Helbling-Haus in der Altstadt von Innsbruck
Die Fassade am Helbling-Haus in der Altstadt von Innsbruck bröckelt.

Den Ve­rfall histo­rischer Ge­bäude stoppen

Umweltverschmutzung und Witterung schädigen Gebäude der Innsbrucker Altstadt. Beim Helblinghaus bröckelt der barocke Stuck, beim Trautsonhaus droht Feuchtigkeit Renaissance-Malereien zu zerstören. Materialtechnologen der Uni Innsbruck forschen, um den Verfall zu verstehen und zu stoppen, Gebäude optimal restaurieren zu können und haltbare, umweltfreundlichere Baustoffe zu entwickeln.

Seit Jahrhunderten nutzen die Menschen Mörtel und Putze bei der Errichtung von Gebäuden. Diese Baustoffe bestehen aus Bindemitteln, Sand oder Kies sowie Wasser und erhärten kurz nach ihrer Vermischung. Obwohl sie hart wie Stein sind, können Witterungs- und Umwelteinflüsse die Materialien mit der Zeit schädigen und als Folge instabil werden lassen. In der Innsbrucker Altstadt macht sich das am mit barockem Stuck verzierten Helblinghaus bemerkbar. Die Fassade bröckelt und wurde, da durch möglicherweise herabfallende Teile Gefahr im Verzug war, von Expertinnen und Experten aus Bau- und Denkmalpflege gesichert. Dipl.-Ing. Dr. Anja Diekamp vom Arbeitsbereich für Materialtechnologie der Universität Innsbruck ist auf historische Baustoffe spezialisiert und untersucht nun, welche chemischen Reaktionen im Inneren des verwendeten Stuckmörtels zu dessen Zerstörung führen. „Wir versuchen grundlagenwissenschaftlich Materialien aus den vergangenen Jahrhunderten zu charakterisieren, Probleme zu ermitteln und Lösungen zu finden“, erklärt Anja Diekamp.

Salz mit Sprengkraft

Das Gestein Dolomit ist in Norditalien und Westösterreich ein verbreiteter Werkstoff. Das Interreg-V-A-Italien-Österreich-Projekt „ITAT2036 – DOLOMIA. Der Weg des Dolomia: die Reise des Gesteins in den Dolomiten“ untersucht unter anderem die Verwendung von Dolomit als Ausgangsmaterial für Bindemittel für Mörtel und Putze in der Region Tirol und Osttirol. In welchem Umfang auch für die Fassade des Helblinghauses Dolomitkalk verwendet worden ist, sollen die Untersuchungen der Innsbrucker Materialtechnologen zeigen. „Baustoffe aus Dolomit zeigen eine hohe Empfindlichkeit gegenüber Umweltverschmutzung, wie etwa Sulfatbelastung. Die hat es in Tirol durch den Bergbau im Unterinntal bereits im Mittelalter gegeben“, so Diekamp: „Zusammen mit eindringender Feuchtigkeit können sich im Inneren der Baustoffe schädigende Magnesiumsulfatsalze bilden.“ Mineralogische und strukturelle Untersuchungen zeigen, dass diese Salze ihr Volumen in Abhängigkeit vom Klima ändern. Durch Ausdehnung lockern sie die feste Struktur des Baumaterials, lassen es brüchig werden und können zu Abplatzungen von Oberflächen wie z. B. bei wertvollen Wandmalereien führen. Diese speziellen Salze können sich aber auch bei der gemeinsamen Verwendung von Dolomitkalk und Gips – oft Bestandteil von Stuck – bilden. Im Falle des Stucks am Helblinghaus deuten die ersten Untersuchungen auch auf dieses zerstörerische Duo hin.

