Als Reisender zwischen drei Kontinenten und mehreren Ländern ist es Koku Nonoa aus Togo gewohnt, sich mit kultur- und sprachenübergreifenden Aspekten auseinanderzusetzen. Er sieht das Theater, in dem er sich auch selbst aktiv engagiert, als eine perfekte Bühne, um Menschen zusammenzubringen und einen Dialog zu ermöglichen. Ein Schwerpunkt seines Dissertationsprojektes ist die Arbeit mit dem „unsichtbaren“, dem Postdramatischen Theater. Losgelöst vom Text spielt diese Form der Darstellung mit dem Publikum, lässt die Grenze zwischen Zuschauerraum und Bühne verschwimmen und überlässt es häufig auch den Anwesenden, in das Geschehen einzugreifen und den Zeitpunkt sowie die Art des Endes zu bestimmen. „Dieses Theaterkonzept wurde auch deswegen entwickelt, um die Menschen in die Vorstellung miteinbeziehen zu können. Sie sollen nicht nur stumm konsumieren, sondern werden Teil des Produktionsprozesses“, erklärt Nonoa, der hier vor allem das sogenannte unsichtbare Theater, die Aktions- und Installationskunst sowie das Happening-Theater als Beispiele nennt. Das Postdramatische Theater selbst könne zum einen als eine Wiederaufnahme alter Theaterformen verstanden werden. Bereits in der griechischen Antike, noch vor Aristoteles, waren die noch nicht verschriftlichten Theaterformen sehr performativ und körperlich präsent. Aktueller ist die Anschauung von Hans-Thies-Lehmann, der das Postdramatische Theater als eine Konzeptualisierung von Kunst die nicht als Repräsentation, sondern als Präsenz versteht. Fiktion und Realität sowie gedachte und erlebte Wirklichkeit würden hier beginnen ineinander zu greifen.
Aufklären
In diesem Sinne soll das Theater auch dazu dienen, Menschen miteinzubeziehen, ihre kritische Meinungsbildung zu forcieren, zu informieren und sie aufzufordern, sich zu engagieren. Ein brisantes Thema ist die andauernde Migration von Afrika nach Europa, die sich aus den unterschiedlichsten Betrachtungsperspektiven fassen lässt. Zentrale mediale Multiplikatoren von vor allem tragischen Informationen über die sogenannten „Boat People“ im Mittelmeerraum sind das Fernsehen, die Berichterstattung im Internet und Zeitungen. Viele andere Medien wie Literatur, Theater und Film verarbeiten erst später dieselben Tragödien der afrikanischen Migrantinnen und Migranten. Kevin Rittberger, Theaterregisseur und Autor aus Deutschland, verfasste das vielfach ausgezeichnete Werk „Kassandra oder die Welt als Ende der Vorstellung“, welches von Koku Nonoa ins Französische übersetzt wurde, um es in seiner Heimatstadt Lomé in Togo aufführen zu können. „Für unsere Aufführung haben wir den Text auf etwa 15 Prozent reduziert, da wir vor einem gemischten Publikum aus den unterschiedlichsten Sozial- und Bildungsschichten auftraten. Die Arbeit mit vielen visuellen sowie auditiven Elementen war daher notwendig und mit der Entfernung vom textbasierten dramatischen Theater kamen wir dem Postdramatischen Theater viel näher“, erklärt Nonoa. Im Stück werden fiktive Fluchtgeschichten mit realem Hintergrund vermittelt. „Die Reaktionen im Publikum waren erstaunlich, wissen im Land doch viele nicht, dass die Überfahrt nicht nur immens teuer, sondern auch lebensgefährlich ist und nur ein Bruchteil der Menschen die in Afrika aufbrechen, lebend und gesund am Ziel ankommen“, so der Wissenschaftler. Auch die Vorstellung des Lebens in Europa sei gänzlich unrealistisch. TV-Serien und die mediale Berichterstattung würden ein Bild von einem paradiesischen Europa zeichnen. Nonoa möchte den Zuschauenden auch vermitteln, was in Europa tatsächlich Realität ist: „Vielen ist nicht klar, dass die Menschen hier hart arbeiten, um sich Versicherungen oder den Lebensunterhalt leisten zu können. Es ist eine sehr schnelllebige Zeit und Arbeit, womit viele nicht rechnen würden. Natürlich bietet das Leben hier viele Annehmlichkeiten, die aber erst verdient werden müssen. Mit den Vorstellungen vieler in Afrika hat das aber nichts zu tun.“ Für „Kassandra“ ging Koku Nonoa mit Mitgliedern des Theaterensembles HYBRID in Lomé auf den Markt, um mit den Menschen über die illegale Migration und die Flüchtlingsgeschichten zu sprechen: „Einige waren bereits über die Migrationsproblematik informiert, ein großer Teil der Menschen aber überhaupt nicht. Diese haben wir zur Aufführung des Stückes mit anschließender Publikumsdiskussion eingeladen. Die afrikanische Adaption von ‚Kassandra’ ist wie ein Schmelztiegel verschiedener Kulturen, Meinungen – aus Deutschland und Togo, Europa und Afrika – und Kunstrichtungen, um die Geschichten der Migrantinnen und Migranten auf die Bühne zu übertragen.“ Finanziell unterstützt wurde das Projekt von der Deutschen Botschaft sowie dem Goethe-Institut in Lomé.
