Mit dem Tod von Anton Pelinka verliert Österreich wohl eines seiner markantesten kritischen Gewissen. Wie kaum ein anderer verkörperte Pelinka das «andere Österreich», das nicht mehr bereit war, an der Lebenslüge festzuhalten, erstes Opfer Hitlerdeutschlands gewesen zu sein.
Mit dem Fall Waldheim 1986 begann dieses Narrativ, nicht zuletzt dank Pelinka, rasch zu bröckeln. Schon ein Jahr zuvor hatte er in seinem Buch «Windstille» festgehalten: «In Wirklichkeit ist diese Scheinordnung, die alles zudeckt, nur die Unordnung der eignen Vergangenheit und damit der eigenen Zukunft». Zu dieser Scheinordnung gehörten auch Österreichs Antisemitismus und Rassismus, Themen, mit denen er sich Zeit seines Lebens beschäftigte.
Aufsehen erregend waren seine Auseinandersetzungen mit Jörg Haider, dem Parteiobmann der FPÖ, dem er vorwarf, den Nationalsozialismus zu verharmlosen. Haider klagte wegen Verleumdung, Pelinka wurde in 1. Instanz verurteilt, worauf sich Politologen und Politologinnen aus aller Welt mit ihm solidarisierten. Der Oberste Gerichtshof gab Pelinka letztlich recht.
Seine wissenschaftliche Beschäftigung mit Demokratietheorien und dem politischen System Österreichs, gleich wie mit dem Vergleich politischer Systeme, seine Beschäftigung mit Rechtsextremismus und Fremdenfeindlichkeit flossen in seinen gesellschaftspolitischen Einsatz mit ein. Das eine wäre ohne dem anderen bei Pelinka gar nicht denkbar gewesen. Auf Grund seines zivilgesellschaftlichen Engagements war Pelinka von 1994 bis 1997 österreichischer Vertreter in der Europäischen Kommission gegen Rassismus und Intoleranz.
Geboren 1941 in Wien, wuchs Pelinka im katholischen Milieu auf. Nach dem Studium der Rechtswissenschaften schrieb er für die katholisch orientierte Wochenzeitung «Die Furche», wo er zum Kreis der weltoffenen Journalisten gehörte. Schon bald weckte die Politikwissenschaft sein Interesse. Das lange vor der Einführung der Politikwissenschaft an österreichischen Universitäten ins Leben gerufene Institut für Höhere Studien in Wien wurde für ihn die prägende Ausbildungsstätte.
Nach seiner Habilitation in Salzburg (1972) und einem kurzen Aufenthalt in Deutschland war er von 1975 bis 2006 ordentlicher Professor an der Universität Innsbruck und baute hier erfolgreich das Institut für Politikwissenschaft auf. Pelinka hat ganz entscheidend zur Sichtbarkeit und Attraktivität des Standorts Innsbruck beigetragen und dieses international vernetzt. Nach Innsbruck zog man bald, um das Fach Politikwissenschaft zu studieren, am „Pelinka-Institut“.
Ein leichtes Unterfangen war die Institutsgründung nicht. Als Pelinka nach Innsbruck berufen wurde, gab es dieses noch gar nicht, lediglich die neu geschaffene Professur. Vorherrschend waren vielmehr Vorurteile gegenüber dem Fach und ihrem Vertreter. Die dominant auftretende Rechtswissenschaft reklamierte die Politikwissenschaft für sich. Erst zwei Jahre später wurde ein eigenes Institut für Politikwissenschaft gegründet, und erst 1985 die Politikwissenschaft auch als eigenständige Studienrichtung eingerichtet – ein Meilenstein, der untrennbar mit Pelinkas Engagement verbunden ist. Heute wird Politikwissenschaft an einer eigenen Fakultät für Soziale und politische Wissenschaften gelehrt. Ihr erster Dekan war Anton Pelinka.
Die ersten zehn Jahre bedeuteten für ihn Schwerarbeit. Was fehlte, waren Ressourcen; was half, waren seine wissenschaftliche Strahlkraft, seine öffentliche Präsenz und sein diplomatisches Verhandlungsgeschick. Beginnen musste er bescheiden mit einer Sekretärin und zwei Assistenten. Als er 2006 in den Ruhestand trat, zählte das Institut rund dreißig Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter.
