Buchstapel mit verschiedenen Übersetzungen des Buches "Der kleine Prinz"

Die originalen Übersetzungen des "kleinen Prinzen" vom Französischen ins Deutsche werden im Innsbrucker Brenner Archiv aufbewahrt. 

Ein neues Kul­tur­le­xi­kon ver­bin­det Öster­reich und Frank­reich

Kulturelle Liaisons: Ein Gemeinschaftsprojekt der Universität Innsbruck und der Université de Lorraine beleuchtet den Kulturaustausch zwischen Österreich und Frankreich von 1740 bis zur Gegenwart. Das Ergebnis des stetig wachsenden Projektes ist online abrufbar.

"Kulturen sind keine in sich geschlos­sene nationale Einheiten, sondern leben seit jeher von grenzüber­schreitendem Austausch, gegenseitiger Rezeption und Durchdringungsprozes­sen“, erklärt Maria Piok, Leiterin des Li­teraturhauses am Inn und wissenschaft­liche Mitarbeiterin am Forschungsinstitut Brenner-Archiv. Gemeinsam mit Marc Lacheny von der Université de Lorraine und Kolleg:innen reichte sie das Projekt DECAF – kurz für Dictionnaire des Échan­ges Culturels Autriche-France – als Lead ­Agency Projekt, bei dem der französische Fördergeber L‘Agence nationale de la recher­che (ANR) als Partner fungiert, beim Wis­senschaftsfonds FWF ein.

Kulturen sind keine in sich geschlos­sene nationale Einheiten, sondern leben seit jeher von grenzüber­schreitendem Austausch, gegenseitiger Rezeption und Durchdringungsprozes­sen. 
- Maria Piok

Im Mittelpunkt des biografischen und prosopografischen Online-Lexikons stehen Persönlichkeiten, die aktiv am Kulturaustausch beteiligt waren und es zum Teil immer noch sind. „Kultur findet niemals isoliert statt. Lite ­ratur, Theater, Kunst und Musik leben von Austausch, Briefwechseln, gegenseitiger Inspiration und Kollaboration“, so Piok. Das Online-Lexikon zeigt neue Fa­cetten bekannter Persönlichkeiten aus beiden Ländern auf – etwa dann, wenn sie neben anderen Tätigkeiten auch als Übersetzer:innen oder Vermittler:in­nen tätig waren. Dem österreichischen Schriftsteller Stefan Zweig beispielsweise kam durch seine freundschaftlichen, in­tellektuellen und beruflichen Beziehun gen nach Frankreich eine bedeutende Vermittlerrolle zu.

Portrait Lilly von Sauter

Lilly von Sauter: Die gebürtige Wienerin und Kunsthistorikerin Lilly von Sauter absolvierte Teile ihrer Studienzeit in Paris. In der Nachkriegszeit war sie als Kulturredakteurin in Innsbruck tätig und versuchte, die Tiroler Bevölkerung an die französische Kunst heranzuführen – kein einfaches Unterfangen. Sie war außerdem Übersetzerin und verfasste eigene literarische Werke.

Frauen als Vermittlerinnen

Neben prominenten Namen lassen sich in dem österreichisch-französischen Wiki auch Personen finden, welchen in der bisherigen Geschichtsschreibung zu wenig Beachtung geschenkt wurde:„Wir richten den Blick bewusst weg von den Zentren und entdecken neue Namen. Nicht selten sind es Frauen, die eine Position als Übersetzerin oder Kritikerin innehatten und damit in der Kulturver­mittlung eine bedeutende Rolle gespielt haben“, erklärt Maria Piok. „Zu einigen dieser Persönlichkeiten gibt es noch keine oder nur wenige Aufzeichnungen, des­halb betreiben wir in diesem Bereich viel Recherchearbeit.“ 

Helene Funke: Die Malerin und Grafikerin Helene Funke lebte zwischen 1905 und 1913 in Paris. Während ihre künstlerischen Anfänge noch stark durch die Münchener Landschaftsmalerei beeinflusst sind, wandte sie sich in Paris dem Fauvismus zu.  Funkes Rezeption der französischen Avantgarde ist ein hervorragendes Beispiel für den Kulturtransfer zwischen Paris und Wien.

Portrait Helene Funke

Neben Personen werden im Lexikon auch Institutionen und Ereignisse be­schrieben, die in kulturellen Durchdrin­gungsprozessen zwischen den beiden Ländern bedeutsam waren oder immer noch sind. Auch Formen des sekundä­ren Kulturaustauschs werden in die Ein­träge aufgenommen: „Kulturschaffende müssen das jeweils andere Land nicht zwingend besucht haben, um von dessen Kultur inspiriert zu werden. Oft wurden beispielsweise österreichische Schriftstel­ler:innen durch französische Literatur be­einflusst, weil sie diese lasen – und um ­gekehrt“, so Piok.