Verbinden
Das Postdramatische Theater als transkulturelles Theater geht über die Grenzen der Gesellschaft hinaus, will aufklären, hinweisen, aufschütteln, Stellung nehmen und verbinden. Ein bedeutender Vertreter dieser Theaterform ist Christoph Schlingensiefs, in Österreich vor allem bekannt durch sein Kunstprojekt „Ausländer raus!“, das im Jahr 2000 im Rahmen der Wiener Festwochen für Aufsehen sorgte. „Solche Aktionen sind insofern wichtig, als dass sie die Aufmerksamkeit der Gesellschaft auf sich ziehen. Denkt man den Kulturbegriff, egal wo in der Welt, als Container, dann kann man dieses Bild von zwei Seiten betrachten. Einerseits, wird alles, was im Container ist, vermeintlich geschützt und bewahrt. Bewegt man sich aber nur in dieser container-artigen Kultur, grenzt man sich selbst gänzlich von Außen ab. Und da denken wir heute, dass wir in einer globalisierten Welt leben?“, so Nonoa. An diesem Punkt werde dann dem Theater mit einer offenen Form der Inszenierungen eine besondere Rolle zu teil. Es könne eine Vermengung von anderen kulturellen Konzepten sowie gesellschaftlichen und individuellen Sichtweisen versuchen, um so die Menschen auf die Begegnung mit anderen kulturellen Erscheinungsweisen vorzubereiten und darauf hinzuweisen, dass eine kritische Auseinandersetzung unumgänglich sei. „Wir können das Theater auch als eine Manufaktur von Kultur sehen, wo diese Begegnungen stattfinden und wo man auch Konflikte ansprechen kann. Dies kann den Menschen auch im alltäglichen Leben helfen, mit bereits ästhetisch erlebten Situationen, in der Wirklichkeit besser umgehen zu können. Eine Kultur ist nicht dazu da in einen Container gesperrt zu werden.“ Christoph Schlingensiefs hat sich ganz diesem verbindenden Kulturkonzept verschrieben und plante mit seinem politischen und gesellschaftlichen Engagement das „Operndorf“ in Burkina Faso, dessen Grundsteinlegung im Jahr 2010 er noch miterlebte. Seitdem werden in der dortigen Schule neben den regulären Unterrichtsfächern auch Film-, Kunst- und Musikklassen angeboten, in denen die Kinder eigenen künstlerischen Interessen nachgehen können. Neben der Schule existieren heute auch Übernachtungsmöglichkeiten, eine Kantine, ein Sportplatz und eine Krankenstation. „Das Projekt versteht sich als globales Kunstprojekt mit der Vision, Kunst mitten im Leben anzusiedeln. Auch in einer Oper greifen die unterschiedlichsten Künste und Berufe ineinander, um eine gelungene Aufführung zu gewährleisten“, so Nonoa der überzeugt ist, dass das Theater eine universale Sprache und Plattform schafft, die Kulturen verbindet und wo Menschen aufgefordert werden, gemeinsam etwas Neues zu schaffen, ihre Meinung zu äußern und sich zu beteiligen.
Projekte
Nonoa organisierte gemeinsam mit Kolleginnen und Kollegen die Tagung „Postdramatisches Theater als transkulturelles Theater“, die im April diesen Jahres an der Uni Innsbruck stattgefunden hat. Expertinnen und Experten aus Europa, Asien, Afrika und Lateinamerika kamen hier zusammen, um gemeinsam über diese experimentelle Theaterform und ihre Aufgaben in einer multikulturellen Gesellschaft zu diskutieren. Wie sehr Theater, Musik und Kunst Kulturen verbinden kann, zeigt auch das Projekt „Writer in Residence“, im Zuge dessen Roger Atikpo aus Togo in diesem Jahr eingeladen wurde. Er ist ein Sänger, Erzähler theatralischer Märchen, Schauspieler und Regisseur. Zudem beherrscht er die Kora, ein mit beiden Händen gezupfte westafrikanische Stegharfe. Bereits zum elften Mal wird im Rahmen des Projekts „Writer in Residence“ ein internationaler Künstler oder eine internationale Künstlerin in die Tiroler Landeshauptstadt eingeladen, um einen Monat lang die universitäre Vielfalt und das kulturelle Leben Innsbrucks zu bereichern. Verbinden und Aufklären sowie Grenzen überwinden gehört zu den Aufgaben des Postdramatischen Theaters und Nonoa ist bemüht, auch in Innsbruck mit seiner Wissenschaft und seiner Liebe zum Theater einen Beitrag dazu zu leisten.