Zwei große gesellschaftliche Entwicklungen sind im Moment sehr virulent: der technologische Wandel sowie die Globalisierung und die damit verbundenen Migrationsströme. „Neue Technologien und die Mobilität von Kapital und Arbeit verändern die Produktionsfunktion der Unternehmen und damit Preise und Löhne“, sagt der Innsbrucker Ökonom Martin Halla. „Konkreter gesprochen, wenn jemand eine Tätigkeit ausführt, die auch von Maschinen erledigt werden kann, dann sinkt die Nachfrage nach diesem Beruf. Das gilt auch für Migration: Kommen neue Arbeitskräfte ins Land, die eine bestimmte Tätigkeit ausüben können, steigt der Druck auf diese Berufsgruppe.“ Umgekehrt kann es aber auch sein, dass andere Berufe von diesen Entwicklungen profitieren. „Zum Beispiel kann ich mit einem schnelleren Computer produktiver werden, für mich ist das von Vorteil. Oder auch die Zuwanderung eines ausländischen Forschers, mit dem ich eine gute Kooperation aufbaue, kann mich produktiver machen“, sagt Martin Halla, der am Institut für Finanzwissenschaft der Universität Innsbruck forscht. Die Folgen des Wandels können für verschiedene Berufsgruppen sehr unterschiedlich sein.
Druck auf die Mittelschicht
In der Ökonomie viel diskutiert wird in diesem Zusammenhang die Polarisierungshypothese, wonach durch die Digitalisierung viele Routinetätigkeiten von Computern übernommen werden und davon vor allem das mittlere Segment der Berufstätigen betroffen ist. Martin Halla verdeutlicht das an einem Beispiel: „Bevor es Tabellenkalkulationen gegeben hat, wurden noch mehr Buchhalter benötigt. Diese Tätigkeiten werden heute zum Teil durch Software erledigt.“ Ein Staubsaugerroboter allein hingegen kann eine Reinigungskraft noch nicht ersetzen. Auch höhere Berufe sind von der Automatisierung nicht so stark gefährdet. Der technologische Wandel setzt also vor allem Menschen unter Druck, die eine mittlere Qualifikation haben und Routinetätigkeiten ausüben. In den USA lässt sich dieser Trend in den vergangenen Jahrzehnten sehr deutlich nachweisen. „Hochqualifizierte Berufe haben dagegen von der technologischen Innovation enorm profitiert. Bei den Niedrigausgebildeten gab es keine große Veränderung. Ein ähnlicher Trend lässt sich auch in anderen Ländern nachweisen“, schildert Martin Halla.

aus: The Polarization of Job Opportunities in the U.S. Labor Market. Implications for Employment and Earnings. David Autor, MIT Department of Economics and National Bureau of Economic Research, April 2010
Druck auf gut Ausgebildete
Insbesondere für gut Ausgebildete verschwimmen die Grenzen zwischen Arbeit und Freizeit zusehends: Sonntags noch schnell ein paar Mails beantworten, am Abend an einem Online-Meeting teilnehmen oder vor dem Einschlafen den Tag auf Twitter, Facebook oder Instagram Revue passieren lassen: Smartphone, Tablet und Co. sind unsere ständigen Begleiter. Der Wirtschaftsinformatiker Ulrich Remus interessiert sich für den Einsatz von IT in Kommunikationsprozessen innerhalb von und zwischen Unternehmen. „Ich muss zugeben, dass ich den Auswirkungen der Digitalisierung vor allem im Zusammenhang mit Social Media ursprünglich eher negativ gegenübergestanden bin. Mittlerweile habe ich aber festgestellt, dass ein Schwarz-Weiß-Denken hier wenig Sinn macht. Die Individualität der Menschen bezieht sich gleichermaßen auch auf ihr Stressempfinden: Wir befinden uns mittlerweile in einer Situation, in der wir eigentlich nie ganz offline sind. Vergleichbar mit einem Lautstärkeregler wird Konnektivität höchstens runtergeregelt, aber nicht komplett ausgeschaltet.“ Im Rahmen eines Projektes mit einer Unternehmensberatung in München konnte das Team um Remus feststellen, dass es für viele der dortigen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter wesentlich belastender war, nicht auf ihre gewohnten Online-Verbindungen zugreifen zu können als ständig erreichbar zu sein. „Wichtig ist hier aber, zu betonen, dass dies eine kurzfristige Perspektive darstellt. Diese eher positive Einstellung zu konstanter Konnektivität lässt sich auch durch das Rollenverständnis und den damit verbundenen Erwartungen an die Konnektivität in der Unternehmensberatung erklären. Natürlich müssen langfristig auch Aspekte der Überlastung wie Burnout, Sucht oder Depression berücksichtigt werden.“ Dabei verstärkt die ständig hohe Konnektivität Erwartungen an die Verfügbarkeit solcher Verbindungen und kann durchaus auch starke Abhängigkeiten erzeugen, die negativ wirken.
