Bohrkernentnahme am Calafquén-See in Chile
Die Forscher um Jasper Moernaut nehmen Bohrkerne am Calafquén-See in Chile, im Hintergrund der Vulkan Villarrica.

Verhee­rende Erd­beben wieder­holen sich regel­mäßig

Bei der Analyse von Sedimentkernen aus chilenischen Seen entdeckte ein internationales Team von Wissenschaftlern, dass sich sehr große Erdbeben in relativ regelmäßigen Abständen wiederholen. Berücksichtigt man auch kleinere Erdbeben, so wird das Wiederholungsintervall immer unregelmäßiger, bis hin zu einem Ausmaß, wo Erdbeben zeitlich zufällig auftreten.

„Im Jahr 1960 wurde das südliche Zentral-Chile vom größten bekannten Erdbeben auf der Erde mit einer Stärke von 9,5 erschüttert. Der dabei ausgelöste Tsunami war so gewaltig, dass er - neben der Überschwemmung der chilenischen Küste - über den Pazifik tobte und in Japan sogar etwa 200 Menschen tötete", erzählt Jasper Moernaut, Assistenzprofessor an der Universität Innsbruck und Erstautor der Studie. „Zu verstehen, wann und wo solche verheerenden Erdbeben in Zukunft auftreten können, ist eine wichtige Herausforderung für uns Geowissenschaftler.“
Es wird allgemein angenommen, dass sehr große Erdbeben so viel Energie freisetzen, dass sich der Stress über mehrere Jahrhunderte aufbauen muss, um ein neuerliches großes Erdbeben zu produzieren. Daher reichen seismologische Daten oder historische Dokumente einfach nicht weit genug zurück, um die Muster ihres Wiederauftretens aufzudecken. „Es ist ein dauerndes Thema hitziger Debatten, ob wir die Wiederholungen von großen Erdbeben als quasi-regulären oder zufälligen Prozess in der Zeit modellieren sollten“, sagt Moernaut. „Natürlich hat die Entscheidung für eines der beiden Modelle sehr große Auswirkungen darauf, wie wir die tatsächliche seismische Gefährdung in Chile für die kommenden Jahrzehnte bis Jahrhunderte einschätzen."

Sedimente erzählen Geschichte

Jasper Moernaut hält einen der Bohrkerne.
In ihrem kürzlich erschienenen Beitrag im Fachmagazin Earth and Planetary Science Letters präsentierte Moernauts Team aus belgischen, chilenischen und schweizerischen Forschern einen neuen Ansatz, um das Problem des Wiederauftretens großer Erdbeben zu lösen. Durch die Analyse von Sedimenten auf dem Grund zweier chilenischer Seen erkannten sie, dass jedes starke Erdbeben Erdrutsche hervorruft, die in den Sedimentschichten, die sich auf dem Seeboden ansammeln, erhalten bleiben. Durch die Analyse dieser Schichten in bis zu 8 m langen Sedimentkernen konnten die Wissenschaftler die gesamte Erdbebengeschichte der letzten 5000 Jahre nachvollziehen, mit bis zu 35 großen Erdbeben mit einer Stärke von mehr als 7,7.

Sehr große Beben alle 300 Jahre

„Wirklich außergewöhnlich ist die Tatsache, dass in einem See die Erdrutsche nur bei den stärksten Erschütterungen (wie bei einem Beben der Stärke 9) auftreten, während der andere See auch auf 'kleinere' Erdbeben der Stärke 8 reagierte", sagt Maarten Van Daele von der Universität Gent in Belgien. „Auf diese Weise konnten wir die Muster vergleichen, in denen Erdbeben unterschiedlicher Stärke auftreten. Wir mussten nicht erraten, welches Modell das Beste ist, sondern konnten es einfach aus unseren Daten ableiten."
Mit diesem Ansatz fand das Team heraus, dass riesige Erdbeben (wie 1960) alle 292 ±93 Jahre wiederkehren und somit die Wahrscheinlichkeit für solche Großereignisse in den nächsten 50-100 Jahren sehr gering ist. Die "kleineren" Erdbeben der Stärke 8 ereigneten sich jedoch alle 139 ±69 Jahre und die Wahrscheinlichkeit, dass ein solches Ereignis in den nächsten 50 Jahren eintritt, liegt bei rund 30 Prozent. Seit 1960 ist das Gebiet seismisch sehr ruhig, aber ein Erdbeben der Stärke 7,6 am 25. Dezember 2016 in der Nähe der Insel Chiloé deutet auf ein Wiederaufflammen großer Erdbeben im südlichen Zentral-Chile hin.

Vergleiche mit anderen Regionen

„Diese chilenischen Seen bieten eine fantastische Möglichkeit, die Wiederholung von Erdbeben zu untersuchen", sagt Moernaut. „Die Gletschererosion während der letzten Eiszeit führte zu einer Reihe von großen und tiefen Seen oberhalb der Subduktionszone, in der die stärksten Erdbeben entstehen. Wir hoffen, dass wir unseren Ansatz auf ganz Südamerika ausdehnen können, so dass wir herausfinden können, ob zum Beispiel Erdbeben immer in den gleichen Segmenten brechen, oder sehr große Erdbeben der Stärke 9 auch in anderen Gebieten des Landes auftreten können."
„Inzwischen haben wir bereits ähnliche Studien in Seen in Alaska, Sumatra und Japan initiiert", erzählt Marc De Batist von der Universität Gent. „Wir freuen uns auf einige spannende Vergleiche zwischen den Daten dieser Regionen und werden sehen, ob die chilenischen Muster auch für andere Gebiete gelten, die in der Vergangenheit sehr große Erdbeben der Stärke 9 und größer erlebt haben.“ Gemeinsam mit Michael Strasser hat Jasper Moernaut kürzlich mit vergleichbaren Untersuchungen auch in österreichischen Seen in Tirol und Kärnten begonnen. Da Erdbeben hier seltener auftreten, ist es umso schwieriger, ihre Wahrscheinlichkeit und das mögliche Ausmaß abzuschätzen.

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