Christine Baur hält einen Vortrag

Eine Veranstaltungsreihe widmete sich im vergangenen Semester der Themtik "Wissenschaft und Verantwortung". Im Bild Christene Baur, Vorsitzende des Universitätsrats, im Rahmen einer Podiumsdiskussion. 

Verant­wor­tungs­volle Wis­sen­schaft im Fokus

Wissenschaft ist für alle da – oder sollte es sein. Doch gilt dieser Anspruch noch in einer hoch arbeitsteiligen Gesellschaft? Ist Humboldts Ideal der „Bildung durch Wissenschaft“ überholt – oder aktueller denn je? Solche Fragen standen im Zentrum einer Ringvorlesung mit Beiträgen aus zehn Fächern sowie von Vertreterinnen und Vertretern des Ministeriums, des FWF, des Universitätsrats und der ÖH.

Ziel war es, die aktuelle Stellung von Wissenschaft zwischen Autonomie und heteronomen gesellschaftlichen Kräften zu reflektieren. Von der Archäologie bis zur Wirtschaftswissenschaft wurden die dominanten Strömungen einzelner Fächer vorgestellt – und aus kritischer Perspektive hinterfragt. Organisiert wurde die gut besuchte Reihe vom Forschungszentrum Social Theory.

Von der Archäologie bis zur Wirtschaftswissenschaft

Barbara Hausmair eröffnete die Reihe mit einem Einblick in das Forschungsprozedere der Archäologie. Anstatt Erkenntnisse identitätsstiftend für politische Zwecke zu instrumentalisieren, gelte es etwa zu fragen: Wie viel Aufwand, wie viele Schubkarrenfahrten waren für ein Bauwerk nötig – und wer leistete sie?

Wie schwer es ist, eine „freie“ und verantwortungsvolle Wissenschaft zu entwickeln, zeigte Oliver Leistert am Beispiel der Medienwissenschaft: Im Zeitalter allgegenwärtiger Endgeräte sind Medien keine bloßen Kanäle, sondern Umwelten, die unsere Wahrnehmung und Sozialität prägen.

Daniel Burghardt situierte die kritische Pädagogik in der langen Tradition erziehungswissenschaftlichen Denkens: Wie könnte eine „Erziehung nach Auschwitz“ (Adorno) heute möglich sein?

Dabei muss sich die Politikwissenschaft für Gundula Ludwig zunächst einmal stärker ihrer eigenen Denkgrundlagen annehmen, um nicht als Legitimationswissenschaft zu erstarren. Nur unter autonomen Bedingungen könne eine ihres Standorts bewusste Wissenschaft die politischen Prozesse als das aufdecken, was sie sind: konfliktgeladen.

Auch Severin Hornung lenkte den Blick auf die Blind Spots - in seinem Fall in der psychologischen Forschung. Eine verantwortungsvolle Psychologie müsse sich von individualisierenden Verkürzungen lösen und soziale Zusammenhänge stärker einbeziehen.

Weniger konfliktgeladen, neutraler, mehr objektiv und von Gerechtigkeit geprägt, möchte man meinen, sei das Recht – als Kitt der Gesellschaft. Doch Matthias C. Kettemann zeigte in seinem mitreißenden Vortrag, dass auch das Recht ein soziales Konstrukt ist, das bestehende Machtverhältnisse nicht nur spiegelt, sondern auch reproduziert.

Dass für alle an der Universität viel zu tun bleibt und die kritische Perspektive kein abgeschlossener Standpunkt ist, sondern immer wieder neu entwickelt werden muss, betonten Frank Welz (Soziologie) und Stefan Gandler (Philosophie, Universität Querétaro, MX). Für Welz muss kritische Soziologie ihre Gegenstände als Resultate sozialer Auseinandersetzungen herausarbeiten. Für Gandler macht kritische Philosophie geltend, dass eine Analyse, die Widersprüche ausblendet, keine ist.