„Wenn heutzutage während einer Zugfahrt kein Internet verfügbar ist, löst das bei vielen Menschen schon nach wenigen Minuten großes Unbehagen aus.“
Der Umgang mit digitalen Technologien beruht stark auf individuellen Faktoren. Aus der jahrelangen Forschungsarbeit kristallisierten sich vier verschiedene Konnektivitätstypen heraus. Alle Typen bewegen sich im Spektrum zwischen ständiger Verfügbarkeit bzw. Reaktionsbereitschaft und dem Grad von Autonomie, den Personen in Bezug auf Konnektivität empfinden. Der „Passenger“ beispielsweise geht in der virtuellen Kommunikation sehr überlegt und behutsam vor, möchte Missverständnisse unbedingt vermeiden und fühlt sich insgesamt im Umgang mit seiner Konnektivität eher unsicher. Dem gegenüber steht der so genannte „Bricoleur“, der dazu in der Lage ist, seine Kommunikationsform flexibel je nach Situation zu adaptieren. Er empfindet Konnektivität als Normalität, passt sie aber zum Beispiel an Wochenenden dementsprechend an. Der Konnektivitätstyp „Maniac“ umfasst Menschen, die ständig verfügbar sind: Sie kontrollieren ihre Mails, Nachrichten oder Social-Media-Kanäle sehr regelmäßig und reagieren rasch. Die Virtualität der Kommunikation ist bei diesem Typ nicht nur Normalität, sondern auch valider Ersatz für Face-to-Face-Kommunikation. Der vierte Konnektivitätstyp, der „Pragmatist“, nutzt virtuelle Kommunikation vorrangig, um Aufgaben zu erfüllen und bearbeitet Mails beispielsweise nur in gewissen Zeitfenstern. Was Ulrich Remus für alle genannten Typen wichtig hält, ist die Sensibilisierung für den persönlichen Umgang mit digitalen Informationssystemen. „Das Selbstmanagement im Hinblick auf den Grad der Konnektivität wird meiner Ansicht nach immer mehr zu einer sozialen Fähigkeit: Wir müssen lernen, situativ an- und abzuschalten, Informationen zu filtern und unser Konnektivitätsverhalten auch selbstkritisch zu überdenken.“
Mit Druck ins Burnout
Der Psychologe Jürgen Glaser beschäftigt sich unter anderem mit dem psychischen Druck, dem Menschen auch im Arbeitsumfeld ausgesetzt sind. „Studien zeigen, dass durch Arbeitsintensivierung und immer stärker erlebten Zeitdruck und Stress vor allem im Dienstleistungsbereich psychische Phänomene wie das Burnout-Syndrom zunehmen. Allerdings ist flexibles Arbeiten nicht grundsätzlich dafür verantwortlich zu machen. Flexible Arbeitszeiten, Gleitzeit oder auch die völlig freie Vertrauensarbeitszeit können das Leben auch erleichtern, da sie sich gut mit privaten Verpflichtungen vereinbaren lassen. Zum Problem wird es, wenn die Fähigkeiten zur Selbstorganisation fehlen oder auch, wenn vom Arbeitgeber unrealistische Zielvorgaben erwartet werden“, sagt der Psychologe. „Bei der Arbeit ist es nötig, Grenzen zu ziehen, seien es physische Grenzen – durch ein Arbeitszimmer beispielsweise –, zeitliche Grenzen oder auch psychologische Grenzen, damit sich Arbeit und Privatleben nicht miteinander vermischen. Das fällt natürlich manchen Menschen schwer.“
Es ist wichtig, Grenzen zu ziehen.
Das Auseinanderdriften zwischen hoch und niedrig qualifizierten Arbeitskräften ist belegt. Auch bei der Gefahr der psychischen Überlastung sieht der Psychologe Unterschiede, auch vor dem Hintergrund ökonomischen Drucks: „Was die einen an Autonomie zu wenig haben, selbst nicht regulieren können, wann sie arbeiten oder auch nicht arbeiten ist bei den anderen fast schon zu viel Freiheit – hier wird das Regulieren der Arbeitsmenge selbst schon zur Überforderung. In der Produktion gäbe es beispielsweise die Möglichkeit, durch Job-Rotation oder selbst organisierte Dienstpläne mehr Autonomie zu bekommen. Im hochqualifizierten Bereich muss darauf geachtet werden, dass ein Zuviel an Autonomie nicht zur Überforderung führt.“
Im Umgang mit beruflichen Belastungen empfiehlt der Experte, auf Balance zu achten: „Zum einen ist es sicherlich gut im Gespräch mit Kollegen und Vorgesetzten zu bleiben und Probleme anzusprechen und auf eine gesunde Balance zwischen Be- und Entlastung zu achten. Wenn man schon körperliche Symptome bemerkt, sollte man sich zum einen Unterstützung bei einem Facharzt suchen, zum anderen aber auch die Probleme beim Arbeitgeber ansprechen. Wenn sich dadurch an der Situation nichts ändert, muss man manchmal auch den Schritt gehen und einen Job verlassen. Getreu dem Motto: Change it, love it or leave it.“