Verschiedene Galaxieformen dargestellt

Die „morphologische Stimmgabel“ der Galaxienklassifizierung, neu erstellt anhand der hochauflösenden Bilder von Euclid. (Credit: ESA/Euclid/Euclid Consortium/NASA, Diagram by J.-C. Cuillandre, L. Quilley, F. Marleau. Images alone: ESA/Euclid/Euclid Consortium/NASA, image processing by J.-C. Cuillandre, E. Bertin, G. Anselmi)

Ver­bor­ge­nen Mus­tern auf der Spur

Die Euclid-Mission der Europäischen Weltraumorganisation ESA zielt darauf ab, die Geometrie des dunklen Universums mit beispielloser Präzision zu kartografieren. Das Euclid-Konsortium hat nun sieben neue wissenschaftliche Artikel veröffentlicht sowie eine neue, auf Euclid basierende Collage zur Morphologie von Galaxien veröffentlicht.

In diesem Interview fasst Francine Marleau vom Institut für Astro und Teilchenphysik die Ergebnisse zusammen.

Das Euclid-Teleskop hat bereits bahnbrechende Erkenntnisse über die Entstehung und Entwicklung von Galaxien geliefert. Können Sie näher erläutern, wie die neuen Ergebnisse unser Verständnis der frühesten Galaxien erweitert haben?

Francine Marleau: Obwohl Euclid in erster Linie für die Erforschung der dunklen Energie und großräumiger Strukturen konzipiert ist, leisten seine Bildgebungs- und Nahinfrarotfähigkeiten bereits einen bedeutenden Beitrag zur Erforschung der Entstehung von Galaxien. Die ersten veröffentlichten Daten des Teleskops decken etwa 63 Quadratgrad des Himmels ab und umfassen über 20 Millionen Galaxien, wodurch Rückblicke bis zu etwa 10,5 Milliarden Jahre in die Vergangenheit möglich sind. Die einzigartige Kombination aus hervorragender Bildqualität, Nahinfrarot-Photometrie und der Abdeckung eines weiten Feldes in Einzelbildern ermöglicht es Euclid, zahlreiche schwache, weit entfernte Galaxien auf eine Weise zu identifizieren und zu charakterisieren, die mit anderen Teleskopen bisher nicht möglich war. Für die frühesten Galaxien liefert dies robustere Messungen zu den  Eigenschaften der Galaxienpopulation (wie Sternentstehungsraten, Morphologien und Clusterbildung) und ihrer Entwicklung bei hoher Rotverschiebung als kleine Stichproben, wodurch wir zurückverfolgen können wie sie sich gebildet haben.

Die Euclid-Mission hat Tausende von Zwerggalaxien identifiziert, von denen angenommen wird, dass sie eine Schlüsselrolle bei der Entstehung größerer Galaxien spielen. Welche Auswirkungen haben diese Erkenntnisse auf unser Verständnis der kosmischen Evolution?

Francine Marleau: Die Entdeckung großer, gut charakterisierter Stichproben von Zwerggalaxien stellt einen wichtigen Meilenstein dar, da Zwerggalaxien eine entscheidende Rolle bei der hierarchischen Strukturbildung spielen und einige der stärksten Einschränkungen für Modelle zur Galaxienentstehung und Dunkler Materie liefern. Jüngste Ergebnisse berichten von 2674 Zwerggalaxienkandidaten aus einem kleinen Teil der Euclid Quick Data Release (Q1) mit folgender morphologischer Zusammensetzung: 58 % elliptische Zwerggalaxien, 42 % irreguläre Zwerggalaxien und einige wenige Systeme, die Kugelsternhaufen oder blaue kompakte Zentren beherbergen. Im Euclid-Perseus-Cluster-Datensatz wurden 1100 Zwergkandidaten identifiziert, mehr als doppelt so viele wie zuvor in dieser Umgebung gezählt wurden. Die Tiefe und Auflösung von Euclid ermöglichen nicht nur die Erkennung, sondern auch die detaillierte strukturelle Charakterisierung von Zwerggalaxien – einschließlich ihrer Größe, Oberflächenhelligkeit, Nuclei und Kugelsternhaufen – in einer Vielzahl von Umgebungen. Die Häufigkeit von Zwerggalaxien unterstreicht ihre Rolle als grundlegende Bausteine von massereicheren Galaxien, die sie durch Verschmelzung und Akkretion bilden. Da Euclid zunehmend größere Teile des Himmels abdeckt, wird sich die volle wissenschaftliche Bedeutung für die Erforschung von Zwerggalaxien aus den sukzessiven Datenveröffentlichungen ergeben, die immer vielfältigere Umgebungen abdecken. Mit diesen wachsenden Katalogen von Zwerggalaxien wird es möglich sein, zu untersuchen, wie viele Zwerggalaxien isoliert bleiben, wie viele verschmelzen und wie sich ihre Eigenschaften (Masse, Metallizität und Sternentstehungsgeschichte) je nach Umgebung unterscheiden. Die räumliche Verteilung der Zwerggalaxien wird auch Aufschluss geben über Modelle der Dunklen Materie und die Bildung von klein-skaligen Strukturen.

