Schmaler Felsgrat

Der Felspfeiler am Matterhorn vor dem Abbruch. Im Hintergrund sind Messgeräte zu erkennen.

Was­ser lässt Fels am Mat­ter­horn wan­ken

Am Matterhorn zeigt ein internationales Forschungsteam unter Leitung von Jan Beutel vom Institut für Informatik, wie Schmelzwasser im Permafrost zu Felsinstabilität führen kann. Ein Felspfeiler stürzte dort 2023 nach jahrelangem Wasserzutritt ab. Langzeitmessungen und Modell zeigen nun, wie Schmelzwasser solche Felsstürze auslösen kann – eine Folge des Klimawandels.

Seit vielen Jahren betreibt Jan Beutel gemeinsam mit Kolleg:innen im Hochgebirge Sensornetzwerke: Er hat beispielsweise auf dem Hörnligrat am Matterhorn ein drahtloses Sensornetz etabliert, das Temperatur-, Bewegungs- und Seismische Daten in einem extrem steilen Permafrostgelände sammelt. Dieser Ansatz erlaubt es, den „Laboreffekt abseits des Labors“ auf Bergflanken zu etablieren: Daten in Echtzeit, kombiniert mit innovativer Sensortechnik, bilden auch die Grundlage für Modelle zur Instabilität. „Mit unserer Expertise in drahtlosen Sensornetzwerken und hochalpiner Umweltüberwachung bringen wir einen technologischen Ansatz in die Naturgefahrenforschung, der die Hochgebirgsforschung entscheidend erweitert, auch am Matterhorn“, sagt Jan Beutel vom Institut für Informatik.

Wasser macht Fels instabil

Dringt Schmelzwasser in Felsklüfte im Permafrost ein, transportiert es Wärme in die Tiefe – und taut dort das gefrorene Gestein auf. Welche Prozesse den Fels dabei destabilisieren, bis hin zum Abbruch, hat Jan Beutel mit Forscher:innen des SLF Davos, der RWTH Aachen und der TU München gemeinsam an einem prominenten Beispiel untersucht: Am 13. Juni 2023 kollabierte ein freistehender Felspfeiler am Hörnligrat, dem prominentesten Zugang zum Matterhorn. Rund 20 Kubikmeter Gestein stürzten herab, glücklicherweise, ohne jemanden zu verletzen. Zuvor war jahrelang jeweils während der Schneeschmelze Wasser in den Fels unterhalb des Pfeilers gelangt, hatte das Gestein vorübergehend aufgetaut, geschwächt und so schrittweise destabilisiert. „Der Klimawandel beschleunigt solche Vorgänge. Sie sind mittlerweile ein weit verbreiteter Treiber für die zunehmende Häufigkeit von Steinschlägen und Bergstürzen in hochalpinem Permafrost“, sagt SLF-Forscher Samuel Weber.

Illustrationen

Links: Felsturm während seiner fortschreitenden Kippbewegung bis hin zum Kollaps am 13. Juni 2023. Rechts: Prozess der Destabilisierung von Permafrost Fels durch eindringendes Wasser konzeptionell illustriert.

Kettenreaktion im Fels

Neun Jahre lang beobachteten und vermassen die Forschenden den Felspfeiler. Wichtigster Teil war ein GNSS-Empfänger und Inklinometer. Mit dessen Hilfe konnten sie jede Bewegung des Pfeilers millimetergenau erfassen. Diese Messreihe verglichen sie unter anderem mit seismischen Signalen, Bildern einer Zeitrafferkamera sowie Laseraufnahmen. Auf Basis von Gesteinsproben vom Hörnligrat holten sie den Felspfeiler im Rahmen einer internationalen Kooperation ins Labor. „Das Auftauen reduziert den kritischen Reibungswinkel deutlich, unter dem eine Felsmasse in Bewegung gerät“, hat Weber so herausgefunden. Die Erkenntnisse übertrugen sie in ein Computermodell. Mit Erfolg, die Simulation gab die gemessenen Bewegungen am Matterhorn eins zu eins wieder.

Gleich drei Effekte erhöhen die Instabilität: In Folge des Klimawandels schmilzt das im Permafrost vorhandene Eis, das den Fels bislang versiegelt hat. Dadurch kann Wasser in die Tiefe vordringen. Das baut Druck auf das Gestein auf. Gleichzeitig bringt das Wasser wärmere Temperaturen in den Untergrund. Eine Kettenreaktion, denn so tauen Permafrost und Eis noch schneller auf – was wiederum dem Wasser und somit der Wärme Wege noch weiter in die Tiefe ermöglicht. „Zudem reduziert sich dadurch auch noch die Reibung an der Bruchstelle um bis zu 50 Prozent, was das Gestein zusätzlich schwächt“, sagt Weber.

Dieses Video bietet tiefere Einblicke in die Arbeit der SLF-Forschenden, ihre Methoden und ihre Erkenntnisse sowie Details zu den Prozessen, die Schmelzwasser im Permafrost auslöst. Nur auf Englisch. (Video: Samuel Weber / SLF / Stimme: murf.ai)
Dieses Video bietet tiefere Einblicke in die Arbeit der Forschenden, ihre Methoden und ihre Erkenntnisse sowie Details zu den Prozessen, die Schmelzwasser im Permafrost auslöst. Nur auf Englisch. (Video: Samuel Weber / SLF / Stimme: murf.ai)

Zehn Tage bis zum Abbruch

Am Hörnligrat wurde das Zusammenspiel dieser Effekte eindrucksvoll sichtbar. Über Jahre neigte sich der Felspfeiler langsam, ab 2022 jedoch immer schneller. „Zeitrafferaufnahmen dokumentieren eine sichtbare Beschleunigung in den zehn Tagen vor dem Abbruch im Juni 2023“, sagt Weber. Gleichzeitig lieferten drei Seismometer in der Nähe Hinweise auf die Dynamik des sich abzeichnenden Abbruchs. „Wetterdaten und die Temperaturen im Permafrost deuten darauf hin, dass eindringendes Wasser ein schnelles, kurzfristiges Auftauen in der Tiefe bewirkt hat und entscheidend für das Ereignis waren“, erklärt Weber.

Um die Gefahr von Felsstürzen im Permafrost besser einschätzen zu können, will Weber mehr über die Wechselwirkung von Temperatur, Wasser und Eis im gefrorenen Gestein und deren mechanischer Auswirkung herausfinden. Dazu benötigt er weitere Daten: „Wir fokussieren uns jetzt auf die Rolle des Wassers und kombinieren hierfür verschiedene Messmethoden.“

Publikation: Progressive destabilization of a freestanding rock pillar in permafrost on the Matterhorn (Swiss Alps): Hydro-mechanical modeling and analysis. Samuel Weber, Jan Beutel, Michael Dietze, Alexander Bast, Robert Kenner, Marcia Phillips, Johannes Leinauer, Simon Mühlbauer, Felix Pfluger, and Michael Krautblatter. Earth Surface Dynamics 2025 DOI: 10.5194/esurf-13-1157-2025

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