Der Große Baaltempel in Palmyra.
Der vor kurzem zerstörte Große Baaltempel in Palmyra ist ein Symbolbild für imperiale Erinnerungsräume. (Bild: Rollinger)

Imperien im Kommen

Die Sowjetunion, das Imperium Romanum, das Großreich Dschingis Khans oder die Habsburgermonarchie – sie alle haben eines gemeinsam: Sie waren Großreiche, sogenannte Imperien. Robert Rollinger, Professor am Institut für Alte Geschichte und Altorientalistik, beschäftigt sich mit dem Aufstieg und Zerfall von Imperien sowie deren aktueller Bedeutung im Kontext ihrer historischen Wurzeln.

Gemeinsam mit Michael Gehler, Zeithistoriker am Institut für Geschichte der Universität Hildesheim, fokussiert Robert Rollinger die Debatte über Imperien als modernen Zug in der Geschichtswissenschaft: „Mit dem Zusammenbruch der Sowjetunion, dem Ende des Kalten Krieges und der Dominanz der USA wurde eine Krise der Nationalstaaten im europäischen Umfeld und darüber hinaus eingeläutet. Imperien als Ordnungssysteme und deren starker Bezug zur Zeit- und Politikgeschichte werden wieder aktuell. Dass sich ein Zeithistoriker und ein Althistoriker gemeinsam in ein Boot setzen und Projekte schmieden, ist einzigartig und charakterisiert unseren spezifischen Ansatz“, so Rollinger. Imperiale Staatsformen sind kein altes Phänomen, sondern kommen in der Geschichte immer wieder vor. „Für jeden Historiker ist es wichtig, die Relevanz der eigenen Forschung für die Gegenwart zu benennen und dies auch den Studierenden zu vermitteln. Die Auseinandersetzung mit Imperien ist wie ein Fahrstuhl in die Vergangenheit. Wir können das, was heute passiert, in einer historischen Tiefendimension analysieren und man sieht, dass die alten Welten plötzlich ganz viel mit der Gegenwart und diese wiederum hat ganz viel mit den alten Welten zu tun“, erklärt Rollinger seine Perspektive des Gebens und Nehmens in der Geschichte.

Imperiale Größe

„Das menschliche Leben ist ebenso komplex wie menschliche Organisationsformen – das gilt für früher ebenso wie für heute“, sagt der Historiker. Imperiale Staatsformen seien im Hinblick auf Völker und Sprachen besonders heterogen. Hier unterscheiden sie sich vor allem vom Nationalstaat, der sich meist an einer Sprache orientiert. Die Vielsprachigkeit zeigt sich nicht nur in der individuellen Ausdrucksform, sondern auch in der Bürokratie, in der sich unterschiedliche Perspektiven sowie ein heterogenes Bewusstsein in den verschiedenen Sprachen ausprägen. „Ein modernes Beispiel dafür ist die Habsburgermonarchie. Dieser sehr heterogene Staat bestand aus verschiedenen Landesteilen und unterschiedlichen Volksgruppen, die mehrere Sprachen gesprochen haben. Diese Vielsprachigkeit findet sich auch im amtlichen Selbstverständnis sowie den Verlautbarungen des Staates wieder“, so der Wissenschaftler. Weiters kennzeichne ein Imperium, dass keine festen Grenzen erkennbar seien. Rollinger spricht eher von Interventionsreichweiten, mit denen eine überregionale Herrschaft, die weit über das direkt beherrschte Gebiet hinausgeht, angestrebt werde. Auch wenn dazu kontroverse wissenschaftliche Diskussionen geführt werden, so führt Rollinger als Beispiel doch die USA an, die weltweit militärische Stützpunkte halten und so Interventionsreichweiten von globaler Dimension erreichen. Auch sieht er hier das Moment der Vielsprachigkeit, vor allem im Bezug auf die Bedeutung von Spanisch in den USA sowie die vielen Sprachen der Indigenen als Kriterium eines Imperiums gegeben. Imperien entwickeln zudem eine große ökonomische Potenz sowie ihre eigene Ideologie, die auch von den Bewohnerinnen und Bewohnern getragen wird. „Natürlich haben Ideologien, wenn wir sie an den Realitäten messen, ein Problem, da sie diesen nie entsprechen können. Wie lässt sich ein Weltherrschaftsanspruch aufrechterhalten, wenn man gar nicht die ganze Welt beherrscht? Hier entwickeln die Imperien unterschiedlichste Strategien. Das antike Perserreich beispielsweise ignorierte einfach alles, was außerhalb seiner Einflusszone passierte. Oder auch das Imperium Romanum: Die Welt, die es beherrschte, war nicht die ganze Welt, aber die zivilisierte Welt“, erklärt Rollinger. Realität und Fiktion liegen hier so nahe beieinander, dass es vor allem mit dem Wachsen des geographischen Weltbewusstseins immer schwieriger wurde, imperiale Ideologien aufrecht zu erhalten. „Die Selbstwahrnehmung von Imperien ist oft aufgebläht und mit entsprechendem Zeremoniell verbunden. Kratzt man etwas an diesem ungeheuren Machtanspruch, so kann es relativ schnell zum Vertrauensverlust und damit zur Aushebelung der Strukturen kommen – das ganze System zerfällt“, erklärt Rollinger mögliche Ursachen für den raschen Zusammenbruch von Imperien.