Umweltfreundlichere Materialien

Salzausblühungen gibt es auch in Fassaden-Putz. Beim Trautsonhaus in der Innsbrucker Altstadt müssen Wandmalereien aus der Renaissance-Zeit vor Beschädigung geschützt werden. Hier kriecht Wasser im Mauerwerk nach oben. Das Problem wurde durch eine frühere Sanierung verursacht: Da zu dichte Materialien eingesetzt wurden, konnte die Feuchtigkeit nicht aus dem Mauerwerk entweichen. „Die Kristallisation von Salz kann dazu führen, dass sich jene Schichten ablösen, die die Malereien tragen. Wird dieser Prozess nicht unterbunden, kann der historische Bestand schwer beschädigt werden.“ Anja Diekamp hat mit ihrer Arbeitsgruppe einen speziellen Sanierungsputz entwickelt. Er hat die Eigenschaft, Feuchtigkeit und Salze aus dem Mauerwerk nach außen zu leiten und wurde im Bereich der Laubengänge des Trautsonhauses aufgebracht. So kann der weitere Aufstieg der Feuchtigkeit bis zu den Wandmalereien verhindert werden. Dieser Spezial-Baustoff ist im Rahmen von Diekamps zweitem Forschungsschwerpunkt entstanden, dem K-Regio-Projekt „NHL – Natürlich hydraulische Kalke – Verstehen des Systems NHL“. Es geht um den Einsatz natürlich hydraulischer Bindemittel in Baustoffen. Die Materialtechnologen untersuchen grundlagenwissenschaftlich mögliche Rohstoffvorkommen, sowie Herstellung und Eigenschaften im fertigen Produkt. In Zusammenarbeit mit Partnern aus den Bereichen Bauwirtschaft und Restaurierung werden mit dem Wissen über historische Mörtel und Putze moderne, alltagstaugliche Materialien entwickelt. „Natürlich hydraulischer Kalk, auf Englisch natural hydraulic lime, kann bei niedrigeren Brenntemperaturen hergestellt werden. Das führt, verglichen mit dem Bindemittel Zement, zu einer deutlichen Energieersparnis“, hebt Anja Diekamp eine der positiven Eigenschaften hervor. Der neu entwickelte Sanierungsputz für das Trautsonhaus basiert bereits auf NHL. Ziel war es, ein Material zu entwickeln, das einerseits eine hohe Festigkeit aufweist und damit langlebig ist und andererseits ein ausreichend großes Porenraumvolumen hat, um Feuchtigkeit und Salze zuverlässig nach außen zu leiten.

Stiftungsassistenz Materialwissenschaft

Das gebaute kulturelle Erbe ist ein wichtiges regionales Identifikationsmerkmal in einer immer schneller zusammenwachsenden und sich angleichenden Welt. Wesentlich für den Erhalt ist ein grundlegendes Verständnis der verarbeiteten Materialien und möglicher Schadensprozesse im Kontakt mit der Umwelt. Dieses Wissen ist Grundlage für die fachliche Unterstützung bei nachhaltigen Restaurierungen und für die Entwicklung präventiver Konservierungskonzepte.

Das Forschungsgebiet Materialwissenschaft in der Denkmalpflege wurde mit der Einrichtung der „Stiftungsassistenz für Materialwissenschaft (Denkmalwissenschaften)“ durch das Land Tirol 2016 am Arbeitsbereich für Materialtechnologie etabliert und ist somit am Institut für Konstruktion und Materialwissenschaften angesiedelt. Mit der Inhaberin Dipl.-Ing. Dr. Anja Diekamp wird die langjährige, interdisziplinäre Forschungstätigkeit im Bereich der Natur- und Materialwissenschaften an der Universität Innsbruck – bezogen auf Fragestellungen in der Denkmalpflege – fortgeführt, die 1990 von Prof. Dr. Peter Mirwald am Institut für Mineralogie und Petrographie ins Leben gerufen wurde. Aufgabe ist die grundlagenorientierte, wissenschaftliche und international vernetzte Bearbeitung dieser Themenbereiche, um Antworten auf praxisorientierte und regionale Fragestellungen zu finden. Methodisch kommen unter anderem Rasterelektronenmikroskopie, Pulver-Röntgendiffraktometrie oder 3D-Röntgenmikroskopie zum Einsatz.

Als Ansprechpartnerin und Vermittlerin für die in der Denkmalpflege arbeitenden Institutionen, TechnikerInnen, RestauratorInnen und HandwerkerInnen ist die Stiftungsassistenz Materialwissenschaft in der Denkmalpflege Teil eines interdisziplinären und universitätsübergreifenden Netzwerkes.

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