Abstrakte Darstellung des Gehirns.

Individuell abgestimmte Therapien für Patient:innen sind das langfristige Ziel, an dem Wissenschaftler:innen unterschiedlicher Fachrichtungen forschen.

Wenn The­ra­pie per­sön­lich wird

Depressionen zählen zu den häufigsten psychischen Krankheiten und sind immer noch nicht vollständig erforscht. Warum sind manche Menschen anfälliger als andere, und wie können Therapien entwickelt werden, die individuell wirksamer sind?

In dem europäischen Forschungsprojekt ArtiPro arbeiten Wissenschaftler:innen unterschiedlicher Disziplinen zusammen, um die Grundlage für personalisierte Medizin zur Behandlung von Depressionen zu schaffen. Von der Uni Innsbruck sind Projektleiter Roberto Viviani, Professor für Klinische Psychologie, und Clara Rauchegger, Professorin für Digitalrecht, gemeinsam mit ihrem Team beteiligt.

Warum ich?

Die Psychologie sucht Antworten im Zusammenspiel von Verhalten und Gehirn. Ein Schwerpunkt der Innsbrucker Forschung liegt auf der sogenannten Selbstregulation, der Fähigkeit, sich zu steuern, Ziele zu verfolgen und Versuchungen zu widerstehen. Wer hier Schwierigkeiten hat, ist offenbar stärker gefährdet, an einer psychischen Erkrankung zu leiden. Mit modernen Hirnscans untersucht das Team um Roberto Viviani gemeinsam mit internationalen Partnern, wie sich diese Unterschiede im Gehirn zeigen. „Ergebnisse deuten darauf hin, dass Unterschiede in dieser Fähigkeit auch im Gehirn messbar sind“, so Vivani. Damit zeigt die Forschung im Projekt ein modernes Verständnis von psychischen Störungen. Statt nur die klassische Diagnose „Depression“ oder „Angststörung“ zu betrachten, rücken gemeinsame Ursachen wie Selbstregulation in den Fokus.

Viele Erkrankungen teilen genetische und psychologische Grundlagen. Wer diese besser versteht, kann neue Behandlungswege eröffnen. Der Wissenschaftler und sein Team arbeiten an Modellen, die helfen sollen, die richtige Dosierung von beispielsweise Antidepressiva individuell anzupassen. Dafür werden genetische Daten von Patient:innen und Informationen über andere Medikamente, die sie einnehmen, kombiniert. Denn nicht alle Menschen verarbeiten Wirkstoffe gleich. Manche bauen Medikamente sehr schnell ab, andere nur langsam. Ursache sind genetische Unterschiede, sogenannte Polymorphismen. „Das ist ähnlich wie bei der Augenfarbe. Gene haben Varianten, die Unterschiede bewirken. Manche beeinflussen eben auch Enzyme, die Medikamente abbauen“, erklärt der Forscher. Gerade bei Psychopharmaka spielt dieser Faktor eine große Rolle. Hier könnten Vorhersagemodelle künftig helfen, die Behandlung zielgenauer und sicherer zu machen. Auch die Unterstützung von künstlicher Intelligenz wird für die Forschenden zukünftig interessant sein. Algorithmen sollen helfen, Muster in großen Datenmengen zu erkennen und damit individuelle Therapieentscheidungen zu unterstützen. Doch der Einsatz von KI im Gesundheitswesen ist rechtlich streng reguliert.

 

Roberto Viviani, Professor für Klinische Psychologie: „Wir entwickeln Modelle, und in Zukunft soll eine Ärztin oder ein Arzt anhand dieser Modelle Empfehlungen bekommen, die der individuellen Situation am besten entsprechen.“

