Bo Juyi (Bai Juyi) 白居易
Aussicht vom Park der Wandellust 登樂遊園望
Übersetzung:
獨上樂遊園,
四望天日曛。
東北何靄靄,
宮闕入煙雲!
愛此高處立,
忽如遺垢氛;
耳目暫清曠,
懷抱郁不伸。
下視十二街,
綠樹間紅塵。
車馬徒滿眼,
不見心所親。
孔生死洛陽,
元九謫荊門。
可憐南北路,
高蓋者何人?
Allein steig ich zum Park der Wandellust,
Die ganze Welt rundum im Abendglast!
Nordöstlich – wie so heiter das Gewölk,
Während in Dünste eintaucht der Palast.
Ich stehe gern hier oben auf der Höh’,
Die plötzlich faulen Dampf vergessen läßt.
Gehör, Gesicht, im Nu schon rein und weit,
Die Brust nicht mehr so ängstlich und gestresst.
Dort unten seh’ ich die zwölf Boulevards:
Staub, rot, von grünen Bäumen eingefaßt.
Wohin das Auge sieht, Spann um Gespann;
Es sieht nicht, was zum Wunsch des Herzens paßt.
Kong Kan schied in Luoyang aus dem Leben;
Yuan Neun wurde fort nach Jingmen geschasst.
Ach, sagt mir, wer fällt den Noblen im Land
Unter Baldachinen als Mensch zur Last?
Kommentar
Der „Park der Wandellust“ (Le You Yuan) war eine auf einer Höhe bei Chang’an gelegene Parkanlage, die noch aus der Zeit der Han-Kaiser stammte und auch unter den Tang bei den Dichtern der Weltmetropole als ein beliebter Gegenstand für Anpreisungen galt. Dieser Konvention scheinen nur die ersten vier Zeilen von Bos Text zu folgen. Doch schlägt schon das erste Wort des Gedichtes, „allein“ (du 獨), eine Tonart an, die ihre Macht erst nach Abschluss der Ouvertüre entfaltet. Denn wenn sich zunächst noch der „Abendglast“ in der Ferne mit dem in Dünste unterhalb des Parks eintauchenden „Palast“ in einer feierlichen Pracht zu vereinen scheint, bricht das Bild anschließend entzwei: Aus der Höhe neigt alles zur Ferne, während an das nah und niedrig Gelegene vergessen werden soll. Doch ist es, als ob die Erinnerung aus der Tiefe langsam dem seinen erhabenen Ausblick Lobenden nachkriecht, ihn im Park erreicht und dort alsbald umgarnt. Der Anblick der „zwölf Boulevards“, die rot-stäubend von „grünen Bäumen eingefaßt“ erscheinen, wirkt durch die Ausdrucksweise in gewissem Sinne trügerisch, da in der konventionellen Bildsprache die Kombination der Farben „Rot“ (hong) und „Grün“ (lü) eigentlich für die Lebensfreude des Frühlings (Blüten und Laub) steht, hier aber bestenfalls an vergeudete Kräfte denken lässt.
Und das Netz zieht sich immer dichter zu. Die Augen sehen außenvor nichts als dichten Verkehr und aus dem Gedächtnis nichts als Hoffart. Die engen Freunde und politischen Mitstreiter Kong Kan 孔戡 (?–?) und Yuan Zhen 元稹 (779–831) waren politisch motivierten Intrigen zum Opfer gefallen, ersterer war kurz darauf in Luoyang verstorben, während letzterer für unbestimmte Zeit auf einen Posten im fernen Süden abgeschoben galt.
Mit dem Stoßseufzer, durch welchen das Gedicht abschließt und durch sein letztes Reimwort ren 人, „Mensch“, gelingt eine allerdings überraschend provokante Wendung: Die „Noblen im Land“ unter ihren „Baldachinen“ sind natürlich jene mächtigen Mandarine, unter deren Herrschaft die einstige Größe der Tang in der Gegenwart nur noch ihr eigenes Schattendasein beschließt. Alles, dessen es bedürfte, um aus dem Elend herauszuführen, wäre das Herz eines (aufrichtigen) „Menschen“, das drunten auf den „Boulevards“ verloren bleibt und Zuflucht stattdessen nur auf der „verlassenen Höhe“ (gu gao 孤高) findet.