Freizügige Franzosen?

Die Einträge reichen bis in die Zeit Maria Theresias zurück. Ihr Ehemann, Franz von Lothringen, beschäftigte sich auf­grund seiner Herkunft mit französischer Kultur, der Austausch wurde in Folge der Eheschließung von Marie-Antoinette von Österreich-Lothringen und Ludwig XVI., dem späteren König von Frankreich, wei­ter intensiviert. Die französischen Besatzungen in Wien zu Beginn des 19. Jahrhunderts unter Na­poleon sind als Einträge im Lexikon zu finden, genauso wie die Besatzung Ti­rols und Vorarlbergs zwischen 1945 und 1955. Im Mittelpunkt steht auch hier, wie diese Ereignisse das künstlerische Schaffen und die Rezeption von Litera­tur, Theater, Kunst und Musik beeinflusst haben.

Gedenktafel mit französischer Aufschrift am Emile-Béthouart-Steg Innsbruck

Parti en ami: An die französische Besatzung nach dem 2. Weltkrieg in Tirol und Vorarlberg erinnert unter anderem der Emile-Béthouart-Steg, der die Stadtteile St. Nikolaus und Saggen verbindet. Béthouart war zwischen 1946 und 1950 Hochkommissar der französischen Besatzungszone in Österreich. Die Gedenktafeln gibt es in beiden Sprachen.

Friedensreich Hundertwasser: Der österreichi­sche Künstler (li.) wurde in seinen Werken maßgeblich von seinem Weggefährten und Freund René Brault(im Bild rechts), auch bekannt als Bré, einem französischen Künstler, beeinflusst. Sieben Jahre lang wohnte Hundertwasser kostenlos bei der Familie Dumage in Saint-Maindé bei Paris. Später erwarb er im Norden Frankreichs ein Bauernhaus.

Friedensreich Hundertwasser und René Bro

Dieser kulturelle Bogen wird im DECAF-Wiki bis in die Gegenwart ge­spannt, gleichzeitig werden Stereotype hinterfragt: Das Bild des verruchten und sexuell freizügigen Franzosen wurde et­wa durch französische Trivialliteratur ge­prägt, die im 19. Jahrhundert vielfach in Österreich gelesen wurde; sie ist ebenso wahr oder unwahr wie das romantisierte Bild Österreichs, das in Frankreich durch die Filmtrilogie Sissi mit Romy Schneider in der Hauptrolle entstand.

Geduldsprobe Projektantrag

Hinter dem vom FWF geförderten Pro­jekt steht eine lange Geschichte: „Bereits vor 20 Jahren haben Sigurd Paul Scheichl, Wolfgang Pöckl, beide von der Univer­sität Innsbruck, und der damals an der Université de la Sorbonne tätige Karl Zieger mehrmals entsprechende Anträ­ge eingereicht, diese wurden jedoch stets abgewiesen“, erzählt Maria Piok. Im Jahr 2023 reichten Marc Lacheny und Piok die damaligen Entwürfe in leicht abgeänder­ter Form und mit der Idee für das Media­Wiki erneut beim FWF ein – diesmal mit Erfolg: Die Finanzierung ist bis Septem­ber 2026 gesichert. Im Projektteam an der Universität Innsbruck kümmert sich Ulrich Lobis um die technische Umsetzung der Webseite, Hannah Puchelt übernahm im Frühjahr 2025 die koordinativen Aufgaben den beiden Projektmitarbeiterinnen Irene Za­nol (Universität Innsbruck) und Solène Scherer (Université de Lorraine).

Projektteam: Maria Piok (re.), Leiterin des Literaturhauses am Inn und wissenschaftliche Mitarbeiterin am Forschungsinstitut Brenner-Archiv, leitet das Projekt, Ulrich Lobis kümmert sich um die technische Umsetzung der Webseite, Hannah Puchelt übernahm im Frühjahr 2025 die koordinativen Aufgaben.

Das dreiköpfige Projektteam

Die Initiative beruht auf einem weit­läufigen Expert:innen-Netzwerk: Insgesamt verfassen rund 100 Wissenschaft­ler:innen aus Österreich und Frankreich Einträge zu österreichisch-französischen Kulturbeziehungen. „Es wird mit zwei getrennten Wikis gearbeitet, eines in fran­zösischer und eines in deutscher Spra­che“, erklärt Piok. In weiterer Folge wer­den die Beiträge übersetzt. „Die Idee ist außerdem, dass das Online-Lexikon auch über die Projektlaufzeit hinaus weiter­wächst und immer mehr kulturelle Ver­bindungen sichtbar gemacht werden“, so Maria Piok. Das stetig wachsende Lexikon ist online abrufbar

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