Die offizielle Empfehlung der Weltgesundheitsorganisation WHO liegt bei 300 Gramm Fleisch pro Person und Woche; allein in Österreich werden pro Kopf und Woche durchschnittlich rund 1,7 Kilo Fleisch- und Wurstwaren verspeist. „Ernährungsgewohnheiten werden von sozialen, kulturellen und sozioökonomischen Faktoren beeinflusst und soziale Gruppen und Schichten sind bei der Wahl ihrer Ernährung mit unterschiedlichen Bedingungen konfrontiert“, sagt Dr.in Thea Wiesli vom Institut für Soziologie. Sie will herausfinden, welche sozialen Unterschiede in Hinblick auf den Fleischkonsum existieren und welche Faktoren diesen in unterschiedlichen Klassen beeinflussen beziehungsweise welchen Status Fleisch innerhalb verschiedener gesellschaftlicher Gruppen heute noch hat. Basierend darauf sollen praktische Maßnahmen erarbeitet werden, die zu einer Reduktion des Fleischkonsums führen.
Forschungslücken
„Es gibt zum Thema Fleischkonsum natürlich soziologische Theorien und Untersuchungen, die ich für mein Projekt in einer Voranalyse ausgewertet habe“, erläutert Wiesli. Die aktuelle Fachliteratur legt die Vermutung nahe, dass Fleischkonsum zwischen sozialen Gruppen und abhängig von Faktoren wie Einkommen, Bildung, Geschlecht, Alter und kulturellen Normen stark variiert: Höhere Einkommen und Bildungsniveaus korrelieren in hohen Einkommensländern oft mit einem geringeren Fleischkonsum, während traditionelle Rollenbilder und gesellschaftlichen Normen den Konsum in bestimmten Gruppen erhöhen können. Männer, so weiß man aus mehreren Studien, essen tendenziell mehr Fleisch als Frauen. Die Gründe dafür sind vielschichtig, Theorien besagen, dass das Essen von Fleisch in vielen Kulturen mit Männlichkeit assoziiert wird und somit identitätsstiftend ist, während Frauen häufiger eine gesundheitsbewusste Ernährung wählen, was mit geringerem Fleischkonsum korreliert.
„Der Fleischkonsum im Zusammenhang mit sozialen Klassen wurde empirisch-quantitativ weitgehend noch nicht untersucht“, verdeutlicht Thea Wiesli, die in zwei laufenden Projekten beginnen möchte, genau diese Forschungslücken zu schließen. Für eines davon hat sie kürzlich Umfragen in drei verschiedenen Ländern durchgeführt.
Realitätsnahe Befragungen
Repräsentativ ausgewählte Personengruppen – je 1000 Teilnehmer:innen aus Österreich, Finnland und Großbritannien – wurden in einer Vignetten-Studie online mit variierenden Beschreibungen von unterschiedlichen möglichst alltagsnahen Situationen konfrontiert und dazu befragt. Ein Beispiel: Die Proband:innen sollten sich ein Mittagessen mit Kolleg:innen vorstellen, bei denen es bestimmte Speisenangebote zu bestimmten Preisen gibt und Fragen zu ihrer Auswahl beantworten. „Natürlich bilden diese Vignetten nicht 1:1 die Realität ab, die Methode hat aber den Vorteil, dass der Aspekt der sozialen Erwünschtheit reduziert wird. – Der ist in diesem Zusammenhang natürlich sehr hoch“, führt Wiesli aus. Mithilfe der Befragungen lässt sich außerdem sehr gezielt herausfinden, wie stark einzelne Faktoren wie das soziale Umfeld, das Angebot, die Preisgestaltung und viele mehr sich auf die Entscheidung für ein Fleischgericht, eine vegetarische oder pflanzliche Alternative hat. „Dieses Wissen bildet eine wichtige Voraussetzung, um maßgeschneiderte Interventionen setzen zu können, um von diesen enormen Dimensionen des Fleischkonsums wegzukommen“, so Wiesli. Sobald die Daten aus den Befragungen ausgewertet sind, möchte die Wissenschaftlerin Akteur:innen und Entscheidungsträger:innen miteinbeziehen und entsprechende Handlungsempfehlungen erarbeiten, die auf die Bedürfnisse unterschiedlicher sozialer Klassen abgestimmt sind und so effektiv zur Entwicklung eines nachhaltigen Ernährungsstils beitragen können.
„Nachhaltigkeit soll nicht automatisch mit Verzicht assoziiert werden.“
Maßnahmen, um den Fleischkonsum zu reduzieren, gibt es einige, jede Zielgruppe braucht allerdings andere Interventionen und Anreize, ist die Wissenschaftlerin überzeugt. Deshalb sollen, abhängig von den Ergebnissen der Vignetten-Studie, maßgeschneiderte Ansätze entwickelt werden. „Manchmal mangelt es einfach am Angebot leckerer pflanzlicher Menüs. Da fehlt in unserer Kultur möglicherweise das Wissen, wie man ohne Fleisch gut kochen kann“, nimmt Wiesli eine Möglichkeit vorweg. So sind in westlich geprägten Kulturen Gerichte mit der Hauptkomponente Fleisch gedacht und alles andere gilt als Beilage. „Von diesem Denken müsste man wegkommen, zum Beispiel auch über die Ausbildung in Kochschulen“, betont sie und ergänzt: „Es gibt auch die Möglichkeit mit Preisregulierung steuernd einzugreifen, das heißt, durch höheren Steuern auf Fleisch nachhaltige pflanzenbasierte Produkte zu subventionieren.“ – Denn auch der Preis ist nachweislich ein entscheidender Aspekt. Ganz allgemein ist für Thea Wiesli, die sich bisher insbesondere mit Nachhaltigkeitsforschung beschäftigt hat, aber Folgendes zentral: „Mir ist wichtig, dass Nachhaltigkeit nicht automatisch mit Verzicht assoziiert wird, sondern auch Genuss bedeuten kann. Essen kann auch mit weniger Fleisch oder gänzlich pflanzlicher Ernährung genussvoll sein. Es wäre bereits ein großer Schritt getan, wenn der Fleischkonsum deutlich reduziert würde.“
