Universität Innsbruck

Dritt­mit­tel­pro­jekt "Se­xu­a­li­sierte Gewalt in Süd­ti­rol"

Studie zu sexualisierter Gewalt in Südtirol unter Berücksichtigung der drei Sprachgruppen
Eine explorative qualitative Studie


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Laufzeit: 01. April 2023 bis 31. Mai 2025

Beschreibung:

Im Rahmen von Recherchen zu seinem Film- und Buchprojekt „Gegen das Schweigen“ gelangte der Tiroler Filmemacher Georg Lembergh zu der Einschätzung, dass das Problem der sexualisierten Gewalt in Südtirol dringend einer wissenschaftlichen Aufarbeitung bedarf.

In Österreich hat das Thema sexueller Missbrauch seit dem Fall Groer im Jahr 1995 und den zahlreichen bekannt gewordenen Fällen im Jahr 2010 seinen Status als absolutes Tabuthema in der Öffentlichkeit verloren. Auch wenn die Thematisierung sexueller Gewalt für Betroffene nach wie vor schwierig ist, so existieren inzwischen doch zahlreiche Medienberichte, Studien und Erfahrungsberichte von Opfern, die das Thema öffentlich verhandeln. Mehrere Untersuchungskommissionen wurden seither eingesetzt. Seit Anfang der 1990er Jahre steigt die Anzahl der Einrichtungen, die in Österreich in der Prävention von sexuellem Missbrauch aktiv sind, stetig an (Schrenk/Seider 2018, 443). Bereits im Jahr 2006 wurde das Instrument der „Prozessbegleitung“ geschaffen, in deren Rahmen von (sexueller) Gewalt Betroffene psychosoziale und rechtliche Unterstützung im Strafverfahren erhalten (Haller/Hofinger 2008).

In Südtirol hinkt der Aufarbeitungsprozess im Vergleich zu Österreich offenbar hinterher. Die Thematik scheint nach wie vor stark tabuisiert und kommt in der öffentlichen Wahrnehmung praktisch nicht vor. In den Medien wird lediglich in einzelnen Artikeln über „tragische Fälle“ berichtet. Eine breite Diskussion des Phänomens sexueller Missbrauch, der ja immer ein Machtmissbrauch und immer auch ein strukturelles Problem ist, findet nicht statt. Im großteils ländlich geprägten Südtirol sind Scham und Angst vor sozialer Stigmatisierung groß und der Druck durch das Umfeld enorm. Studien zeigen, dass Missbrauchsopfer oft aufgrund einer tief verankerten Angst vor ablehnenden Reaktionen, Schuldzuweisungen und Stigmatisierungen durch das Umfeld und einem hiermit verbundenen Verlust von Zugehörigkeiten zur Familie und zu (kirchlichen) Gemeinden über ihre Erlebnisse schweigen (Fernau 2014, 163).

Die Studie folgt einem qualitativen Ansatz und untersucht das Phänomen der sexualisierten Gewalt in Südtirol anhand von Interviews mit Betroffenen. Ergänzend werden Gespräche mit Expert*innen geführt. Ein qualitativer Zugang zum Forschungsfeld eröffnet vertiefende Einblicke in individuelle Reaktionsmuster und biographische Umgangsformen mit dem Missbrauch sowie spezifische Dynamiken und Auswirkungen von sexualisierten Gewalterfahrungen in verschiedenen Kontexten. Die sozialwissenschaftliche Ausrichtung eröffnet zudem den Blick auf institutionell-strukturelle Hintergründe, Bedingungen und Charakteristika spezifischer Sozialisationsbedingungen sowie deren Einfluss auf die Betroffenen (vgl. auch Fernau 2014, 154). Qualitative Studien zu sexuellem Missbrauch liegen beispielsweise aus Deutschland vor. Sie ergründen u.a. die Grenzen des „Erinnerbaren“ und „Erzählbaren“ und die Rolle, die Angst vor Stigmatisierung, Scham und Schuld spielen (Kavemann et al. 2016a) oder fokussieren auf Strategien von Betroffenen, die Opfer sexueller Gewalt durch Geistliche wurden (Fernau et al. 2014), bzw. auf Faktoren, die es erschweren, Missbrauch zu „melden“ und sich Hilfe zu holen (Keupp et al. 2013).

Literatur

Fernau, Sandra, 2014: Biografische Umgangsformen mit sexuellem Missbrauch durch katholische Geistliche: Ergebnisse einer qualitativen Interviewstudie mit Betroffenen. S. 153-184 in: Fernau, Sandra; Hellmann, Deborah F. (Hg.), Sexueller Missbrauch Minderjähriger durch katholische Geistliche in Deutschland.

Birgitt Haller/Veronika Hofinger 2008. Die Begleitung von Gewaltopfern durch das Strafverfahren - das österreichische Modell der Prozessbegleitung, in: Neue Kriminalpolitik, 1/2008, 19-22.

Kavemann, Barbara; Graf-van Kesteren, Annemarie; Rothkegel, Sibylle; Nagel, Bianca, 2016a: Erinnern, Schweigen und Sprechen nach sexueller Gewalt in der Kindheit. Ergebnisse einer Interviewstudie mit Frauen und Männern, die als Kind sexuelle Gewalt erlebt haben. Wiesbaden: VS Springer Fachmedien.

Keupp, Heiner, Straus, Florian, Mosser, Peter, Gmür, Wolfgang & Hackenschmiedt, Gerhard, 2013: Sexueller Missbrauch, psychische und körperliche Gewalt im Internat der Benediktinerabtei Ettal. Wiesbaden: VS Springer.

Schrenk, Eva; Seider, Yvonne, 2018: Sexualisierte Gewalt und Prävention: Wissen schützt! Eine Erhebung zur Situation in Österreich. Dissertation. Online: https://unipub.unigraz.at/obvugrhs/download/pdf/2581352?originalFilename=true (06.04.2021).



Univ.-Prof.in Dr.in Gundula Ludwig, Center Interdisziplinäre Geschlechterforschung Innsbruck (CGI)
gundula.ludwig@uibk.ac.at

Dr.*in Julia Ganterer, MA, Leuphana Universität Lüneburg, Institut für Sozialarbeit und Sozialpädagogik
julia.ganterer@leuphana.de

Mag. phil. Laura Volgger, Center Interdisziplinäre Geschlechterforschung Innsbruck (CGI)
laura.volgger@uibk.ac.at

Kooperationspartner*innen/ Beirat:

Georg Lembergh, Filmregisseur*in

Johanna Brunner, Leiterin des Amtes Ehe und Familie in Südtirol

Cinzia Cappelletti, Ehem. Leitung der Familienberatungsstelle Lilith in Meran

Veronika Hofinger, Universität Innsbruck/ Rechts- und Kriminalsoziologie

Heidi Siller, Universität Klagenfurt/ Psychologie

Caroline Voithofer, Universität Innsbruck/ Rechtswissenschaften

Petra Flieger, Freie Wissenschaftler*in, Innsbruck

Das Drittmittelprojekt "Sexualisierte Gewalt in Südtirol" wird gefördert von der Autonomen Provinz Bozen-Südtirol, der Stiftung Südtiroler Sparkasse und der Universität Innsbruck.