Open Strategy

Open Strategy: Disruption von außerhalb der C-Suite meistern

In einem Interview mit Julia Rapp-Hautz und Kurt Matzler vom Institut für Strategisches Management, Marketing und Tourismus erzählen die Autor:innen über ihr Buch "Open Strategy: Mastering Disruption from Outside the C-Suite", das sie gemeinsam mit Christian Stadler und Stephan Friedrich von den Eichen verfasst haben. Erfahren Sie mehr über den spannenden und erfolgreichen Ansatz.

Julia Hautz & Kurt Matzler

Können Sie mir bitte zunächst einmal beschreiben, welches die herausragendsten Grundthesen sind, die Sie in ihrem Buch verfolgen?

Matzler: Vielleicht starte ich einmal mit ein paar Fakten. Strategiearbeit ist in der Krise. 50 bis 90 Prozent aller Strategien werden niemals umgesetzt oder scheitern. Ein Drittel aller Unternehmen sagen, dass Digitalisierung für sie eine disruptive Gefahr ist. Das heißt, dass sich die Geschäftsmodelle von Grund auf ändern und ungefähr zwei Drittel aller Unternehmen in große Schwierigkeiten

kommen, wenn es einen disruptiven Umbruch in ihrer Branche gibt. Hier tauchen nun zwei große Fragen auf:

  1. Wie schaffen es Unternehmen ganz neue, radikale, disruptive Geschäftsmodelle zu entwickeln?
  2. Wie schaffen wir es die gesamte Organisation mitzunehmen, Geschwindigkeit zu erzeugen und Umsetzungskommittent zu erzeugen?

Viele Strategien scheitern nämlich deshalb, weil sie zu abstrakt sind; weil sie nicht gut durchdacht sind; und weil sie nicht akzeptiert werden. Zur ersten Frage sehen wir eine Antwort darin, dass Unternehmen verstärkt die kollektive Intelligenz innerhalb und außerhalb des Unternehmens nutzen. Das heißt: Unternehmen brauchen mehr kognitive Diversität und müssen viel mehr dezentrales Wissen nutzen; Menschen müssen in der Lage sein, unabhängig von Status und Position ihr Wissen beizutragen; und wir brauchen Methoden, mit denen man Wissen aggregieren kann. Letztendlich sind 90 Prozent aller Geschäftsmodellinnovation nichts anderes als das Übertragen von erfolgreichen Mustern aus anderen Branchen. Durch ein breites Involvement von Mitarbeitern werden Strategien viel konkreter und greifbarer, weil Mitarbeiter ihr Wissen einbringen, weil sie kritisieren, weil sie infrage stellen, weil sie beitragen. Dann ist Strategie nicht mehr eine Blackbox, sondern Strategie wird verstanden, sie wird glaubwürdig und sie wird spezifisch und dadurch auch umsetzbar. Das sind, aus meiner Sicht, die zwei zentralen Thesen.
Hautz: Um das zu erreichen, was Kurt gerade beschrieben hat, muss man von dieser klassischen Annahme weggehen, dass Strategieentwicklung hinter verschlossenen Türen von Vorstandszimmern, in kleinen exklusiven Gruppen von Vorstand bzw. Top Management, stattfindet. Durch die Öffnung bindet man unterschiedlichste Akteure aus verschiedensten Bereichen von innerhalb und auch außerhalb des Unternehmens aktiv in Strategieprozesse mit ein. Damit können die anfangs beschriebenen Probleme überwunden werden. Durch mehr Diversität entwickelte, disruptive Ideen erreichen so eine viel schnellere Umsetzung, einfach, weil Verständnis und Akzeptanz für Strategie innerhalb vom Unternehmen viel größer sind. Bei Open Strategy liegt der Fokus auf der Inklusion von Akteuren die normalerweise nicht an der Strategieentwicklung beteiligt sind. Das ist dies zentrale Grundthese, die dahinter liegt, um die zwei beschriebenen Vorteile zu entwickeln.

Könnte man es auch unter den Deckmantel „Transparenz“ fassen? 

