In der Literatur der Verhaltensforschung wird weitgehend davon ausgegangen, dass Menschen ihr persönliches Verhalten an das einer Referenzgruppe anpassen. Dabei wird zwischen deskriptiven Normen – der Annahme, dass andere sich auf eine bestimmte Weise verhalten – und injunktiven Normen – bei denen Menschen glauben, dass sie sich so verhalten müssen, wie es von einer Referenzgruppe erwartet wird – unterschieden.
In der Gesundheitskommunikation wird dieses Phänomen als Chance wahrgenommen, die Wirksamkeit Sozialer Normen in der Kommunikation zu nutzen und so Einzelpersonen zu einem gesundheitsförderlichen Verhalten zu führen: „Buche deinen NHS-Gesundheitscheck. Sechs Millionen Menschen haben schon teilgenommen“, lautete etwa eine Kampagne in Großbritannien. Es geht darum, wahrgenommene Soziale Normen zu bestätigen oder zu widerlegen, um das gewünschte Verhalten in der Zielgruppe zu erreichen. Darüber hinaus ist die Kommunikation Sozialer Normen vergleichsweise einfach zu realisieren und kostengünstig.
Meta-Analyse ohne Effekt
So einfach, wie bisher in der Forschung und der Gesundheitskommunikation angenommen, ist es nicht, zeigt eine Gruppe von Verhaltensforscher:innen aus Großbritannien und der Universität Innsbruck in einer Meta-Analyse, die kürzlich in der Fachzeitschrift Nature Human Behaviour erschienen ist. Die Analyse von 89 Studien, die die Wirkung der Vermittlung Sozialer Normen zur Förderung des Gesundheitsverhaltens in Industrieländern beleuchteten, ergab keinen statistisch signifikanten Effekt.
„Für dieses Ergebnis gibt es sowohl forschungsbezogene als auch praktische Gründe“, erklärt Co-Autorin Sarah Flecke, die bis Anfang August am Institut für Banken und Finanzen der Universität Innsbruck lehrte und forschte. Nun ist sie am University College London (ULC) tätig.
Vor Beginn der Metaanalyse wurde die Publikationsverzerrung berücksichtigt: "Viele Studien in diesem Bereich weisen einen Null-Effekt auf. Da Studien ohne statistisch signifikante Ergebnisse seltener publiziert werden, haben wir einen Anteil an sogenannter grauer Literatur miteinbezogen." Die unveröffentlichten Studien trug das Forschungsteam über persönliche Kontakte zusammen.
Für der Analyse der Ergebnisse definierte das Team vorab strenge Kriterien: „Wir haben sorgfältig darauf geachtet, Informationen aus dem primären Forschungsziel und der Hypothese einer Studie zu extrahieren”, erklärt Flecke. Wenn eine Studie auf die Wirksamkeit in der Gesamtbevölkerung abzielte, aber positive Effekte nur in einer Untergruppe festgestellt wurden, vermerkte das Forschungsteam dennoch die Hauptergebnisse – mit einem Null-Effekt – in der Meta-Analyse.
Die Autor:innen weisen darauf hin, dass nur wenige der einbezogenen Studien Manipulationskontrollen durchführen und untersuchten, ob normative Informationen die Wahrnehmung der Teilnehmer:innen tatsächlich veränderten. Darüber wurde eine erhebliche Heterogenität zwischen den Studien hinsichtlich des Zielverhaltens, der Zielgruppe und der Durchführung der Intervention festgestellt.
Um der Heterogenität gerecht zu werden, kategorisierten die Autor:innen die verschiedenen in die Analyse einbezogenen Studien und untersuchten, ob bestimmte Faktoren mehr oder weniger wirksam bei der Verbesserung des Gesundheitsverhaltens waren.
Diskrepanz zwischen Wissen und Verhalten
Soziale Normbotschaften gehen von der Bevorzugung der Konformität mit einer Referenzgruppe aus und basieren auf der zentralen Annahme, dass die Wahrnehmung des Verhaltens von Mitmenschen falsch ist: „Um gezielte Kampagnen zu Sozialen Normen zu entwickeln, muss man im Voraus wissen, was Einzelpersonen als Norm wahrnehmen und was nicht", erklärt Flecke.
Nur zehn der analysierten Studien untersuchten, ob es eine Diskrepanz zwischen der Wahrnehmung der Norm und der tatsächlichen Norm gibt. In vielen Fällen ist es möglicherweise nicht ein Mangel an Bewusstsein für gesundheitsfördernde Verhaltensweisen, sondern andere Faktoren, die Menschen davon abhalten, ihr Verhalten zu ändern.
„Unsere Analyse legt nahe, dass bei angemessener Kontrolle der Publikationsverzerrung Botschaften zu Sozialen Normen nicht wirksam sind, um das Gesundheitsverhalten zu verbessern“, sagt Flecke. Verhaltensforscher:innen, politische Entscheidungsträger:innen sowie Kommunikatoren:innen sollten vorsichtig sein, wenn sie Interventionen zu Sozialen Normen einsetzen und erwarten, dass diese funktionieren.
„Das bedeutet jedoch nicht, dass soziale Normen als Kommunikationsstrategie überhaupt nicht wirksam sind,“ betont Flecke. Unter den 89 analysierten Studien fanden sich auch einige erfolgreiche Interventionen.
Für weitere Forschung in diesem Bereich sei es essenziell, sich näher mit den Mechanismen befassen, die dieses Ergebnis erklären: „Geht es um den Informationswert einer Norm? Ist es die Diskrepanz zwischen der Wahrnehmung des Einzelnen und den tatsächlichen sozialen Normen? Welche Rolle spielt die Sichtbarkeit und Häufigkeit von Kampagnen? Aus den Limitationen, die wir in den analysierten Studien festgestellt haben, lassen sich viele Aspekte ableiten, die Möglichkeiten für zukünftige Forschungen bieten“, so Flecke.
Publikation: Papakonstantinou, T., Flecke, S. L., et al. (2025). A systematic review and meta-analysis of the effectiveness of social norms messaging approaches for improving health behaviours in developed countries. Nature Human Behaviour. DOI: 10.1038/s41562-025-02275-6