Portraitbild Roberto Viviani

Rechtliche Leitplanken

So sensibel wie die Forschung ist, so streng sind auch die rechtlichen Vorgaben. Genetische Daten, psychologische Tests und Hirnscans zählen zu den persönlichsten Informationen eines Menschen. Hier setzt die Arbeit von Clara Rauchegger, Professorin für Digitalrecht an der Uni Innsbruck, und ihrer Mitarbeiterin Lena Lagger an. Sie untersuchen, wie Innovation und Datenschutz in Einklang gebracht werden können. „Im Projekt wollen wir vorhandene Datensätze zu Depressionen auf einer Plattform bündeln, damit Forschungslücken kleiner werden und Ergebnisse besser vergleichbar sind“, so Rauchegger, die betont, dass dieses Vorhaben mit den sensiblen Daten von Patient:innen rechtlich abgesichert werden muss. „Die größte Herausforderung war der Datenschutz. Dürfen wir diese sensiblen Daten überhaupt an einem Ort zusammenführen?“, erläutert die Wissenschaftlerin, die ursprünglich davon ausging, dass rechtliche Fragen rund um das Thema Künstliche Intelligenz zentral sein würden. Entgegen ihrer Erwartungen zeigte sich, dass zuerst Fragen zur Datenschutz-Grundverordnung (DSGVO) geklärt werden mussten. „Gesundheitsdaten sind grundsätzlich tabu – außer, eine Rechtsgrundlage erlaubt die Datenverarbeitung. Für solche Forschungsprojekte ist die Einwilligung der Teilnehmenden zentral. Zu enge Einwilligungen blockieren spätere Forschung, zu weite sind unzulässig. Es geht um den Mittelweg.“ Zudem beschäftigt die Expertinnen die neue KI-Verordnung der EU als Teil des Projektes. „Im medizinischen Bereich gilt Künstliche Intelligenz oft als Hochrisiko-Anwendung. Entscheidungen dürfen deshalb nicht völlig automatisiert getroffen werden. Es muss immer ein Mensch involviert bleiben, der auch anders entscheiden kann und weiß, warum welche Entscheidungen getroffen werden“, betont Rauchegger. Ein weiterer Punkt ist die Transparenz. „Das Problem ist oft die Blackbox – wenn niemand weiß, wie ein Algorithmus entschieden hat. Gerade Ärzt:innen und Patient:innen müssen aber nachvollziehen können, wie eine Empfehlung zustande kommt“, erklärt Rauchegger.

Portraitbild Clara Rauchegger

Clara Rauchegger, Professorin für Digitalrecht: „Die größte Herausforderung war der Datenschutz. Dürfen wir diese sensiblen Daten überhaupt an einem Ort zusammenführen?“

Modelle für den Klinikalltag

Noch befindet sich ArtiPro in der Forschungsphase. Langfristig sollen die entwickelten Modelle aber in der Praxis eingesetzt werden: Ärzt:innen könnten dann auf Basis genetischer Daten, Hirnscans und psychologischer Tests Empfehlungen zur passenden Dosierung eines Antidepressivums erhalten. „Unsere Rolle ist es, die Grundlagen zu schaffen“, sagt Roberto Viviani. „Wir entwickeln Modelle, und in Zukunft soll eine Ärztin oder ein Arzt anhand dieser Modelle Empfehlungen bekommen, die der individuellen Situation am besten entsprechen.“ ArtiPro ist Teil eines europäischen Förderprogramms für personalisierte Medizin. Beteiligt sind Partner in Deutschland, Norwegen, Kroatien, Israel und Italien. Ein Vorteil sei die einheitliche Rechtslage in Europa, sagt die Juristin Clara Rauchegger: „Das Schöne an der DSGVO ist, dass sie in allen EU-Mitgliedstaaten gleichermaßen gilt. Deshalb konnten wir den Rechtsrahmen für alle Projektpartner zentral bearbeiten.“ Psychologie und Recht arbeiten in diesem Projekt Hand in Hand, mit dem gemeinsamen Ziel, Depressionen besser zu verstehen und den Weg für eine personalisierte Medizin der Zukunft zu bereiten. Betroffene Patient:innen können hoffen, in Zukunft individualisierte Therapien, eine schnellere Wirkung sowie mehr Sicherheit und Transparenz zu bekommen.

Dieser Beitrag ist in der Oktober-Ausgabe von wissenswert erschienen. Die gesamte Beilage zur Tiroler Tageszeitung finden Sie hier (PDF)!

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