Blatt und Reagenzglas
Die Natur liefert zahlreiche Wirkstoffe.

Labo­rato­rium der Natur

Ob als Tee, Auszug oder Salbe – Pflanzen spielen in der Volksmedizin eine wichtige Rolle. Innsbrucker Pharmazeutinnen und Pharmazeuten nutzen dieses Wissen und versuchen, im Rahmen eines nationalen Forschungsnetzwerkes neue Wirkstoffkandidaten gegen Entzündungen zu finden.

Entzündung ist ein wichtiger Mechanismus im menschlichen Körper, der zeigt, dass das Immunsystem aktiviert wird. Mithilfe dieser Immunreaktion sollen Krankheitserreger oder Giftstoffe aus den Gewebszellen entfernt werden. Wenn die Entzündung allerdings chronisch wird, kann sie zum Problem werden. Außerdem spielen Entzündungen bei zahlreichen Erkrankungen eine Rolle. „Arteriosklerose, das Metabolische Syndrom oder auch verschiedene Krebserkrankungen haben alle gemeinsam, dass mit ihnen entzündliche Prozesse verbunden sind, für die bislang noch keine zufriedenstellende Therapie gefunden wurde“, erklärt Dr. Birgit Waltenberger vom Arbeitsbereich für Pharmakognosie am Institut für Pharmazie der Uni Innsbruck. „Deshalb haben wir uns auf die Suche nach neuen bioaktiven Wirkstoffkandidaten speziell für den Einsatz gegen Erkrankungen des kardiovaskulären Systems gemacht.“ Die Pharmazeutin war dabei in ein nationales Forschungsnetzwerk von sechs österreichischen Universitäten sowie internationalen Kooperationspartnern eingebunden, das von Prof. Hermann Stuppner vom Innsbrucker Institut für Pharmazie geleitet wurde. Um mögliche Wirkstoffkandidaten zu finden, bedienten sich die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler am Labor der Natur. 70 bis 80 Prozent der am Markt befindlichen Antibiotika basieren auf Naturstoffen und rund 50 Prozent aller Arzneistoffe insgesamt sind Naturstoffe oder leiten sich davon ab. Wenig überraschend also, dass die Wissenschaftler von hohen Erfolgschancen ausgingen. „Pflanzen, aber auch Algen, Flechten und Pilze biosynthetisieren zielgerichtet chemische Verbindungen, so genannte Naturstoffe, unter anderem um Fraßfeinde und Mikroorganismen abzuwehren oder um Signalwirkungen abzugeben. Dieses chemische Laboratorium der Natur stellt eine unerschöpfliche Quelle an bioaktiven Substanzen dar“, ist Waltenberger überzeugt.

Methodenkombination

Um passende Wirkstoffe gegen Entzündungen im kardiovaskulären Bereich zu finden, verfolgten sie mehrere Ansätze: „Zum einen griffen wir auf volksmedizinisches Wissen zurück“, erläutert die Pharmazeutin. So untersuchten sie Heilpflanzen aus der traditionellen Volksmedizin Chinas, Vietnams und Südamerikas, um mögliche Hinweise auf entzündungshemmende Wirkstoffe zu finden. Neben diesem alten Wissen setzten die Pharmazeuten auch auf computergestützte Methoden: Mithilfe von Computermodellen screenten sie virtuelle Datenbanken tausender Naturstoffe. „Hierbei geht man von Eigenschaften eines Moleküls, die für eine hohe Aktivität am jeweiligen Rezeptor notwendig sind, aus und gleicht diese mit in Datenbanken vorhandenen Naturstoffen ab “, erklärt Birgit Waltenberger. „Weiters untersuchten wir eine Vielzahl von Pflanzen, vor allem aus den Alpen, auf ihre entzündungshemmende Wirkung. Extrakte, die eine starke Aktivität zeigten, wurden im Anschluss genauer analysiert, um die für die Aktivität verantwortlichen Wirkstoffe zu finden. Im Anschluss isolierten wir die mithilfe dieser Methoden identifizierten Naturstoffe aus dem jeweiligen Extrakt und testeten sie in verschiedenen, vor allem zellulären Entzündungsmodellen auf ihre Wirksamkeit.“

Vielversprechende Ergebnisse

Mithilfe dieser Methodenkombination stießen die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler auf einen Wirkstoff der sehr vielversprechend zu sein scheint und auch nach Beendigung des Projektes weiter untersucht wird: Die Rinde des Regenwald-Baumes Himatanthus sucuuba wird in Südamerika traditionell gegen entzündliche Erkrankungen eingesetzt. Die genaue Untersuchung des Rindenextraktes dieses Baumes bestätigte seine Wirkung: „Die Rinde dieses Regenwald-Baumes enthält Plumericin, ein Wirkstoff, der in unseren Untersuchungen eine außergewöhnlich hohe Aktivität gezeigt hat“, erklärt Waltenberger. Plumericin hemmt einen wichtigen Signalweg des menschlichen Körpers. Die Aktivierung dieses Signalweges wird mit verschiedenen entzündlichen Erkrankungen in Zusammenhang gebracht. „Plumericin zeigte in unseren Test eine so hohe Aktivität an diesem Signalweg, dass noch zahlreiche weitere Tests folgen werden“, erklärt Birgit Waltenberger. Zwei weitere erfolgsversprechende Wirkstoffkandidaten fanden die Wissenschaftler im Edelweiß: „Das aus der Alpenpflanze isolierte Leoligin zeigte in den Tests eine besonders hohe Aktivität gegen Gefäßwandverdickungen und könnte damit zur Vorbeugung von Herzinfarkt eingesetzt werden. Ein natürliches Derivat von Leoligin, 5-Methoxy-Leoligin, zeigte besonders gute Ergebnisse in einem Zellmodell für Herzinfarkt: Die Herzleistung wurde verbessert und die Schädigung der Herzmuskelzellen war bei Einsatz des 5-Methoxy-Leoligins geringer. Somit ist diese Substanz ein Wirkstoffkandidat für die Therapie von Herzinfarkt“, beschreibt Waltenberger. Auch Substanzen aus der für ihre leberprotektive Wirkung bekannten Mariendistel zeigten in den Untersuchungen entzündungshemmende Eigenschaften. Weitere im Projekt als erfolgsversprechende Naturstoffe identifizierte Substanzen sind das Ostruthin aus der Meisterwurz, Depside aus Flechten, Honokiol aus der Magnolie und Iridoide aus der Teufelskralle.

Trotz der hervorragenden Aktivität all dieser Substanzen betont Birgit Waltenberger allerdings, dass diese Wirkstoffe zumindest in nächster Zeit nicht in der Apotheke zu finden sein werden. „Wir betreiben Grundlagenforschung, das heißt wir versuchen die Wirksamkeit und Wirkungsweise von Substanzen genauer zu verstehen. Bis zum fertigen Medikament sind zahlreiche weitere Schritte notwendig, die eine Universität alleine nicht leisten kann“, so Waltenberger. „Allerdings glauben wir einige Kandidaten für sogenannte Leitstrukturen entdeckt zu haben, Strukturen also, die aufgrund ihres Wirkstoffdesigns als Ausgangspunkt für die Entwicklung von Arzneistoffen dienen können.“

Dieser Artikel ist in der Dezember-Ausgabe des Magazins „wissenswert“ erschienen. Eine digitale Version ist hier zu finden (PDF).

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