Matzler: Offenheit und Transparenz.
Hautz: Genau. Open Strategy besteht grundsätzlich aus zwei zentralen Dimensionen, Transparenz und Inklusion. Bei Transparenz geht es darum, dass das Unternehmen mehr Information zur Verfügung stellt, innerhalb und außerhalb der Unternehmensgrenzen. Inklusion geht weiter, hier fragt man aktiv nach Input, Ideen, Vorschlägen. Das geht über die Transparenz hinaus zur Interaktion, in der nicht nur einseitig Information zur Verfügung gestellt wird, sondern auch aktiv Input eingeholt wird.

Was unterscheidet ihre beschriebene Form der open strategy, i.e. die Einbeziehung verschiedenster externer Partnern und Konkurrent:innen von einem klassischen Stakeholderansatz? Was von einem klassischen lead user Ansatz?

Matzler: Der klassische Stakeholderansatz beschäftigt sich mit der Frage, wie die Interessen aller Stakeholder ausgewogen berücksichtig werden können. Open Strategy geht erstens viel weiter und zweitens beantwortet sie eine ganz andere Frage. Es geht um Strategieentwicklung, das heißt, wie können Unternehmen ihre strategischen Ziele erreichen? Open Strategy geht deutlich über den Stakeholderansatz hinaus, weil in vielen Projekten Interne und Externe zusammenarbeiten. Viele der Externen sind dabei gar keine klassischen Stakeholder. Das sind beispielsweise Experten aus anderen Unternehmen, Wissenschaftler, Startups, Investoren, teilweise Wettbewerber, Querdenker. Man versucht ganz gezielt Menschen zu finden, die zu meinem Thema etwas zu sagen zu haben und die bei der Strategieentwicklung helfen. Open Strategy geht auch weit über den Lead User Ansatz hinaus, weil dieser ja auf die Innovation beschränkt ist. Beim Open Strategy Ansatz geht es um das Entwickeln von gesamten Strategien oder neuen Geschäftsmodellen. Und Open Strategy lebt von der Diversität. Das heißt, man versucht wirklich möglichst viele unterschiedliche Menschen mit verschiedensten Hintergründen, Wissen und so weiter zusammenzubringen, weil durch diesen Austausch erst das Neue, Spannende entsteht.


Welches ist für Sie DAS best practice Beispiel aus Industrie und Wirtschaft im Bereich open strategy?

Hautz: Das ist gar nicht so einfach zu beantworten, weil hinter dem Begriff „Open Strategy“ nicht nur ein spezifisches Tool steckt. Dieses Konzept betrifft vielmehr eine große Anzahl von verschiedensten Praktiken und Tools, die unter diesem Begriff zusammengefasst werden, und die alle zu mehr Offenheit, zu mehr Inklusion und zu mehr Transparenz führen. Verschiedenste Unternehmen haben je nach ihrer Ausgangssituation und ihren spezifischen Anforderungen unterschiedliche Ansätze gewählt. Es können hier einerseits digitale Technologien genutzt werden, um größtmögliche Diversität zu erlangen. Auch hier gibt es unterschiedlichste Methoden wie beispielsweise „Strategy Jams“, „Strategy Wikis“ oder große „Idea Contests“. Diese Ansätze erlauben tausende oder sogar zigtausenden Teilnehmer. Organisationen wie z.B. die NASA, die US Navy, die NATO, oder auch die englische Bank Barclays, haben solche digitalen Tools verwendet und so versucht, eine möglichst große, diverse „Crowd“ zu integrieren. Andererseits gibt es natürlich auch Ansätze, die analog funktionieren, z.B. Workshops, World Cafés usw. Beispiele verschiedenster Unternehmen aus unterschiedlichsten Industrien sind hier die Voestalpine, Adidas, Dr. Oetker, aber auch klein- und mittelständische Betriebe wie Gallus, ein Produzent von digitalen Druckermaschinen. Das „eine“ best practice Beispiel gibt es daher nicht. Ich glaube es ist wichtig - und das versuchen wir auch in unserem Buch mitzugeben – dass Unternehmen erkennen, dass ihnen viele verschiedene Tools zur Verfügung stehen. Ein Unternehmen sollte sich zunächst bewusst machen, was die Fragestellungen und Herausforderungen in der jeweiligen, spezifischen Situation sind. Erst dann kann der für die Situation richtige Ansatz gewählt werden. Ob dies ein digitaler Ansatz mit einer großen Anzahl an Akteuren ist, oder ein analoger Ansatz, mit einer kleineren, selektiven Auswahl an Teilnehmern, muss je nach Unternehmenssituation entschieden werden.

