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Kleiderordnung von Speyer 1356

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Die  Kleiderordnung von Speyer, 1356

Speyer

Ueber hochvertige kleider unde gezierde.

Wir der zuo Spire bekennent uns an disem briefe, daz wir hant gemerket grozen bresten, der ietzent ist in stetden und in lande an hochvarte unde úbermuote, die ouch die erste der súnde gewesen ist, die ie beschach, unde usser der selben súnde alle súnden gewúrtzel sint. unde als die selbe súnde gote widerzeme [1] ist unde den lúten schedelichen, als daz nu wol lantsihtig [2] unde schinlich [3] worden ist an ertbideme unde an grossen plagen [4], damit stetde, lant unde lúte geplaget sint unde verdorben sint an libe unde an guote: dar umbe, wanne wir unserre stetde und unserre búrgere ere, nutz, frummen und selikeit gar túre gesworn hant und unsere búrgere billiche vor schaden, ungemache behueten soellent, als verre wir kúnnent oder moegent, so haben wir mit gotes helfe unde mit guter beratnisse dar úber gesessen unde habent soliche stúcke, als hie nach benant unde beschriben sint, die hochvart und úbermuot bernt [5], stiftent unde machent, verbotden gote zuo lobe unde zuo eren unde den lúten zuo frummen unde zuo nutze in dise wise, als hie nach geschrieben stet. Daz ist also, daz wir úber alle unser búrgere unbe inwonungere, vröwen unde man, die under unserme gerihte sint, gesetzet, gebotden unde gemaht habent unde setzent, gebietent unde machent an disem briefe vesteclichen zuo haltenne:

          1. Zú dem ersten úber die vrouwen, der sol deheine [6] kein schappel [7] dragen oder deheynen sleyger [8], genant krúseler [9], dragen, der me habe umbe gewunden danne vier vach [10], also daz die selben vach alle an den flocken daran von der stirnen úber sich uf niht höher sint oder sin soellent, danne eins twerchvingers [11] hoch.
          2. Noch sol ouch ir deheyne ire zoephe oder har hinden abe lassen hangen, oder vornan verlessenlichen [12] gebunden löcke machen oder ouch hinden abe har-snuere lassen hangen in deheine wise, danne ir har sol ufgebunden sin ungeverlichen.
          3. Aber eine jungvrouwe, die niht mannes hat, die mag wol ein schappel dragen unde ire zoephe unde harsnuere lassen hangen, biz daz sie beraten [13] wirt unde einen man genymet, darnach so daz geschicht, so sol sie dez schappels niht me dragen noch der zoephe oder der harsnuere niht me lassen abehangen, als da vor geschriben stet.
          4. Es sol ouch deheine vrouwe oder jungvrouwe deheinen mannes mantel dragen, noch deheinen zersnitzelten kugelhuot[14] dragen.
           5. Ouch sol ir deheyne kein golt, silber, edelgesteyne ober berlin dragen an iren menteln, roecken oder kugelhueten, weder an bendeln, an fúrspangen[15] oder an gúrteln in deheine wise.
           6. Ez sol ouch ir deheine keinen barchenrock[16], underrock oder ober rock zuo den siten brisen[17] oder durch engenisse mit snueren inziehen[18], odir ir lip oder ir brúste mit engenisse intwingen[19] oder binden.
           7. Ez sol ouch ir deheine deheinen lappen an ermeln lenger dragen denne einre elen[20] lang von dem ellenbogen.
           8. Ez sol ouch ir deheine keinen rock oder mantel brewen[21] oder dragen gebrewet mit beltzwerke, buntwerke, mit siden oder zendel breiter denne zweier twerchvinger breit oben unde niht unden, wanne unden sol kein rok oder mantel gebrewet sin.
           9. Unde sollent ouch ire mentel oben zuo gemaht sin ane golt, silber unde berlin mit messigen[22], niht zuo witen houbetloeuchen[23], als von alter gewonlichen waz.
           10. Unde sol ouch ir deheine keynen strifelehten[24] oder stúckehten[25] rok fúrbazer me dragen, noch ir deheine keinen gerúheten[26], siden oder phellerin[27] rok dragen, noch ir deheine kein houbetloch an roecken dragen, da die ahsseln her uz gent[28], danne ir ahsseln sollent bedecket sin mit den houbetloechern, also daz sie uf den ahsseln ligen soellent.
           11. Unde sollent euch keinen rok dragen, der vornen abe ober bi siten zuo geknöphelt si in deheine wise.
           12. Unde sol euch ir deheine an kugelhueten, an roecken oder an mentel dragen deheinen bustaben, vogel oder ander verlessenliche[29] ding mit siden genat[30] in deheine wise ane aller slahte[31] geverde.
           13. Darnach seczen wir úber die man, daz der deheinre dragen sol deheine veder, roere oder gesmeltze[32] uf den hueten, noch sol ir deheinre, der niht ritter ist, dragen dehein guldin oder silberin barte[33] oder bendelin umb den kugelhuot, oder dehein golt, silber oder berlin dragen an kugelhuoten, rocken, menteln oder an gúrteln, oder an deschen oder an scheiden oder an spitzmessern[34].
           14. Ez sol ouch dehein man deheinen kúrtzern rock dragen, danne der fúr die knye abe get unde niht an den knuwen[35] oder obewendig den knuwen windet[36], uzgenomen wambesch[37], schopen[38], wapenroecke, harneschroecke unde riteroecke, die mag man wol kurtz tragen, mit namen obe (über?) Harnesche oder so man úber velt ritet oder get, oder riten wil oder geritden hat dez dages ungeverlichen unde niht anders. Doch mag einre, der wil , ein harnesch-wambesch dragen unde da inne gen, so ime daz fuaget.
           15. Ez sol ouch ir deheinre keinen spiczen snabel vornan an schuohen oder an lederhosen[39] dragen.
           16. Unde sol ouch dehein schuochmecher hie zuo Spire der selben gesnebelten schuohe oder lederhosen niht me machen deheinre personen, vrouwen oder mannen, die hie zuo Spire wonent, sie sint burger ober niet, oder wer sie sint.
           17. Ez sol ouch dehein man, der niht ist ritter, keinen schuoch dragen, zerhouwen[40] mit loeubern[41] oder mit wehen[42] klueglichen snvtden, wie die snytde sint, die durch hochvart unde niht durch gesuntheit gemaht sint, ane geverde.
           18. Ez ensol ouch dehein man deheinen bart oder scheitel dragen, noch deheinen gewunden oder zersnytzelten ziphel[43] dragen; unde soellent ir ziphel niht lenger sin, denne anderthalb elen lang.
           19. Unde sol ouch ir keinre dragen deheinen kugelhuot, der under den ougen zersnytzelt si in deheine wise.
           20. Unde wer dirre vorgeschriben gesetzede unde gebot deheins brichet oder úber vert, ez si vrouwe oder man, die under unserme gerihte sint, der oder die git zwei phunt hellere zuo pene an unserre stetde bu, als dicke sie daz duont, unde sollent die mantrihtere die pene nemen uf den eit unde nyman varn lassen noch wider geben.
           21. Unde sol die pene der vrouwen, obe sie die verbrechent, angan nach sant Martins dag, als diz gebot beschehen ist, unde die man, mit namen die kurtzen roecke, soellent sich dar uf rihten hie zwúschent unde dunrestage zuo naht, der nach sant Martins dag zu neheste kumet, daz ir roecke lang genuog werdent, oder soellent darnach die pene geben, als vorgeschriben stet.
           22. Ez sol ouch nieman hie zuo Spire, er si gast oder burger, an dem sunnendage oder an allen gebannen virtagen, nihtzit[44] veil haben, denne daz man essen unde dringen mag, bi einre pene funf schillinge hellere an unser stetde bu, die man nemen sol, als vorgeschriben stet, uz genommen an unser vrouwen daz der messe, als sie geborn wart[45], unde an dem kirwihetage, unde die wile die messe wert ane geverde, mag man wol veile haben, waz man wil unde niht anders.
           Diz wellen wir der rat halten unde daz ez ouch vesteclichen gehalten werde, als vorgeschriden ist, als lange, biz daz ein rat zu Spire daz andernt, minrent oder merrent mit geluter glocken uf dem hove zuo Spire.

