Blick auf Innsbruck
Vegetation in Städten reagiert auf erhöhte urbane Temperaturen weniger sensitiv

Stadt­pflanzen sind anders

Ökologen der Uni Innsbruck haben gemeinsam mit Südtiroler Fachkollegen zwölf Millionen Einträge pflanzenphänologischer Zeitreihen aus 26 europäischen Ländern ausgewertet. Fazit: Bäume und Sträucher in Städten reagieren auf die erhöhten urbanen Temperaturen weniger sensitiv, als dies die Wissenschaft bisher wegen der klimawandelbedingten jährlichen Temperaturzunahme erwarten würde.

„Natürlich gibt es im Zuge der weltweit intensiven Forschung erste empirische Hinweise darauf, dass sich Pflanzen in Städten aus vielen Gründen anders an den Klimawandel anpassen, als die Vegetation im naturnahen Umland. Bisher jedoch hält sich übergeordnet weitgehend die wissenschaftliche Annahme, dass das Stadtklima wie ein Freilandlabor Aufschlüsse über die Auswirkungen eines möglichen, allgemein wärmeren zukünftigen Klimas auf Pflanzen und Tiere geben könnte. Dies ist laut unserer Datenauswertung aber nicht der Fall. Die Temperaturerhöhung in Städten ist, was die Phänologie – also die jahreszeitliche Entwicklung von Pflanzen - betrifft, kein Analog für ein zukünftiges Landklima“, sagt Prof. Georg Wohlfahrt vom Institut für Ökologie zu den jetzt im Fachjournal Nature Ecology & Evolution publizierten Ergebnissen.

Die Wachstumsperiode von Pflanzen in urbanen Räumen ist laut dieser Auswertung bei 256 Pflanzenarten an rund 20.000 Standorten vom nordfinnischen Kevo bis zum südspanischen El Rubio und vom westirischen Knightstown bis zum ostfinnischen Mekrijärvi deutlich verlängert. Durch den städtischen Wärmeinsel-Effekt lassen – wie bisher bereits bekannt - Stadtbäume ihre Blätter im Herbst später fallen, während sie im Frühjahr zeitiger mit der Blattentfaltung beginnen. Trotzdem reagieren sie auf die erhöhten urbanen Temperaturen weniger sensitiv, als man es auf Basis der klimawandelbedingten jährlichen Temperaturzunahme erwarten würde.

In ganz Europa beginnt die Vegetation gemäß der publizierten Daten in urbanen Räumen im Mittel um ein bis drei Tage früher mit der phänologischen Frühjahrsphase der Blattentfaltung als im naturnahen Umland. Um dieselbe Zeitspanne später tritt in Städten die phänologische Herbstphase mit Blattverfärbung und Blattfall ein. „Drei Tage mag nicht nach viel klingen, allerdings entspricht dies jener durch den Klimawandel bedingten Veränderung, die wir momentan im Verlauf von beinahe zehn Jahren feststellen. Einfach gesagt, der Einfluss der globalen Erwärmung auf die Natur nimmt Fahrt auf und auch das dadurch deutlich veränderte Stadtklima stellt uns vor große Herausforderungen“, sagt Wohlfahrt.

Stadtklima feindiagnostisch verstehen

Weshalb aber sprechen Stadtpflanzen weniger empfindlich auf zusätzliche Erwärmung an?Antworten auf diese Frage wird laut den Forschern erst ein feindiagnostisches Verständnis des Stadtklimas und der Anpassung der urbanen Vegetation an diese spezifischen Lebensbedingungen liefern können. Die Forschungsherausforderung „Stadtklima“ bringt Wohlfahrt so auf den Punkt: „Wir brauchen hier noch feiner aufgelöste Daten. In erster Linie zu urbanen Temperaturen, jedoch auch zu vielen weiteren Faktoren, Das sind unter anderem: Luft- und Lichtverschmutzung, künstliche Standortfaktoren, wie etwa beschränktes Bodenvolumen, veränderte biotische Wechselwirkungen, z.B. Bestäubung“. Außerdem muss laut den Forschern berücksichtigt werden, dass das Mikroklima in Städten räumlich extrem unterschiedlich ist.

Hintergrund dieser Forschung: Wohlfahrt hat gemeinsam mit Albin Hammerle vom Institut für Ökologie der Uni Innsbruck und Enrico Tomelleri von der Freien Universität Bozen erstmals die Temperatursensitivität der Vegetation im Vergleich zum Urbanisierungsgrad ausgewertet. Basis dafür waren rund zwölf Millionen Einträge zu pflanzenphänologischen Beobachtungen zwischen 1981 und 2010 zu 256 Pflanzenarten an insgesamt rund 20.000 Standorten der Paneuropäischen Phänologischen Datenbank (PEP725) der Österreichischen Zentralanstalt für Meteorologie und Geodynamik (ZAMG) mit Sitz in Wien. Nötig dafür war auch der Versuch einer Bestimmung, was denn überhaupt urban ist. Hier wurden bestimmte – so genannte Gradienten verwendet, denn einheitlich definiert ist urban bislang nicht.

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