Würden Sie open strategy auch in anderen Bereichen als Erfolgsformel betrachten? z.B. in der Politik?

Matzler: Erstens sieht man einen generellen Trend zu Offenheit und Transparenz. Das sehen wir überall und speziell dort wo Komplexität und Geschwindigkeit zunehmen, wo es disruptive Veränderungen gibt ist Open Strategy spannend. Wo man radikal neu denken muss und wo einzelne Personen oder Eliten einfach überfordert sind, hat dieser Ansatz viel Charme. Warum nicht auch in der Politik? Wir haben in unserem Buch, einige interessante Fallstudie dazu beschrieben. Open Strategy ist eine Änderung der Philosophie überall dort wo die Probleme auftauchen, die ich gerade beschrieben habe, ist dieser Ansatz superspannend.
Hautz: Ich glaube auch, dass Offenheit ein gesellschaftliches Phänomen ist und es auch in anderen Bereichen der Gesellschaft Probleme gibt, die durch „Openness“ gelöst werden können. Es gibt ja einige Bereiche, in denen dieses Phänomen ja schon früher aufgetaucht ist wie z.B. „open source software“, „open government“, „open data“, oder „open innovation”. All diese Bereiche erleben eine Öffnung, häufig durch Nutzung digitaler Tools. Wir als Individuen sind es bereits gewöhnt, dass wir in fast allen Bereichen unseres Lebens viel leichter Zugang zu Information haben, fordern diese Information auch ein, wollen auch viel mehr mitbestimmen, mitreden und mitdiskutieren in ganz vielen verschiedenen Bereichen, was früher nicht so der Fall war. Und das passiert nun eben auch in der Domäne der Strategieentwicklung von Unternehmen. Und es wird nun erkannt, dass diese Offenheit, die in anderen Bereichen schon sehr erfolgreich war, auch in diesem Bereich sehr viele Vorteile mit sich bringen kann.

Da Sie gerade den Wandel oder die aktuelle Situation angesprochen haben, habe Sie in der Pandemie eine Veränderung oder einen stärkeren Effekt wahrgenommen? Hat sich in Richtung open strategy in den letzten 2 Jahren etwas weiterentwickelt?

Matzler: Ja. Wobei es prinzipiell in der Krise ist es so, dass die Starken stärker werden und die Schwachen schwächer. Und wir haben einige Unternehmen gesehen, die relativ schnell erkannt haben, dass diese Krise eine riesige Chance ist, das Geschäftsmodell radikal neu zu denken. Und die haben die Zeit genützt, wirklich zu versuchen neue Geschäftsmodelle zu entwickeln. Da war die Krise für manche Unternehmen wirklich ein Beschleuniger.
Hautz: Und natürlich auch die Notwendigkeit, wenn man merkt, dass es in seinem Kerngeschäft schwierig wird. Aufgrund von diesen Entwicklungen wird man manchmal auch eben dazu getrieben und gezwungen „neues“ zu denken was normalerweise in der komfortablen Situation nicht so schnell gehen würde. Vor allem bei der Umsetzung von Open Strategy Ansätze haben wir gesehen, dass viele Unternehmen gezwungen waren, Online-Tools einzusetzen. Die Akzeptanz von digitalen Tools ist gestiegen und dadurch ist Open Strategy einfacher geworden. Die Verbreitung und die Akzeptanz sind, glaube ich, noch viel größer geworden als das normalerweise der Fall gewesen wäre.

Wo liegen die ganz großen Herausforderungen, wenn man open strategy im Unternehmen erfolgreich umsetzen will?