Der ARTEMIDE-Algorithmus scheint eine bedeutende Entwicklung bei der Identifizierung von Gravitationsbögen und der Untersuchung von Massenverteilungen in Galaxien und Galaxienhaufen zu sein. Wie wird dieses Werkzeug Ihrer Meinung nach die zukünftige Forschung in der Astrophysik beeinflussen?

Francine Marleau: Starke Gravitationslinsen sind eine der leistungsfähigsten Methoden zur Messung der Masse von Galaxien in kosmologischen Entfernungen. Euclid hat in seinen Bildern bereits über 500 Linsen entdeckt und wird damit bald die größte Anzahl an Linsen aus einer einzigen Untersuchung beobachtet haben, wobei die Gesamtzahl bis zum Ende der Mission voraussichtlich etwa hunderttausend erreichen wird. Mit Werkzeugen wie ARTEMIDE wird es möglich sein, einen der größten Kataloge von Gravitationsbögen über einen weiten Bereich von Rotverschiebungen, Massen und Umgebungen zu erstellen. Dies wird statistische Studien über Linsenpopulationen, die Entwicklung von Massenprofilen, den Zusammenhang zwischen Baryonen und dunkler Materie sowie die Häufigkeit von Sub halos durch detaillierte Modellierung von Bögen in Galaxien und Galaxienhaufen ermöglichen.

Die morphologische Klassifizierung von Galaxien ist seit Jahrzehnten ein Eckpfeiler der Astrophysik. Wie haben die Bildgebungsfähigkeiten und Daten von Euclid zur Verfeinerung dieser Klassifizierung beigetragen, und welche neuen Erkenntnisse haben sich hinsichtlich der Beziehung zwischen Galaxienmorphologie und Umgebung ergeben?

Francine Marleau: Die Fähigkeiten von Euclid verbessern unsere Möglichkeiten erheblich, die Entstehung und Entwicklung von Galaxien anhand ihrer Morphologie zu untersuchen. Dank der hohen Qualität der Euclid-Daten können morphologische Merkmale für sehr große Stichproben von Galaxien über einen weiten Bereich von Rotverschiebungen und Himmelsbereichen klassifiziert werden, was statistisch robuste Messungen der Entwicklung morphologischer Typen im Laufe der kosmischen Zeit und Umgebung ermöglicht, anstatt sich auf kleine Felder zu stützen. Die Beziehung zwischen Morphologie und Umgebung wird nun mit größerer Präzision quantifiziert. Die Daten von Euclid zeigen, dass bei fester Sternmasse die Umgebungsdichte sowohl den Anteil der erloschenen Galaxien als auch die morphologische Zusammensetzung bis zu einer Rotverschiebung von 0,75 beeinflusst. Dies bestärkt die Ansicht, dass die Umgebung eine wichtige Rolle bei der morphologischen Transformation spielt, insbesondere bei Galaxien mit geringer Masse. Die Empfindlichkeit von Euclid gegenüber schwachen Oberflächenhelligkeiten ermöglicht eine vollständigere morphologische Klassifizierung von Systemen mit geringerer Masse und ihren Außenbereichen. Wir beginnen zu erkennen, wie die Morphologie nicht nur mit der lokalen Dichte, sondern auch mit der großräumigen Umgebung (Galaxienhaufen, Filamente, Voids) korreliert und wie die Außenbereiche – wie Gezeitenmerkmale und Sternströme – zur morphologischen Transformation beitragen.

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