Eine wetterstation vor einem Feld in den Anden

Eine Wetterstation an einem Feld im Rio-Santa-Tal.

Von Glet­schern zu Regen: Zehn Jahre in den Anden

Wissenschaftler:innen der Universität Innsbruck untersuchen seit langem den Wasserkreislauf und die Gletscher in Anden bei Huaraz, im Norden Perus. Dabei dokumentierten sie ein bisher unbeschriebenes Niederschlagsphänomen. Die leichten Regenfälle, lokal als „Pushpa“ bekannt, markieren den Beginn der Aussaat. Ihre Unvorhersehbarkeit von einem Jahr zum nächsten erschwert die Lage der Bäuer:innen. Diese kann durch den Klimawandel in Zukunft noch zusätzlich verschlimmert werden.

Im Jahr 2018 befand sich eine Gruppe von Studierenden der Universitäten Innsbruck und Hamburg auf einer Forschungsexkursion in der Nähe des Dorfes Llupa im Rio Santa-Tal in den peruanischen Anden. Während sie mit der Installation einer Wetterstation zur Vorbereitung ihres Forschungsprojekts beschäftigt waren, wurden sie von einem unerwarteten Regenfall überrascht - einem kurzen, aber heftigen Schauer. Den Studierenden erschien dies höchst ungewöhnlich. Es war August, Monate nach Beginn der Trockenzeit in den Anden.

Das Rio-Santa-Tal liegt auf etwa 3000 Metern Höhe am Fuße der beeindruckenden schneebedeckten Gipfel der Cordillera Blanca, die jedes Jahr Tausende von Tourist:innen anzieht. Im Tal leben viele Kleinbaüer:innen, die Weizen, Mais und Kartoffeln anbauen, die sie zur Selbstversorgung nutzen und mit denen sie auf den Märkten der Regionshauptstadt Huaraz handeln. Die traditionelle Landwirtschaft stützt sich auf die Erfahrungen und Erinnerungen von Generationen von Bäuer:innen, die tief im Tal verwurzelt sind.

Forschungsteams der Universitäten Innsbruck und Hamburg untersuchen seit Jahrzehnten den örtlichen Wasserkreislauf. Zu Beginn nutzten sie Daten von Wetterstationen und Modelle, um den Zustand der sich rasch zurückziehenden Gletscher zu verstehen. Diese Studien waren unerlässlich, um die zugrunde liegenden physikalischen Prozesse zu verstehen, die den Schmelzprozess beschleunigen, da sich tropische Gletscher ganz anders verhalten als jene in den europäischen Alpen.

Die Forscher:innen folgten dem Schmelzwasser flussabwärts und untersuchten, wie das Wasser von den lokalen Gemeinschaften genutzt wurde. In Gesprächen mit den Kleinbäuer:innen wurde deutlich, wie wichtig saisonale Niederschläge für die Landwirtschaft sind, da nur wenige Felder direkten Zugang zu Bewässerungssystemen haben, die das ganze Jahr über Wasser zur Verfügung stellen. Diese Gespräche veranlassten die Forscher:innen, ihren Schwerpunkt von der Gletscherdynamik auf atmosphärische Prozesse und deren Auswirkungen auf Vegetation und Landwirtschaft zu verlagern.

So wurde das Forschungsprojekt „AgroClim Huaraz“ ins Leben gerufen. Das von der Österreichischen Akademie der Wissenschaften (ÖAW) geförderte Projekt, an dem Forscher:innen aus Peru, Österreich, Großbritannien, Frankreich und der Schweiz beteiligt sind, hat sich zum Ziel gesetzt, die Niederschlagsmuster in der Region besser zu verstehen und herauszufinden, wie sie sich auf die regenabhängige Landwirtschaft auswirken und wie sie sich in der Vergangenheit verändert haben und in Zukunft verändern könnten.

Blick auf ein Tal in Peru mit Regenwolken

Pushpa über dem Rio-Santa-Tal.