Den Abschluss der fachlichen Beiträge bildete Andreas Exenbergers Perspektive auf die Wirtschaftswissenschaft, deren Einfluss außerhalb der Universität kaum zu überschätzen ist. Reflektiert diese beständig ihre Grundlagen? Oft reduziert auf mathematische sowie Mikro-Modelle rationalen Entscheidens, sei Wirtschaft doch auch Teil einer historisch gewachsenen Ordnung – in einer komplexen, ungerechten und ökologisch gefährdeten Welt.

Kunst, Literatur und Theater

Ein besonderes Highlight war die Diskussion zur Frage “Was ist kritische Kunst - Literaturwissenschaft und Theater?” Denn mit der Intendantin des Tiroler Landestheaters, Irene Girkinger, war hier eine außeruniversitäre Beteiligte im Vortragsduo mit Literaturprofessor Martin Sexl mit dabei. Entsprechend stellte der Abend die Leitfrage der Vortragsreihe “Was heißt kritisch, sich gesellschaftlicher Verantwortung bewusst zu sein?” noch deutlicher und noch praktischer. Für Irene Girkinger ist gute Kunst immer kritisch. Theater übersetze Realität in sinnlich erfahrbare Modelle. Es lade zur Reflexion ein, mache soziale Erfahrungen öffentlich und verhandelbar – und müsse daher heute niederschwelliger, partizipativer und interaktiver werden.

Auch Martin Sexl betonte: In der Literaturwissenschaft ist Kritik stets mit Widersprüchen verbunden. Was, wenn künstlerische Innovation zur Routine wird? Was, wenn Wissenschaft sich in Drittmitteln, Rankings und Kontrollsystemen verliert? Vielleicht sollten analoge Formate des Zusammenkommens gestärkt werden und vielleicht auch die Lehre wieder ins Zentrum rücken.

Universität und Verantwortung

Solche Fragen standen auch im Zentrum der Podiumsdiskussion zur “Universität und Verantwortung”: Wie gestaltet sich das Spannungsfeld der Forschung zwischen Wahrheit und Wettbewerb, der Bildung zwischen öffentlichem Gut und Ware, der Studierenden zwischen Selbstentwicklung und Kundenorientierung sowie der Universität zwischen der Demokratisierung der Vernunft und Bildungsfabrik?

Vor achtzig Hörerinnen und Hörern diskutierten Maximilian Richter vom Bundesministerium für Frauen, Wissenschaft und Forschung (Wien), Falk Reckling vom Österreichischen Wissenschaftsfonds FWF (Wien), die stellvertretende Vorsitzende des Universitätsrates, Christine Baur, sowie Sophia Neßler als Vorsitzende der lokalen Österreichischen Hochschülerinnen- und Hochschülerschaft.

Richter erläuterte die Erwartungen der Politik und die Instrumente der Hochschul-Steuerung im Lichte einer gut aufgestellten Universitätslandschaft.

Reckling forderte, bei der Bewertung von Forschung auch deren Vielfalt anzuerkennen – jenseits bloßer Publikationsmetriken – und verwies auf die Initiative CoARA (Coalition for Advancing Research Assessment) zur Weiterentwicklung der Forschungsbewertung. Auch der FWF unterstützt dieselbe sowie unter vielen Hundert anderen die hinter dem European Research Council (ERC) stehende Initiative for Science in Europe.

Sophia Neßler brachte die Perspektive der Studierenden ein: Zeitdruck, bürokratische Hürden, Verwertung. Vom alten Ideal einer Universität als Ort für intellektuellen Austausch, persönlicher Selbstentfaltung und Befähigung zur kritischen Reflexion sei im Zeitalter von Wettbewerbsdruck, ECTS-Jagd, Zielvorgaben und Arbeitsmarktrelevanz wenig geblieben.

Abschließend warf Christine Baur grundlegende Fragen auf: Wie stark beeinflussen Rankings die Universität? Wo bleibt die ethische Verantwortung? Und warum fehlen gesellschaftliche Krisen im universitären Diskurs? Muss umgedacht werden? Die Universität, so ihre Botschaft, müsse sich stärker auf die Gegenwart einlassen – und ihrer Verantwortung gerecht werden.

(Nik König, Luca Schöttle, Frank Welz)

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