Actum a. d. 1356. ipsa die s. Martine episcopi.


Aus: Franz Joseph Mone, Sittenpolizei zu Speier, Straßburg und Konstanz. Zeitschrift für die Geschichte des Oberrheins (1856), 58-61.


[1] beleidigt
[2] landkundig
[3] augenscheinlich

[4] bezieht sich auf das große Erdbeben am Rhein 1356 und auf die Seuche des schwarzen Todes 1348
[5]  erzeugen
[6] keiner/keine
[7] im Mittelalter von Frauen als Kopfputz getragener, mit Ornamenten verzierter Metallreif oder Kranz aus Blüten
[8] Schleier
[9] eine Art Schleier, bei dem die Stoffkanten eingekräuselt waren. Im Spätmittelalter gebräuchlich
[10] Lagen
[11] eine Fingerbreite
[12] nachlässig
[13] verheiratet
[14] Gugel
[15] eine Spange zum Zusammenhalten des Kleides, auch zugleich zum Schmuck vorne vor der Brust. Auch: vürspan, fürspan
[16] Rock aus Barchent
[17] Schnüre, Bänder
[18] einschnüren
[19] einzwängen
[20] Falls hier mit der Speyerer Elle gerechnet wird, so entspricht diese 244.0 Pariser Linien. Eine Pariser Linie = 2,2558 mm. Damit hat die Speyerer Elle ein Länge von rund 0,55 m.
[21] verbrämen, am Rande mit Pelz besetzen
[22] Es sollen keine Knöpfe aus Gold oder Silber, sondern Messingknöpfe mit kleinen Knopflöchern (= kleine Knöpfe) zum Verschließen der Mäntel verwendet werden.
[23] Knopflöcher
[24] gestreifte
[25] zerstückte
[26] halbsamtenen
[27] Samt, meist purpurfarben, von franz. velours
[28] hervorstehen, sichtbar sind
[29] unanständige, ausgelassene
[30] aufgenäht oder gestickt
[31] Art
[32] Emaille, „Schmelz“, auch Schmelzglas oder Schmelzwerk, von altfränkisch Smalt
[33] Borte
[34] Dolchen
[35] Knie
[36] aufhört
[37] Wams
[38] Jacken
[39] hervorragende Spitzen an den Kniescheiben der Lederhosen
[40] ausgeschnitten
[41] laubartig, in Blätterform
[42] künstlichen
[43] Rockschoß
[44] nichts
[45] Speyrer Messe am 8. September  

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