Unzuverlässiger Regen

Doch zurück zu den Regenfällen, die die Studierenden 2018 überraschten. Von diesem Ereignis fasziniert, wollte das Forschungsteam mehr erfahren. In Gesprächen mit örtlichen Landwirt:innen fanden sie bald heraus, dass diese Regenfälle als „Pushpa“ bezeichnet werden und für die Landwirtschaft im Rio Santa Valley von entscheidender Bedeutung sind. Die Pushpa-Regenfälle markieren das Ende der Trockenzeit und den Beginn der Regenzeit und treten normalerweise zwischen August und September auf. Sie befeuchten den Boden zum ersten Mal nach der Trockenzeit und werden sehnsüchtig erwartet, um mit der Aussaat ihrer Pflanzen zu beginnen.

„Die Kleinbäuer:innen in Huaraz sind in hohem Maße vom Regen abhängig, denn er ist für die meisten die einzige Wasserquelle“, sagt Wolfgang Gurgiser vom Forschungsschwerpunkt Alpiner Raum der Universität Innsbruck, der an mehreren Studien des Projekts beteiligt war. „Das Wasser aus den Gletschern ist durch natürlich vorkommende Schwermetalle verunreinigt, was es in manchen Wassereinzugsgebieten für den Konsum oder die Bewässerung unbrauchbar macht.“

Die Vorhersage von Regen ist also von großer Bedeutung. Umso bedenklicher ist es, dass die Pushpa-Regenfälle sehr unzuverlässig sind.

In den Gesprächen mit den Bäuer:innen wurden die Wissenschaftler:innen auf mehrere wahrgenommene Veränderungen und Bedrohungen aufmerksam gemacht: Nach den Beobachtungen der Bäuer:innen haben sich die Pushpa-Regenfälle in den letzten Jahren zunehmend verzögert, sind weniger regelmäßig aufgetreten und haben an Intensität zugenommen, was nach Ansicht der Einheimischen eine Folge des Klimawandels ist. Weiterhin berichteten die Interviewpartner:innen, dass die beobachteten Veränderungen ihre traditionellen Praktiken und ihre Lebensgrundlage bedrohen.

Rolando Cruz Encarnación, ein lokaler Experte der nationalen Wasserbehörde in Peru, fügt hinzu: „Die leichten Regenfälle sollen den Beginn der Regenzeit ankündigen, aber wenn sich die Landwirte für die Aussaat entscheiden und auf die Pushpa unerwarteterweise eine Trockenperiode folgt, hat das negative Auswirkungen auf die gesamte Saison.“

Pushpa verstehen

„Bis zu unserer Studie war Pushpa in der wissenschaftlichen Literatur undokumentiert. Als wir von diesen Regenfällen hörten, lenkte das unseren Blick in eine völlig neue und interessante Richtung“, sagt Cornelia Klein, ehemalige Postdoc am Institut für Atmosphären- und Kryosphärenwissenschaften der Universität Innsbruck und jetzt am UK Centre for Ecology and Hydrology in Wallingford. „Wie unterscheiden sich die Niederschläge der Pushpa von den Niederschlägen der Regenzeit? Und wie haben sie sich in der Vergangenheit verändert?“ Diese neuen Fragen motivierten sie und Cornelia Zauner, eine ehemalige Masterstudentin an der Universität Innsbruck.

Die daraus hervorgehende Studie, die im Journal Environmental Research Communications veröffentlicht wurde, ist die erste, die die Mechanismen hinter den Pushpa-Regenfällen im Rio Santa-Tal in einem wissenschaftlichen Rahmen beschreibt. Überraschenderweise wird festgestellt, dass die Pushpa-Regenfälle mit trockenen Winden aus dem Pazifik im Westen zusammenhängen, die typisch für den August sind und normalerweise trockene Bedingungen bringen - oder, wie jetzt entdeckt, leichten Regen. Nach der Trockenzeit drehen die Winde und bringen die auftürmenden, schweren Regenwolken aus dem Amazonasbecken im Osten mit sich. Die Pushpa-Regenfälle sind in der Tat von anderer Natur als der intensive Regen in der Regenzeit.

