Eine Person mit langen Haaren blickt in die Kamera

Physiker Yusuf Karli.

Nach Tra­gö­die Durch­bruch in Inns­bruck geschafft

Der Physiker Yusuf Karli hat kürzlich sein Doktoratsstudium an der Universität Innsbruck abgeschlossen. Vor einem Jahr noch stand er vor dem Nichts: Ein schweres Erdbeben in seiner Heimat in der Türkei hat nicht nur einen Teil seiner Familie ausgelöscht, auch er wurde verschüttet und dabei schwer verletzt. Wir haben mit Yusuf Karli über seine Zeit in Innsbruck und die Bewältigung dieser persönlichen Tragödie gesprochen.

Sie haben gerade Ihr Doktoratsstudium an der Universität Innsbruck abgeschlossen. Seit wann haben Sie hier gearbeitet und was waren die Themen Ihrer Forschung?

Seit September 2020 arbeite ich gemeinsam mit Professor Gregor Weihs am Institut für Experimentalphysik an der Entwicklung von Einzelphotonenquellen, die für die Weiterentwicklung von Quantentechnologien von zentraler Bedeutung sind. Unsere Forschung konzentriert sich vor allem auf die Erforschung neuer Ansätze zur Erzeugung einzelner Photonen, um die sichere Quantenkommunikation und Quanteninformationsverarbeitung zu verbessern. Während meiner Doktorarbeit haben meine Kollegen und ich verschiedene Techniken entwickelt und getestet, darunter eines der bahnbrechenden Experimente des vergangenen Jahres: das SUPER-Schema. Es war die erste experimentelle Demonstration einer rot-verstimmten Anregung eines Quantenpunkts, die es auf die Titelseite der renommierten Fachzeitschrift ACS Nano Letters geschafft hat und in der Fachwelt große Aufmerksamkeit erregt hat. Das SUPER-Schema wurde ursprünglich von Doris Reiter und ihrer Gruppe an der TU Dortmund vorgeschlagen. Nach unseren erfolgreichen Experimenten haben viele wichtige Gruppen auf der ganzen Welt – von der akademischen Welt bis hin zu Photonik- und Quantencomputerfirmen – begonnen, diese neuen Techniken zu untersuchen und zu nutzen.

Sie und Ihre Familie wurden im vergangenen Jahr in Ihrer türkischen Heimat von einem schweren Erdbeben heimgesucht. Was ist passiert und wie haben Sie diese Tragödie überstanden?

In der ersten Februarwoche 2023 wurde ich in die Türkei eingeladen, um die Ergebnisse unserer Forschung zu präsentieren. Nach der Konferenz beschloss ich, meine Familie im Osten der Türkei, in Adıyaman, zu besuchen, wo ich vor fast einem Jahr, Anfang 2022, zum letzten Mal gewesen war. Nach einer mehr als 12-stündigen Reise mit dem Flugzeug und dem Bus von Istanbul aus, kam ich am 6. Februar um 2:00 Uhr nachts im Haus meiner Familie an. Meine Mutter empfing mich, und wir gingen sofort zu Bett. Schockierenderweise ereignete sich nur zwei Stunden nach meiner Ankunft eines der stärksten Erdbeben in der Geschichte der Türkei. Das Beben der Stärke 7,7 hat eine ganze Minute angedauert und weite Teile der Gegend verwüstet.

Unser vierstöckiges Gebäude stürzte fast augenblicklich ein und wir waren im dritten Stockwerk inmitten von Schutt und Dunkelheit eingeschlossen. Ich war unter den Trümmern eingeklemmt und konnte mich nicht bewegen, und es war ein schreckliches Durcheinander von Dunkelheit und Schreien. Schließlich gelang es mir, mich soweit zu befreien, dass ich ein Armierungseisen entfernen konnte, das mein Bein durchbohrt hatte. Wie durch ein Wunder konnten einige Einheimische meine Mutter und mich retten. Meinen Vater und meine Schwester habe ich dabei jedoch verloren. Ich erlitt mehrere Knochenbrüche und schwere Verletzungen und war zwei Monate lang im Krankenhaus. Ende April kehrte ich im Rollstuhl nach Innsbruck zurück, wobei meine Füße noch immer eingegipst waren.

Die Bewältigung einer solchen Katastrophe ist komplex. Der menschliche Körper und Geist sind unglaublich widerstandsfähig. Während des Erdbebens selbst spürte ich keine Angst; der Überlebensinstinkt treibt einen dazu, das Undenkbare zu tun, z.B. Hunderte von Kilogramm Stein zu bewegen oder schwere Verletzungen zu riskieren, um zu entkommen. Die eigentliche Herausforderung hat dann begonnen, als ich im Krankenhaus in Sicherheit war. In einer Minute hat man fast alles verloren, und der eigentliche Kampf beginnt, wenn man sich dieses Verlustes bewusst wird.

Ein besonders schmerzhafter Aspekt betraf meine Schwester. Sie wurde zunächst gerettet und in einen Krankenwagen gebracht, aber dann war sie über zwei Monate lang verschwunden. Schließlich fanden wir sie nach einem DNA-Test am 4. April in einem namenlosen Grab auf einem Friedhof.

Eine meiner ersten Handlungen nach dem Erdbeben war die Kontaktaufnahme mit meinem Professor, Gregor Weihs. Ich kann nicht genug Dankbarkeit für die Unterstützung durch die Universität Innsbruck und Professor Weihs ausdrücken, sowohl finanziell als auch psychologisch. Unmittelbar nach dem Erdbeben hatte ich das Gefühl, dass meine Karriere mit dieser Katastrophe zu Ende sei; die Ermutigung und Unterstützung durch meinen Betreuter Vikas Remesh und andere Kollegen waren lebenswichtig für mich. Ihre Motivation hat mir gezeigt, dass ich nicht alleine bin. Trotz meiner körperlichen Einschränkungen durch den Rollstuhl habe ich weiter mit meinen Händen geschrieben, simuliert und gerechnet. Zusammen mit meinen Kollegen habe ich ein unfertiges Manuskript fertiggestellt, das von der bekannten Zeitschrift npj Quantum Information aus der Nature-Familie Ende 2023 angenommen wurde.

Was sind Ihre Zukunftspläne? Und was wird Ihnen von Ihrer Zeit in Innsbruck in Erinnerung bleiben?

Die Zeit, die ich an der Universität Innsbruck bei Professor Weihs verbracht habe, war unglaublich wertvoll. Durch meine Anstrengungen während der Doktorarbeit erhielt ich Möglichkeiten und Angebote von führenden Unternehmen und Universitäten auf der ganzen Welt. Vor kurzem habe ich eine Stelle als Postdoc an der Universität Cambridge angenommen, wo ich an einem Quantennetzwerkprojekt im Cavendish Laboratory arbeiten werde.

Wo auch immer ich hingehe, Innsbruck und Österreich werden immer meine zweite Heimat bleiben. Ich muss zugeben, dass ich noch nie eine schönere Stadt als Innsbruck gesehen habe; wann immer ich mich im vergangenen Jahr niedergeschlagen fühlte, habe ich einfach auf die Berge geschaut. Es spielt keine Rolle, ob es schneit oder sonnig ist. Innsbruck ist sowohl bei Dunkelheit als auch im Tageslicht schön. Ich hoffe, ich werde eines Tages wieder hierher zurückkehren!

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