Holzhäuser der Moderne

am Beispiel Holzbau Schneider in Lindau

Holzbauten haben bekanntermaßen eine Lange Geschichte. Besonders nach dem Ersten Weltkrieg erfuhren sie eine Hochkonjunktur. 

Die Firma Christoph & Unmack AG in Niesky in der Oberlausitz/ Niederschlesien (heute Sachsen) galt zu Beginn des 20. Jahrhunderts als größte Holzbaufabrik Europas und etablierte den Holzhausbau international. In Zusammenarbeit mit dem genialen Architekten und Konstrukteur Konrad Wachsmann (1901-1980) schrieb sie Architekturgeschichte. Das wohl berühmteste Haus dieses Betriebs ist das Sommerhaus von Albert Einstein in Caputh am Schwielowsee südwestlich von Potsdam aus dem Jahr 1929. Fast gleichzeitig beschäftigten sich auch andere Hersteller mit der Entwicklung von Holzhäusern, etwa die Deutschen Werkstätten in Dresden. Richard Riemerschmid (1868-1957) entwarf seinen „Typ36a“ im Geiste des Deutschen Werkbunds für die Gewerbeschau 1922 in München. Der Entwurf aus 4000 Einzelteilen ging aber nie in Serie – und wurde nur ein einziges Mal verkauft. Auch der Tischler Georg Schneider und sein kleiner Lindauer Holzbaubetrieb haben sich zweifellos an diesen Unternehmen und deren breit gefächerter Produktpalette orientiert (Fachwerk- oder Skelettbau, Platten- oder Tafelbau, Blockbau).

Diese Geschichte eignet sich als Thema für eine Abschlussarbeit für Master Studierende (Architektur / Kunstgeschichte) und wird in der hier gezeigten Studioausstellung vorgestellt. Interessierte können sich beim Leiter des Archivs für Bau.Kunst.Geschichte informieren.

Im Winter 2025 erscheint die dritte, aktualisierte und erweiterte Auflage des Buchs „WEITE BLICKE Landhäuser und Gärten am bayerischen Bodenseeufer“. Darin wird die beeindruckende Entwicklung der Villeggiatura an der „bayerischen Riviera“ von der Mitte des 19. bis in die Nachkriegszeit des 20. Jahrhunderts beschrieben.

Eine Besonderheit im Lindauer Stadtbild stellen die „Holzhäuser der Moderne“ dar, die an den verschiedensten Standorten zu finden sind. Selbst im Villengebiet am Schachener Seeufer mischen sich ein paar von ihnen zwischen die großen, stolzen Anwesen aus der Gründerzeit und stellen sofort klar, dass sie in einem ganz anderen Kontext entstanden sind. Am Beispiel der 1932 am Oeschländerweg 30 im Ortsteil Hoyren / Bad Schachen westlich der Inselstadt Lindau gebauten Villa Mysing wird die Entwicklung der ausführenden ortsansäßigen Firma Holzbau Schneider dargestellt.

 

Villa Mysing, Foto: Markus Traub

HAUS MYSING

Das 1932 fertiggestellte Haus Mysing wirkt zwischen den anderen Villen am Scha-chener Seeufer wie ein eingeschoßiges Wochenendhaus. In wirtschaftlich schwerer Zeit wurde das schmale Grundstück von dem aus Jever / Ostfriesland stammende Sanitätsrat Dr. Hans Mysing (1872-1964) und seine Frau Elsa Maria (1876-1967, geb. Kampe, Reutlingen), die sich einen Alterswohnsitz in Schachen wünschten, gekauft.

Bei genauerer Betrachtung überrascht es mit einer komfortablen Wohnfläche.

Dreietagig mit einer Grundfläche von 11 x 12 m beinhaltet das Raumprogramm: vier Abstellräume zuzüglich Heizungs-, Kohle-, Wasch-, Wein- und Blumenkeller im Tiefparterre, Diele, Herren- und Speisezimmer samt Küche, Anrichte und Wintergarten sowie eine Terrasse mit Abgang in den Garten im ErdgeschoB.