Anhand von Modelldaten über die Niederschläge der letzten 40 Jahre stellten Dr. Klein und ihre Kolleg:innen außerdem fest, dass die Pushpa-Regenfälle sehr variabel sind und sich zwischen regenreichen und regenarmen Jahren abwechseln. Dies wird auch durch eine Beobachtungsstudie von Lorenz Hänchen, Doktorand am Institut für Ökologie der Universität Innsbruck, bestätigt, die in der Fachzeitschrift Earth System Dynamics veröffentlicht wurde: „Bei der Betrachtung jahrelanger Satellitendaten zur Begrünung haben wir festgestellt, dass der Beginn der Wachstumsperiode der Pflanzen von einem Jahr zum anderen um bis zu zwei Monate schwanken kann“, sagt Hänchen. „Das ist sicherlich eine sehr schwierige Situation für die landwirtschaftliche Planung.“

Wetterstation vor blauem Himmel

Die Wetterstation, diesmal unter blauem Himmel.

Daten und Erinnerungen

„Unsere Daten deuten darauf hin, dass der Pushpa-Regen sehr variabel ist, sich aber in den letzten 40 Jahren nicht wesentlich verändert hat“, sagt Klein. Das bedeutet, dass die Beobachtungen der Bäuer:innen wissenschaftlich nicht bestätigt werden konnten. Der Grund dafür bleibt eine offene Frage. „Erinnerungen sind aufgrund von psychologischen Effekten eine heikle Datengrundlage, auf die man sich nur bedingt verlassen kann. Sehr ungewöhnliche Ereignisse bleiben leichter im Gedächtnis als alltägliche“, sagt Gurgiser. „Das ändert nichts an der Tatsache, dass wir das Wissen der Bauern sehr schätzen. Unsere Studien und die genutzten Daten haben Grenzen, auf die wir in unseren Veröffentlichungen hinweisen. Wir verwenden akademische Ansätze, sind uns aber der traditionellen Wissenssysteme bewusst, wie die der Bäuer:innen, die diese Gebiete seit Generationen kennen. Wir können unsere Ergebnisse nur mit ihren Beobachtungen vergleichen und darüber spekulieren, warum sie sich unterscheiden könnten. Die Herausforderungen der unregelmäßigen Pushpa-Regenfälle hängen zwar nicht direkt mit dem Klimawandel zusammen, aber sie bestehen trotzdem. Die Niederschlagssumme, die nach unseren Beobachtungen in den letzten Jahrzehnten gleichgeblieben ist, ist für die Landwirt:innen nicht so wichtig wie die Verteilung der Niederschläge über die landwirtschaftliche Saison. Das ähnelt dem, was wir derzeit in Österreich beobachten: Der Regen wird nicht weniger, sondern schwankt mehr in seinem Auftreten und seiner Intensität.“

Extreme Niederschläge und Dürreperioden

Diese Zunahme der Intensität wird auch für die peruanischen Anden prognostiziert. Dr. Emily Potter, ein ehemaliges Projektmitglied und jetzt Postdoc an der Universität Sheffield, erstellte für das Projekt Klimadaten in einer noch nie dagewesenen Auflösung, indem sie Computersimulationen mit Daten von lokalen Wetterstationen kombinierte. Die Studie, die in der Fachzeitschrift npj Climate and Atmospheric Science veröffentlicht wurde, zeichnet ein beunruhigendes Bild der künftigen Veränderungen von Temperatur und Niederschlag in der Region. Die Projektionen deuten auf einen erheblichen Anstieg der Temperaturen und Niederschläge bis zum Ende dieses Jahrhunderts hin. Es wird mit immer extremeren Niederschlägen gerechnet, die mit schweren Dürreperioden einhergehen werden, die durch höhere Temperaturen und Verdunstung noch verstärkt werden. „Wie überall auf der Welt werden ärmere Bevölkerungsgruppen mit größerer Wahrscheinlichkeit unter den Folgen des Klimawandels zu leiden haben“, sagt Potter. „Wir stellen fest, dass in Szenarien mit einer drastischen Verringerung unserer Treibhausgasemissionen die Veränderungen bei Niederschlägen und Temperaturen weniger stark ausfallen. Dies würde den Menschen in den Anden mehr Zeit geben, sich auf die kommenden Herausforderungen vorzubereiten.“

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