Zu sehen ist eine gefährliche Situation am Zebrastreifen aus Vogelperspektive, in der ein Auto vor einer Dilemma-Situation steht.

Wie ein autonomes Fahrzeug in einer Unfallsituation reagieren soll, muss bereits bei der Programmierung entschieden werden.

Wen soll der Algo­rith­mus ret­ten?

Selbstfahrende Autos werden in Zukunft unsere Mobilität verändern und sehr wahrscheinlich in vielerlei Hinsicht verbessern. Der Jurist Lando Kirchmair plädiert im Interview dafür, die entsprechenden ethischen und rechtlichen Rahmenbedingungen schon jetzt auszuhandeln.

Autonome Fahrzeuge, so legen Einschätzungen nahe, können die Zahl der Verkehrsunfälle deutlich vermindern und zu einer umweltfreundlicheren Mobilität führen. Sie sind weniger fehleranfällig als Menschen, konsumieren auf dem Weihnachtsmarkt nicht zu viel Glühwein, schauen während der Fahrt nicht auf WhatsApp und denken auch nicht darüber nach, was es zum Abendessen gibt. Bis vollständig autonomes Fahren auf Level 5 (siehe Box am Ende des Beitrags) möglich sein wird, werden noch einige Jahre vergehen. Wie sich die Gesellschaft darauf schon jetzt vorbereiten sollte und wie „Auto-Autos“ entscheiden können, was gut und recht ist, untersucht Univ.-Prof. Dr. Lando Kirchmair vom Institut für Theorie und Zukunft des Rechts.

Wenn wir über selbstfahrende Autos sprechen, geht es um Technik, aber auch um Recht und Ethik – wie in einem kürzlich von Ihnen und Norbert Paulo veröffentlichten Buch. Womit beschäftigen Sie sich?
Das Buch entstand im Kontext des großen interdisziplinären Forschungsprojekts EMERGENCY-VRD, das ich gemeinsam mit dem Ingenieurmathematiker Matthias Gerdts und dem Philosophen Norbert Paulo leite. Als Jurist geht es mir natürlich in erster Linie um die rechtliche Perspektive, aber um eine, die zumindest versuchen will, die Technik zu verstehen und die auch ethische Fragen ausreichend berücksichtigt.

Was ist technisch möglich und wie weit sind im Vergleich dazu die rechtlichen Rahmenbedingungen?
Technische Fortschritte überblicke ich als Jurist nur begrenzt. Ich wage aber zu behaupten, dass die technische Entwicklung soweit ist, dass man sich mit ethischen Entscheidungen und rechtlichen Regulierungen beeilen sollte. Das ist meines Wissens auch im Sinne der Autoindustrie, die Regulierungen gegenüber bis zu einem gewissen Grad oft nicht abgeneigt ist, sofern sie nicht zu spät kommen, um in entsprechenden Entwicklungsschritten berücksichtigt zu werden.
2021 trat in Deutschland das Gesetz zum autonomen Fahren in Kraft, das die Zulassung von autonomen Fahrzeugen auf Level 4 in bestimmten Bereichen ermöglicht. Das ist weitreichend und vorausschauend gedacht. Gegenwärtig gibt es in Deutschland Zulassungen für Autos auf Level 3, die auf deutschen Straßen fahren dürfen. In Österreich ist momentan nur ein Testbetrieb erlaubt und es herrscht eine allgemeine Zurückhaltung vor.
Insbesondere moralische Dilemmata, die sich in Unfallsituationen stellen, sind noch nicht ausreichend geklärt und reguliert – weder im deutschen Gesetz von 2021, noch in der europäischen Fahrzeuggenehmigungs- und der dazugehörigen Durchführungsverordnung von 2022.

Was sind das für Dilemmata?
Wenngleich zu erwarten ist, dass durch autonomes Fahren die Zahl der Verkehrstoten sinkt, werden tödliche Unfälle unvermeidbar bleiben. Wenn selbstfahrende Fahrzeuge in Unfälle verwickelt werden, kann sich – zugespitzt – die Frage stellen, wen der Algorithmus in einer Unfallsituation retten soll, zum Beispiel diese oder jene Person oder Personengruppe, eine größere oder eine kleinere Anzahl an Menschen, den Passagier im Auto oder die Fußgänger, die bei Rot über die Ampel gehen?

Wie kann man diese Situationen angemessen lösen?
Das Wichtigste zuerst: Es braucht Regulierungen, denn sonst müssen diejenigen, die die Autos produzieren und programmieren, diese Entscheidungen treffen. Wir sind der Ansicht, dass das Schaffen entsprechender Grundlagen in öffentlicher Hand bleiben soll.
Außerdem glauben wir, dass Dilemma-Fragen nicht im stillen Kämmerchen entschieden werden sollten, es braucht vielmehr eine breite öffentliche Debatte.
Die in Deutschland im Zuge der Gesetzgebung eingesetzte Ethik-Kommission hat zwanzig Regeln empfohlen. Während z.B. das ethische Gebot der Schadensminimierung und die Priorisierung von Menschenleben wohl unstrittig sind, verhält sich das nicht mit allen Empfehlungen gleich. Die Kommission konnte sich nicht auf eine moralische Bewertung einer Programmierung einigen, mit der so viele Leben wie möglich gerettet werden. Abwägungen zwischen Menschenleben sind also derzeit in der Programmierung selbstfahrender Autos in Deutschland weder ausdrücklich verboten noch ausdrücklich gesetzlich erlaubt. Das steht durchaus mit empirischen Studien in Konflikt, die regelmäßig zu dem Ergebnis kommen, dass die größere Personenanzahl gerettet werden sollte. Wir sind der Ansicht, dass auch die Meinung von Laien als ein Punkt in die Abwägung einfließen soll. Das ist auch für die Akzeptanz dieser neuen Technologien wichtig.