Matzler: Zunächst braucht es ein wirklich neues Mindset bei den Führungskräften und es braucht eine andere Kultur im Unternehmen. Es ist ein großer Kulturwandel, weil es eine Öffnung ist, weil es Zulassen von viel mehr Transparenz ist, Zulassen von Widerspruch, Zulassen von Querdenken. Ganz oft führen solche Ansätze dazu, dass das eigene Geschäftsmodell radikal infrage gestellt wird. Und das erfordert wirklich ein neues, offenes Mindset. Ich glaube, das ist einer der größten Hürden bei Open Strategy.
Hautz: Genau. Ich glaube es ist auch wichtig, dass Führungskräfte verstehen, dass Open Strategy kein Kontrollverlust ist. Es braucht auch hier einen strukturierten Prozess, ansonsten entsteht Chaos. Unser Buch soll hier den Unternehmen Hilfestellungen geben. Aber Führungskräfte müssen sich schon auch darauf einstellen, dass man durch eine Öffnung auch Input bekommen kann, der nicht unbedingt dem eigenen favorisierten Ansatz entspricht. Man muss damit umgehen lernen, dass man auch diese Ansätze wahrnimmt und berücksichtigt. Man darf nicht vergessen, dass Menschen ja außerhalb ihrer Rollen - in welchen Strategie eigentlich nicht zur Aufgabe oder zur Arbeitsbeschreibung gehört - Zeit und oft sehr viel Energie investieren, um ihre Beiträge zu leisten. Und es ist wichtig, dass man diese Beiträge dann auch wertschätzt, honoriert und berücksichtigt. Es können natürlich nicht alle Ideen auch tatsächlich umgesetzt werden. Das muss von vorhinein ganz klar sein. Aber wenn man Menschen um ihre Meinung und ihren Input frägt, wollen sie danach auch wissen, was damit passiert und zumindest sehen, dass es in einer gewissen Weise in einer Entscheidungsfindung berücksichtigt wird. Es kann durchaus ins Negative umschlagen und vielleicht sogar zu Frustration führen, wenn Leute viele Ideen geben, mitmachen und Zeit investieren, und dann nie wieder Feedback bekommen. Es sollte bei den Teilnehmern auch nicht der falsche Eindruck entstehen, dass das Open Strategy eine Demokratisierung von Entscheidungen bringt, in der plötzlich alle eine Stimme im Entscheidungsprozess haben. Die Entscheidungshoheit bleibt auch im Fall von Open Strategy beim Management. Das sollte allen Teilnehmern von Beginn bewusst sein und auch Führungskräfte, die Open Strategy verfolgen, sollten sich über die angesprochenen Herausforderungen im Klaren sein.

Sehen Sie da einen Unterschied, weil man könnte sich hier vorstellen, dass Startups die etwas kleineres sind oder generell eine kleiner Gruppe, dass sich die mit open strategy leichter tun als eine große Firma mit tausenden Mitarbeitern?

Hautz: Ich glaube, das ist ganz unterschiedlich. Natürlich, bei kleinen Startups passiert Inklusion vielleicht noch öfters ungeplant, weil man sich öfter trifft, weil man mehr Meetings hat, weil man automatisch im Kontakt und Austausch ist. Aber auch sehr große Firmen haben Möglichkeiten gefunden das zu schaffen. Beispielsweise Telefónica, ein großer Telekommunikationskonzern mit über 100.000 Mitarbeiter, hat es sehr gut geschafft über ein digitales Mitarbeiternetzwerk fast alle Mitarbeiter konstant in den Strategieprozess zu involvieren. Was man hier hervorheben muss, ist, dass der CEO sehr aktiv beteiligt ist. Er ist dabei, frägt, beantwortet, und geht in seinen Ansprachen und Meetings auch immer wieder ganz konkret auf Ideen ein, die im Mitarbeiternetzwerk gepostet werden. Die Leute, die mitmachen, haben wirklich das Gefühl, ihr Beitrag wird gesehen, wird geschätzt und berücksichtigt. Hier können digitale Technologien den großen Unternehmen helfen jene Konnektivität herzustellen, die verloren geht, wenn man eine gewisse Größe überschreitet.

Anders Indset meint in seinem neuen Buch „Das infizierte Denken“ sinngemäß, wir können unsere zukünftigen Herausforderungen der Klimakrise nur meistern, wenn wir nicht von Verzicht ausgehen, sondern Innovation und Nachhaltigkeit radikal anders denken, neue, disruptive Technologien einsetzen und nachhaltige Produkte „sexy“ machen. Wie stehen Sie dazu?