Erinnerungsräume

Der Althistoriker und sein Team untersuchen aber nicht nur die Rolle der Imperien in vergangenen Zeiten, sondern auch, wie diese Ideologien und die damit verbundenen Herrschaftskonzeptionen, nach dem Zerfall von Imperien in transformierter Form weiter existieren. Es lässt sich beobachten, dass sich nachfolgende Staatswesen auf diese Imperien beziehen, sie in ihre Historiografien einbetten und sie nach wie vor als Legitimationsinstrument benützen. Das vorangegangene Imperium wird Teil eines erweiterten Geschichtsbewusstseins, das nicht nur durch ein neutrales Interesse an Geschichte, sondern vor allem auch durch politische Absichten und Legitimationsstrategien getragen und geleitet wird. Rollinger führt hier das Imperium Romanum oder das Großreich Dschingis Kahns als Beispiele an, auf die spätere Reichsbildungen rekurrieren: „Imperien sterben nicht mit dem Untergang, sondern sie werden memoriert und bilden einen Teil des späteren Gedächtnisses.“ Das von Rollinger gewählte Titelbild symbolisiert genau diese Erinnerungskultur, die unsere heutige Sichtweise prägt. Der Große Baaltempel in Palmyra, noch vom Wissenschaftler selbst fotografiert, wurde erst vor wenigen Monaten von Terroristen des IS vernichtet. „Obwohl er nach 1900 Jahren physisch nicht mehr existiert, ist er aber nicht verschwunden, sondern lebt in unserer Erinnerung, in Fotos und Plänen weiter“, sagt Rollinger. Auf der einen Seite steht das Erinnern, das häufig auch von politischen Interessen geleitet ist. Auf der anderen Seite wollen imperiale Zeugnisse auch dauerhaft sein – nicht umsonst wird in Stein gebaut. Die Erinnerung an eine vermeintlich glorreiche Vergangenheit sowie die aktive Kommunikation der Imperien mit ihren Nachwelten stellen sicher, dass Imperien auf keinen Fall in Vergessenheit geraten.

Nationalstaaten aus den Trümmern von Imperien

Wir waren es lange gewohnt, in nationalstaatlichen Kategorien zu denken. Betrachtet man dies historisch, dann wird klar, dass es sich dabei um ein sehr junges Phänomen, das erst im 18. Jahrhundert entstanden ist, handelt. Immer, wenn man etwas Neues schafft, macht man dies im Glauben, es sei für die Ewigkeit – aber vielleicht ist es nur ein kurzer Augenblick in der Weltgeschichte“, sagt Rollinger. Der Historiker betont, dass Nationalstaaten auf den Trümmern von Imperien geschaffen wurden. Der Zerfall der Habsburgermonarchie, des Osmanischen Reichs oder des zaristischen Russlands endete in der Entstehung von neuen Nationalstaaten. „Man hat fast den Eindruck, als wären Imperien wieder am Kommen“, so Rollinger, der betont, dass die Debatte um Imperien nicht in ein akademisches Paralleluniversum führe, sondern in einen starken zeitgenössischen Kontext eingebettet sei. Vor allem das globale Agieren der USA habe diese Diskussion wieder verstärkt entfacht, obwohl die Bürgerinnen und Bürger der Vereinigten Staaten eine imperiale Komponente ihres Staates oft vehement in Abrede stellen, sehen sie sich doch als eine Nation, die sich aus dem British Empire herausgelöst hat.

Blick weiten

Die beiden Wissenschaftler sind bemüht, viele Spezialdisziplinen in die Diskussion zu integrieren und so den Blick für globalhistorische Zusammenhänge zu schärfen sowie die interdisziplinäre Zusammenarbeit zu fördern. „Egal ob als Spezialistin oder Spezialist für Afrikanistik, Iranistik, Turkologie oder Sinologie – wir stellen uns die Frage, was wir als Vertreterinnen und Vertreter unserer Fächer für eine erweiterte globalhistorische Perspektive beitragen können. So entstehen neue Blickwinkel und Fragestellungen“, präzisiert Rollinger. Der Historiker plädiert auch dafür, den eurozentrischen Blickwinkel aufzuweichen und Geschichte global zu betrachten: „Wenn man sich näher mit Imperien beschäftigt, dann stellt man fest, dass man damit ein faszinierendes Tool erhält, Weltgeschichte als ein Gewebe miteinander kommunizierender Großräume zu betrachten. Imperiengeschichte eröffnet damit einen oft neuen und interdisziplinär vernetzten Blick sowohl auf die Vergangenheit als auch auf die Gegenwart. So entstehen neue Räume der historischen Orientierung und des Verständnisses historischer Zusammenhänge, die globalhistorisch ausgerichtet sind und helfen, die eurozentrisch geprägte Sicht auf die Welt und ihre Geschichte aufzubrechen.“

Links

  • Nach oben scrollen