Gerty Dambury und Catherine Parayre in Innsbruck.
Gerty Dambury und Catherine Parayre in Innsbruck.

Franko­phonie von Ontario bis Gouade­loupe

Drei frankophone Autorinnen in Kanada außerhalb von Québec, und ein kleines Mädchen aus Gouadeloupe, das nicht locker lässt, weil es verstehen will, warum seine Lehrerin verschwunden ist: Die jährliche Woche der Frankophonie im März wurde von zwei Länderzentren zum Anlass genommen, die französischsprachige Literatur außerhalb Frankreichs zu präsentieren.

Am Montag, den 20.3.2017, sprach auf Einladung des Kanada-Zentrums, das im Jahr 2017 sein 20-jähriges Bestehen feiert, und der Kanadischen Botschaft die Literaturwissenschaftlerin Catherine Parayre (Univ. Brock, Ontario) über drei junge frankophone Autorinnen: Tina Charlebois (Ontario), Sonia Lamontagne (Ontario) und Georgette LeBlanc (Nouvelle-Ecosse) stehen für die frankophone Literatur Kanadas außerhalb von Québec. Identitätsfragen dominieren dieses Schreiben, das im Gegensatz zur Quebecer Literatur, die sich auf die frankophone Mehrheit in der „Belle Province“ stützen kann, aus einer sprachlichen Minderheitenposition heraus um Gehör ringt. Hier ein Gedicht von Tina Charlebois:

Obligations langagières
Je français ma langue / ma tête
Je francophone ma garde-robe / ma bouteille d’eau / ma tapette à mouches
Je franco-ontarienne mes champlures [intempérances] / mon plaisir pour le profane / et les gouttes de vinaigre
Je m’oblige / à une culture que je ne réussis jamais / à cultiver / […]
Mais seule la fenêtre me répond / dans une langue / que je comprends

Die Veranstaltung am Tag der Frankophonie fand im Institut franco-tyrolien im Stadtturm statt und richtete sich an ein breites Publikum. Für das universitäre Publikum sprach Catherine Parayre am Freitag, den 24.3.2017, im Institut für Romanistik. Davor hatte sie zwei Gymnasien in Wörgl und in Bregenz besucht und mit ihren lebendigen Ausführungen und beeindruckenden Projektionen von Werken junger kanadischer Künstler auch ein ganz junges Tiroler Publikum begeistert.

Der Dienstag, der 21.3.2017, stand ganz im Zeichen der französischen Überseeprovinz Gouadeloupe und der dort geborenen Autorin Gerty Dambury. Der Frankreich-Schwerpunkt hatte die in Lyrik und Roman wie auf dem Theater gleichermaßen beheimatete Dichterin eingeladen, deren Leben sich zwischen Pointe-à-Pitre und Paris abspielt. Nach einer Begegnung mit SchülerInnen zweier Gymnasien und einem Workshop mit Studierenden der Translationswissenschaft war der Höhepunkt des Besuchs die öffentliche Lesung in der Claudiana, in der Dambury ihren Roman „Les rétifs“ vorstellte. Sie erklärte: „Ich wollte eine historische Begebenheit, die ich in meiner Kindheit miterlebt hatte, nämlich die Streiks und Unruhen in Pointe-à-Pitre im Jahr 1967, bei denen die Sicherheitskräfte in die Menge schossen und etliche Protestierende getötet wurden, aus der Perspektive verschiedener Beteiligter zeigen und die Geschichte erzählen, die zu dieser Situation geführt hat.“

Heldin des Romans ist ein kleines Mädchen, dessen geliebte Lehrerin auf einmal verschwunden ist und die darauf beharrt, unter dem Baum im Hof sitzen zu bleiben, bis ihr Vater heimkehren und ihr die Ereignisse erklären wird. Der Vater ist aber ebenfalls tagelang nirgends aufzufinden. Daher rufen die Geschwister des Mädchens die Verstorbenen an, die helfen sollen, die Frage nach der Lehrerin aufzuklären. Diese erscheinen auch und erzählen, sind aber oft viel mehr mit ihrem eigenen Schicksal beschäftigt als mit der Antwort auf die Frage – etwa die uralte Dame aus der Nachbarschaft, die sich beklagt, dass sie im Himmel nicht Quadrille tanzen könne, weil die Bestatter ihr ein Bein abgesägt hätten … Die seltsame Welt der Antillen füllt sich so mit skurrilen, aber liebenswerten Bewohnern, aus deren Erzählungen die soziale und politische Situation indirekt, aber nach und nach immer deutlicher hervorgeht. Ein zärtliches und humorvolles Herangehen also an ein durchaus ernstes Thema. Das Publikum fühlte sich bereichert und angeregt durch diese lebendige Begegnung mit einer ganz eigenen Facette der französischen Literatur.

(Eva Lavric/Ursula Moser)

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