Matzler: Verzicht wird nicht funktionieren, außer wir erzwingen ihn. Aber das werden wir nicht wollen und selbst wenn es bei uns in den mehr industrialisierten Ländern mehr Verzicht geben würde, gibt es so viele Schwellenländer, die dem Wohlstand nachziehen und das verursacht enorme Treibhausgase. Also Verzicht wird nicht der Weg sein. Bestehendes leicht zu verbessern, wird nicht reichen, wir müssen wirklich ganz radikale, neue Wege gehen. Bill Gates vergleicht die Atmosphäre mit einer Badewanne deren Abfluss verstopft ist. Jedes zusätzliches CO2 Molekül kann dazu beitragen, wie ein Wasser Tröpfchen, die Badewanne zum Überlaufen zu bringen. Das heißt, wir müssen auf null kommen was den CO2 Ausstoß betrifft. Das heißt, wir brauchen disruptive Technologien und neue Geschäftsmodelle. Zum Beispiel Mobility as a Service. Es reicht nicht, wenn wir die Autos noch ein wenig energiefreundlicher machen. Was definit nicht reicht, nachhaltige Produkte „sexy“ zu machen. Das klingt zwar sehr nett, aber das wird bei weitem nicht reichen. Aus einem ganz einfachen Punkt, die größten CO2 Erzeuger sind die Energiegewinnung, das ist der Transport, das ist die Industrie. In der Industrie sind es Zement, Eisen, Stahl und Chemie, und wie man das „sexy“ machen kann, ist mir ein bisschen ein Rätsel. Was wir erreichen müssen ist, dass nachhaltige Produkte nicht teurer sind als die Konventionellen, das geht beispielsweise über den Ökozuschlag. Aber wo mit ihm einverstanden bin: Wir brauchen disruptive, neue Geschäftsmodelle. Und Konsumverzicht wird nicht ausreichen.
Hautz: Gerade für diese großen globalen Herausforderungen, die „great challenges“, beispielsweise Nachhaltigkeit, Umwelt, globale Armut, die in der Wissenschaft und Forschung immer mehr in den Vordergrund treten, sind Lösungen sehr komplex und schwierig zu generieren. Um diese anzugehen, braucht es Diversität und Input aus verschiedenen Bereichen. Da bringt Expertise aus nur einem Feld nicht viel, sondern genau da ist Open Strategy so wertvoll und hilfreich. Es gibt bereits Studien dazu, der Open Strategy Ansatz für solche Herausforderungen zum Einsatz kommt. Wo sich zum Beispiel verschiedene Organisationen in inter-organisationalen Workshops getroffen haben, um die Frage von Wasserverbrauch und Vermeidung von Wasserverschwendung zu diskutieren und eine allgemeine Strategie in dieser Industrie festzulegen. Wir haben auch in unserem Buch Beispiele in diesem Bereich. Eine Open Strategy Initiative der Voestalpine zeigte die Wichtigkeit der CO2 freien Stahlherstellung. Das Ergebnis war ein Pilot Projekt in diesem Bereich. Ich glaube genau für diese schwierigen Fragestellungen und diese neuen Ansätze, die diese Fragestellungen erfordern, ist der offene Ansatz der richtige.

Wie lange gibt es den Begriff „open strategy“ schon?

Matzler: Richard Whittington hat 2011 einen Aufsatz mit diesem Titel geschrieben. Etwas vorher haben wir in Innsbruck den Begriff „Democratizing Strategy“ schon in einem Conference Paper verwendet, aus dem ein Artikel in der California Management Review entstanden ist.
Hautz: Es ist ganz interessant zu sehen, dass immer wieder gleichzeitig in verschiedenen Ländern und in verschiedenen Forschungsgruppen auf ein gleiches neues Phänomen aufmerksam gemacht wurde, das unter verschieden „Labels“ behandelt wurde. Eben „Democratizing Strategy“ hier in Innsbruck“, „Open Strategy“ in Oxford, oder auch „Open Source you Strategy‘. Verschiedene „Labels, die über 2-3 Jahre auf diesen Begriff „open strategy“ konsolidiert wurden. Richard Whittington war sehr aktiv dabei diese Forschungsrichtung weiterzuführen und eine Community aufzubauen.

Wie geht für Sie die Forschung im Bereich open strategy weiter? Welche zukünftigen Themen erachten Sie als zentral?