Wenn Autos irgendwann besser fahren als Menschen, wird es Menschen dann per Gesetz verboten werden müssen, Autos zu lenken? Vielleicht, weil die von Ihnen erwähnte Akzeptanz nicht da ist?
Die ehemalige deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel hat 2017 vorhergesagt, dass in 20 Jahren niemand mehr ohne eine Sondergenehmigung auf öffentlichen Straßen fahren dürfen wird. Auch wenn bis dahin noch Zeit sein mag, glaube ich nicht, dass man mit der Brechstange etwas durchsetzen muss. Die Autonomie wird schrittweise kommen. Bei neuen Autos gibt es ja bereits eine Reihe von Assistenzsystemen wie den Tempomat, die Einparkhilfe oder den Spurhalteassistenten, die warnen und in bestimmten Situationen sogar eingreifen – die Akzeptanz gegenüber diesen Systemen ist durchaus vorhanden. Die Autonomie wird also eher schleichend kommen. Was man in diesem Zusammenhang bedenken sollte, ist, dass es in der Übergangsphase sogenannten Mischverkehr geben wird, also autonom fahrende Autos und von Menschen gelenkte unterwegs sind. Das ist natürlich eine besonders große Herausforderung, weil das autonome Fahrzeug seine Reaktion auf die gelegentlich unberechenbare Fahrweise menschlicher Lenkerinnen und Lenker abstimmen muss.

Welchen Zeithorizont haben wir, um Regulierungen zu schaffen?
Ich finde es gar nicht so wichtig, darüber zu spekulieren, ob es in 15, 20 oder 30 Jahren für Menschen nur mehr in Ausnahmefällen möglich sein wird, selbst zu lenken. Wichtig ist, die Dringlichkeit einer Auseinandersetzung zu erkennen und jetzt eine Regulierung durch den Gesetzgeber vorzubereiten. Wenngleich der Prozess der Automatisierung ein schleichender ist, mag er schneller kommen als man meinen würde und eine gute Regulierung benötigt Zeit. Zudem gilt: Es ist keine Option, keine Entscheidung zu treffen.

Zur Person

Lando Kirchmair studierte Rechtswissenschaften, Wirtschaftsrecht, Spanisch, Portugiesisch und Psychologie an den Universitäten Innsbruck, Salamanca und Salzburg, wo er 2013 promovierte. Nach zahlreichen internationalen Stationen habilitierte er sich 2020 an der Universität der Bundeswehr München in den Fächern Öffentliches Recht, Völkerrecht, Europarecht und Rechtsphilosophie. Seit 2025 ist Kirchmair Euregio-Stiftungsprofessor für das Recht der Nachhaltigkeit und Mobilität an der Universität Innsbruck. 2025 erschien das Buch Selbstfahrende Autos – wie soll über Leben und Tod entschieden werden?

In 6 Stufen zur Autonomie

Die SAE International ist eine über 100.000 Mitglieder zählende Organisation, die sich dem Fortschritt in der Mobilitätstechnologie widmet. Sie definiert sechs Stufen der Autonomie bei Fahrzeugen:

  • Level 0 – keine Automatisierung: Das Fahrzeug besitzt keinerlei computergestützte Technik und die Verantwortung liegt vollständig beim Menschen.
  • Level 1 – assistiertes Fahren: Das Fahrzeug verfügt über ein Assistenzsystem. Der Mensch überwacht dauerhaft und greift jederzeit ein.
  • Level 2 – teilautomatisiertes Fahren: Durch eine Kombination von Assistenzsystemen kann das Auto unter definierten Bedingungen bestimmte Aktionen ausführen, der Lenkende kann die Hände vom Steuer nehmen, er ist aber immer noch selbst verantwortlich.
  • Level 3 – hochautomatisiertes Fahren: Fahrzeuge können bestimmte Fahraufgaben selbstständig und ohne menschlichen Eingriff bewältigen, allerdings nur unter vorgegebenen Bedingungen. Der Fahrende darf sich zeitweise abwenden, muss aber bereit sein, sobald er vom System aufgefordert wird.
  • Level 4 – vollautomatisiertes Fahren: Die technischen Systeme übernehmen alle Fahraufgaben, der Fahrende kann die Fahrzeugführung komplett abgeben und wird zum Mitfahrenden.
  • Level 5 – autonomes Fahren: Die Technik im Auto bewältigt alle Verkehrssituationen, es gibt nur noch Passagiere ohne Fahraufgabe. Fahrten ohne Mitfahrende sind möglich.

Dieser Beitrag erschien in der Dezember-Ausgabe von wissenswert, einer Beilage der Universität Innsbruck zur Tiroler Tageszeitung.

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