiniere ich theoretischen Input mit praktischer Anwendung, indem ich konkrete Aufgabenstellungen gebe“, erklärt Lehrveranstaltungsleiter Ass.-Prof. Dr. Roland Schroll vom Institut für Management und Marketing. In diesem Wintersemester hatten die Studierenden die Aufgabe, eine informelle Ausstellung zum Thema „Wie künstliche Intelligenz dich beeinflusst“ zu erstellen. Die Ausstellungsbeiträge wurden in Gruppenarbeit erstellt und umfassten Themen von der Gegenüberstellung von Hoffnungen und Ängsten bezüglich Künstlicher Intelligenz, Künstliche Intelligenz und Kreativität, Filter Bubbles, künstlich erstellte Musik, Social-Media-Algorithmen bis hin zu Deep Fakes und wie diese erkannt werden können sowie KI in der Kunst. Der Beitrag „Hopes and Fears“ von Noah Morgan und seinen Teamkolleg:innen zielte darauf ab, die Besucher:innen zum Nachdenken über positive und negative Einstellungen zur Künstlichen Intelligenz anzuregen. Neben Zitaten von führenden Persönlichkeiten präsentierten sie auch eigene Gedanken zum Thema und leiteten die Besucher:innen zu einer Webseite, die Informationen darüber bietet, inwieweit der eigene Job durch KI gefährdet sein könnte. „Die Arbeit an unserem Beitrag war sehr zeitaufwändig, aber sie ermöglichte es uns, wertvolle Erfahrungen im Grafikdesign zu sammeln. Zudem bot die Ausstellung die Möglichkeit, sich persönlich intensiver mit dem Thema auseinanderzusetzen und eine eigene Meinung zu formen“, reflektiert Noah Morgan.

Kreative Ergänzung

„Projekte, bei denen man kreativ sein und eigene Ideen einbringen kann, sind immer eine wunderbare Ergänzung zu den üblichen Vorlesungen und Prüfungen. So konnten wir im Rahmen der Lehrveranstaltung die Grundbausteine lernen und diese im Team nach unseren eigenen Vorstellungen erweitern und anwenden“, erläutert Alissa Hildebrandt. Zusammen mit Toni Kopp, Melanie Janzen, Theresa Mölbert und Janina Devrient hat sie ein Video für die Ausstellung produziert, das sich mit dem Thema Kreativität und künstliche Intelligenz auseinandersetzt.

KI-Ausstellung

„Unser Ziel war es, die Besucher:innen nicht nur darüber zu informieren, wie KI kreativ sein kann, sondern sie auch durch interaktive Quizfragen einzubinden“, betont sie. „Die Arbeit am Video hat mein Verständnis von KI, insbesondere im Bereich der generativen KI, erheblich vertieft. Zudem hat mir das Experimentieren mit generativer KI ein wertvolles Werkzeug für meine Tätigkeit als Werkstudentin im Marketing geliefert, das sich als sehr nützlich erwiesen hat“, fügt ihre Teamkollegin Janina Devrient hinzu.

Dieser Artikel ist in der aktuellen Ausgabe unseres Magazins wissenswert erschienen. Eine digitale Ausgabe finden Sie hier.

Nach oben scrollen