Hautz: Die Forschungscommunity zu Open Strategy hat sich in den letzten Jahren stetig entwickelt. In den ersten Jahren ging es darum, dass wir uns bewusst werden, was dieser Begriff bedeutet, was das Konzept „open strategy“ beinhaltet. Es ist jetzt schon einiges passiert, im Bereich von qualitativer Forschung. Einzelne case studies haben sich damit beschäftig, wie in einzelnen Unternehmen Open Strategy stattfindet, mit starkem Fokus auf die Mikroebene, wie geht es Individuen die mitmachen, welche Diskurse entstehen? Zu Beginn der Entwicklung eines neuen Forschungsfeldes ist es einfach notwendig ein besseres Verständnis zu entwickeln, was da überhaupt vor sich geht. In der nächsten Zeit braucht es nun einen Schritt in Richtung quantitativer Forschung. Wie können wir Offenheit messen? Wie weit verbreitet sind diese Praktiken bei Unternehmen? Wie wirkt sich open strategy auf den Erfolg, auf die Qualität der Strategie, auf die Umsetzung aus? Größerer quantitative Studien werden in Zukunft erlauben, diese Zusammenhänge, die man jetzt in den einzelnen Fallstudien erkennen kann, auch tatsächlich darzustellen und messbar zu machen. Das hilft zu verstehen, was die Erfolgsfaktoren für einen erfolgreichen Open Strategy Ansatz sind.

Das bedeutet, es wird dann auch Langzeitstudien geben?

Hautz: Ja. Gerade in diesem Bereich, ist das essentiell, weil Strategie per Definiton etwas Langfristiges ist. Bei Produktinnovation sieht man relativ schnell den Output, wenn ein neues Produkt entwickelt wird und auf den Markt kommt und erfolgreich ist. Eine neue Strategie ist natürlich etwas Langfristiges, sie muss erst einmal im Unternehmen umgesetzt werden. Strategien bringen oft sehr große strukturelle Veränderungen in einem Unternehmen mit sich, speziell wenn es um neue Geschäftsmodelle geht. Disruptive Strategien und Geschäftsmodelle sind auch nicht vom ersten Jahr an sofort erfolgreich. Deshalb braucht es langfristig angelegte Studien, um zu verstehen, wie sich Strategien die in einem offenen Ansatz entwickelt und umgesetzt wurden auswirken.

Vielleicht als abschließende Frage: welche Botschaft in ihrem Buch liegt ihnen besonders am Herzen? Welche Einsichten möchten Sie mit uns teilen, die wir nicht bereits angesprochen haben?

Hautz: Für mich wichtig hervorzuheben, dass Open Strategy nicht nur ein Tool, sondern in erster Linie eine neue Denkweise ist, eine neue Philosophie, die vom Management so übernommen und mitgetragen werden muss. Es ist in der Regel nicht ein einzelnes Projekt, sondern eine dauerhafte Veränderung. Es ist eine langfristige Änderung im Denkansatz von Strategen und Leuten, die Strategieverantwortung im Unternehmen haben.
Matzler: Im Grunde haben wir mit diesem Buch etwas ganz Einfaches getan. Wir haben drei Dinge zusammengefügt, die vorher noch niemand zusammen gesehen hat. Das sind drei ganz große Themen. Das eine ist die Idee des „crowdsourcing“, die gibt es ja schon seit 20 Jahren. Mit Crowdsourcing versuchen Unternehmen Aktivitäten, die man typischerweise intern gemacht hat, an eine anonyme Masse auszulagern. „Open Innovation“ gehört auch dazu. Das zweite ist die Idee der Kollektiven Intelligenz, nämlich, dass unter bestimmten Bedingungen eine durchschnittliche Gruppe von Menschen viel intelligenter sein kann als der beste Experte, selbst wenn der Experte Teil der Gruppe ist. Und das Dritte ist die Theorie der disruptiven Innovation, wo man sieht, dass Disruptionen ganz selten von etablierten Unternehmen kommen, sondern meistens von Neueinsteigern oder Startups. Das macht es notwendig, sich zu öffnen. Und wenn man diese Dinge zusammenfügt, dann kommt dieser Open Strategy Ansatz als logische Konsequenz heraus.

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