Von Beginn an suchte Pelinka die internationale Vernetzung. So initiierte er bereits 1976 die Zusammenarbeit mit der University of New Orleans, aus der die „UNO-Innsbruck International Summer School“ entstand.
Seine internationale Ausstrahlung reichte weit: Gastprofessuren führten ihn u.a. nach Neu-Delhi, Stanford, Michigan, Harvard und an die Hebräische Universität von Jerusalem. Umgekehrt lud er stets namhafte ausländische – besonders amerikanische – Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler nach Innsbruck ein.
Pelinka hatte ein ausgesprochen gutes Gespür für zukunftsorientierte Entwicklungsfelder, die dem Institut langfristig zugute kamen. Das betraf beispielsweise die politische Bildung, zu deren Etablierung in Österreich Pelinka eine treibende Kraft war. So engagierte sich das Institut unter seiner Leitung bereits in den 1980er Jahren erfolgreich in der Lehrerfortbildung und Erwachsenenbildung.
Am Institut pflegte Pelinka eine flache Hierarchie. Bekannt ist, dass er einmal in der Woche wie alle anderen Mitglieder des Instituts den Postdienst übernahm. Mit seinen MitarbeiterInnen pflegte er stets ein kollegiales Verhältnis und förderte diese, wo immer er konnte. Nach seiner Pensionierung 2006 nahm er einen Ruf an die „Central European University“ in Budapest an, wo er bis 2018 forschte und lehrte. Der Universität Innsbruck blieb er weiter eng verbunden, zuletzt, von 2018 bis 2023, als Mitglied des Universitätsrates.
Pelinka war ein akademischer Lehrer von seltener Begabung. Er besaß die Fähigkeit, komplexe Sachverhalte verständlich und prägnant zu erklären. Er lehrte mit Leidenschaft und pflegte eine besondere Beziehung zu den Studierenden. Vielfältig und umfangreich sind seine Publikationen. Sie umfassen an die 30 Bücher, Unmengen an Aufsätzen und Buchbeiträgen. Pelinka war ein sehr produktiver Schreiber.
Zahlreich waren seine wissenschaftlichen und zivilgesellschaftlichen Initiativen. Unter anderem war er Mitbegründer der Österreichischen Gesellschaft für Politikwissenschaft, leitete neben dem Innsbrucker Institut über viele Jahre das in Wien angesiedelte Institut für Konfliktforschung und stand der Gesellschaft für Politische Aufklärung vor.
Das, was heute als third mission bezeichnet wird, hat Pelinka seit jeher betrieben. Neben Forschung und Lehre verstand er seinen Beruf als Auftrag, Forschungsergebnisse außerhalb der akademischen Welt zu verbreiten und so zur sozialen Offenheit und zur kulturellen Orientierung der Gesellschaft beizutragen. Wer immer ihn zu einem Vortrag einlud, Pelinka kam in der Regel mit öffentlichen Verkehrsmitteln und ohne Honorarforderungen.
Seine starke mediale Präsenz – ob als gefragter Interviewpartner, Analytiker, Kommentator oder als Moderator der legendären Fernsehsendung Club 2 – verlieh seiner Person und seinem Institut Sichtbarkeit und Gewicht.
Pelinka hielt über Jahre ein «Plädoyer» für Europa, und schrieb beharrlich gegen die Skepsis gegenüber dem europäischen Einigungswerk an: «Die Europäische Union als das wichtigste Instrument zur demokratischen Bändigung des europäischen Nationalismus ist vermutlich das Beste, was Europa ins 21. Jahrhundert mitnehmen konnte.»
Mit Anton Pelinka verliert Österreich eine Stimme des kritischen Denkens. Sein Wirken als Lehrer, der Generationen von Studierenden geprägt hat, couragierter Mahner und öffentlicher Intellektueller wird in Wissenschaft und Gesellschaft noch lange nachhalten.
Günther Pallaver und das Team des Instituts für Politikwissenschaft
