Andrea Egger-Riedmüller: Figurationen einer fortgeschriebenen Liebe. Eine topologische Suche nach dem Glück in Liebesgeschichten der deutschsprachigen Gegenwartsliteratur.
Warum gibt es in der Hochliteratur keine Erzählungen vom erfüllten
Liebesglück, während die Trivialliteratur voll davon ist? Bei der
Beantwortung dieser Frage entwickelt die Verfasserin auf der Basis
poststrukturalistischer und feministischer Theorien einen originellen
und innovativen Zugang zum Liebesthema in der Literatur.
Im ersten Teil
des Buches geht es um die großen Liebenden der Weltliteratur – von
Orpheus und Eurydike über Tristan und Isolde bis zu Bachmanns Jan und
Jennifer –, deren Liebe zum Scheitern verurteilt ist. Die Ursache dafür
sei ein dichotomes Konzept, das die Liebe in ein raum- und zeitloses
Paradies verlegt, weshalb sie mit der gesellschaftlichen Ordnung
kollidiert und ihr Scheitern vorprogrammiert ist. Dieser "Systematik des
Scheiterns" liegt eine Entweder-Oder-Struktur zugrunde, die sich auch
als Folie für die Untersuchung von Liebesgeschichten der
Gegenwartsliteratur eignet.
Der zweite Teil führt diese
Systematik in detaillierten Analysen folgender Romane und Erzählungen
vor: Signora Julia (Elfriede Czurda), Animal triste (Monika Maron),
Rilkes Liebesgedicht (Evelyn Schlag), Die Frau an der Tankstelle
(Bernhard Schlink), Der Auftrag die Liebe (Anne Duden), Côte d’Azur
(Karin Rick), Der Bibliothekar (Judith Kuckart), Hochzeit. Ein Fall
(Ingrid Puganigg), Agnes und Passion (Peter Stamm), Verführungen
(Marlene Streeruwitz) und Männer sind Glückssache (Lisa Witasek).
Der dritte Teil untersucht Erzählungen, in denen diese
Entweder-Oder-Struktur überwunden ist. Durch die Auflösung der starren
Grenze zwischen Liebesverunmöglichung und Liebesglück entsteht ein "Zwischenraum2 im Sinne der Postmoderne. Michael Donhausers Roman Livia
oder Die Reise und die Siebenundsechzig Ansichten einer Frau von Günter
Ohnemus sind Liebesgeschichten, deren Schwebezustand eines Weder-Noch
dem Erzählen über die Liebe neue Möglichkeiten eröffnet, wie sie sich
schon in Marie Luise Kaschnitz' Roman Liebe beginnt oder in der
Sternwieser-Trilogie von Barbara Frischmuth angekündigt haben.