Neben zwei Gästezimmern (mit Nordbalkon) gliedert sich das Obergeschoß wie ein Appartement, bestehend aus Elternschlafzimmer, Bad, Ankleide sowie Wohn- und Arbeitszimmer mit Balkon auf der Seeseite. Ein großer Speicherraum und zwei Dachkammern unter dem Giebel ergänzen die Nutzfläche.

Im Mai 1945 wurde das Haus durch französische Truppen besetzt, das Ehepaar zog nach Enzisweiler und verkaufte das Haus nach der Restitution 1952 an den Architekten Hans Kamper, dessen Nachkommen weiterhin hier leben.

Lindauer Ausstellung 1925

HAUS SCHNEIDER "HEIMAT"
LINDAUER AUSSTELLUNG 1925

Das als Musterhaus für die „Lindauer Ausstellung Industrie – Gewerbe – Handel –

Gartenbau 9.-30. August 1925“ konzipierte Haus Schneider („Heimat“) wurde nach Ausstellungsende wieder in seine Einzelteile zerlegt, nach Aeschach transportiert und steht dort noch heute im Stromayrweg 9. Es repräsentiert den Einfamilienhaustyp über einem gemauerten Keller, der als hoher Sockel über dem Gelände in Erscheinung tritt.

Der Haustyp „Heimat“ in seinen verschiedenen Varianten als Ein- und Zweifamilienhaus bündelt in baukünstlerischer Hinsicht mehrere Entwicklungsstränge. Zahlreiche „Schneider-Häuser“ entstanden nicht nur in Lindau und Umgebung sondern auch an verschiedenen Standorten zwischen Schwarzwald und den

bayerischen Alpen. 2020 wurde das Wohnhaus Schneider – pars pro toto für die noch bestehenden „Schneider-Häuser“ in Lindau - unter Denkmalschutz gestellt.

HOLZBAU SCHNEIDER

Der neue Ansatz, moderne Häuser aus industriell vorfabrizierten Holzteilen herzustellen, wurde von dem vor Ort ansässigen Schreinerbetrieb „Holzbau Schneider“ aufgenommen. Die Geschichte des Aeschacher Betriebs wurde bis heute nur

ansatzweise aufgearbeitet, so dass eine handschriftliche Chronik eine der wenigen Quellen dazu darstellt. Geschrieben hat sie 1942 die Tochter von Ernst Schneider und heutige Lindauer Ehrenbürgerin Anneliese Spangehl (geb. 23.04.1927) im Rahmen einer Hausarbeit im Schulunterricht.

Der Betrieb wurde 1801 gegründet und bis 1933 als kleiner Familienbetrieb geführt. Ab 1933 bescherte die Aufrüstung der Deutschen Wehrmacht der Firma Schneider einen Boom. Die Schülerin berichtet: „durch Schaffung des Kriegsarbeitsdienstes und Neuaufbau des Heeres, wofür viele Baracken gebaut werden mussten, zu denen noch Siedlungsbauten hinzukamen. Das Geschäft erweiterte sich.“ Tatsächlich wurde die normierte Baracke zum wahrscheinlich bedeutendsten Bautyp des Dritten Reichs.

Mit dem Raub- und Eroberungskrieg Hitlerdeutschlands wurde Holzbau Schneider als offizieller Rüstungsbetrieb dem Oberkommando des Heeres unterstellt und mit Zwangsarbeitern geführt: zunächst 40 Kriegsgefangene aus Frankreich und Serbien, später mit zusätzlichen 40 „Ostarbeitern“. Nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs mussten zahlreiche Schneider-Systemhäuser unter der Bezeichnung „Vercors (ex Lindau)“ als Reparationsleistung nach Frankreich geliefert werden.

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