Von der Produktion des Wissens zur Alumni-Produktion
Bevor Wissen “draußen“ angewendet und sein Transfer diskutiert werden kann, muss es zunächst “drinnen“ erzeugt werden – an den Universitäten selbst. Entsprechend eröffneten die Innsbrucker Professoren Max Preglau, der die Soziologieausbildung über fast vier Jahrzehnte bis 2016 mitprägte, und Frank Welz, der in der jüngeren Zeit über hundert Masterarbeiten der heutigen “Alumni” betreute, die Reihe der Impulsvorträge.
Preglau analysierte die Bedingungen, unter denen noch im sozialdemokratischen Wohlfahrtsstaat der ‘gebildete Bürger’ adressiert und die Ausrichtung der soziologischen Wissensproduktion auf ein emanzipatorisches Erkenntnisinteresse ermöglicht oder sogar nahegelegt wurde. Welz resümierte demgegenüber die spätere Entwicklung, in der durch die ‘Produktivität der Macht’ des Publish or Perish und des alle unterwerfenden Governing by Numbers eine neue Innenorientierung entstand – die nicht mehr auf das Gemeinwohl, sondern auf die Karrieren ‘erfolgreicher Einzelner’ ziele. Allerdings formiere sich in den Strategie-Zirkeln der Initiative for Science in Europe und des European Research Council derzeit eine Gegenbewegung, deren Credo wegweisend sei: Das höchste Gut und der wichtigste Output der Universität sind ihre Alumni.
Die soziologische Denkweise im Beruf
Wie steht es um diese? Ganz hervorragend – wie der Blick auf das Podium und den vollbesetzten Saal zeigte: Sechzig Soziologinnen und Soziologen von Bludenz bis Wien und von München bis aus dem Südtiroler Grödner Tal nahmen teil. In eloquenten, scharfsinnig analysierenden wie motivierenden Beiträgen zeigten Claudia Schütz (youngCaritas, Innsbruck), Josef Untermarzoner (Südtiroler Gewerkschaftsbund, Brixen) und Quentin Erren (Bundeskammer der Ziviltechniker:innen, Wien) unter Moderation von Monica Ender (AMS Tirol), wie vielseitig und bedeutsam soziologisches Wissen in der beruflichen Praxis Wertschätzung und Anwendung findet. Denn es geht da “draußen” nicht nur um einen Perspektivenwechsel – die soziologische Fähigkeit, komplexe individuelle, soziale und organisationale Situationen zu verstehen und zu artikulieren –, der Brücken der Verständigung schlägt, die in Berufen der Beratung, der Organisation, Planung, Kommunikation und Führung immer mehr gebraucht werden.
In einer medialen Öffentlichkeit, in der Kriege wieder als Konflikte zweier Übersubjekte erzählt (wenn nicht gar zweier Hypermänner) und makroökonomische Fragen aus der Mikroperspektive der ‘schwäbischen Hausfrau’ beurteilt werden, scheint die soziologische Denkweise benötigter denn je.
Gefordert ist, die selbst verursachten Bedingungen der sozialen Phänomene zu analysieren. Die individuelle Biographie muss mit der Geschichte, die Wohlfahrtsentwicklung im eigenen Land mit den externen Kriegen verknüpft werden – wie es der amerikanische Soziologe C. Wright Mills in seiner berühmten, in Innsbruck vollendeten Sociological Imagination anmahnte.
Tiroler Gesellschaft für Soziologie
Die Debatte wird fortgesetzt. Darauf wiesen Pia Eder, Matthias Eisl und Nik König hin, die durch ihr Engagement zur Verwirklichung der von Welz angeregten Gründung der Tiroler Gesellschaft für Soziologie (TGS) beitrugen, die sie am Abend bekannt gaben. Wer mitwirken möchte, ist herzlich eingeladen, sich zu melden.
