Vortragssitutation in einem mittelgroßen Raum, ein Mann präsentiert vor Publikum

Die Tagung fand Mitte November statt.

Per­spek­ti­ven Päd­ago­gi­scher Dia­gnos­tik in der Leh­rer*in­nen­bil­dung

Die Päda­gog­ische Diag­nostik zählt heute zu den Kern­kom­petenz­en von Lehrp­erson­en. Sie ist für die Beglei­tung erfolg­reicher Lern­pro­zesse und die Planung und Gestal­tung von Unter­richt von grund­legen­der Bedeu­tung. Am 18. und 19. No­vem­ber 2022 fand am In­stitut für Lehrer­Innen­bildung und Schul­for­schung eine Tagung zum Thema Pädago­gische Diag­no­stik und Lehr­er*innen­bil­dung statt.

Den Begriff Diagnose verbindet man im Alltag vorrangig mit dem medizinischen Bereich. Im schulischen Kontext ist Eltern und Schüler*innen Diagnostik von der Schulpsychologie her bekannt. Entsprechend ist der Begriff in der Regel eher mit defizitären Aspekten wie beispielsweise Lernschwierigkeiten, Verhaltensauffälligkeiten, Schulproblemen und ähnlichem konnotiert. Unbeachtet bleibt hierbei, dass Lehrpersonen tagtäglich diagnostizieren. Ihr Diagnostizieren ist Grundlage für die Unterrichtsplanung, Evaluation desselben und bildet einen wesentlichen Teil der Prozesskontrolle im laufenden Unterricht. Lehrpersonen sind Expert*innen für unterrichtliche, bildungsbezogene Diagnoseprozesse.

Ins Zentrum von Bildungsdiskussionen ist die Pädagogische Diagnostik seit der mit den großen Schulleistungsvergleichsstudien PISA, PIRLS und TIMSS einhergehenden zweiten empirischen Wende gerückt. In Forschung wie Schulpraxis und Qualitätsentwicklung fragt man heute, wie Lehrpersonen diagnostizieren, welche Instrumente im Kontext des Unterrichts sich hierfür besonders eignen, welchen Beitrag pädagogische Diagnostik zur Identifikation und Förderung von Stärken leisten kann, wie „Lernprobleme“ hinsichtlich spezifischer Fördermöglichkeiten über Verfahren der pädagogischen Diagnostik genauer spezifiziert werden können, welchen Beitrag sie zur gezielten gruppen- und individuumsbezogenen Lernprozesssteuerung beitragen kann und vieles mehr. Ab den 2010er Jahren entwickelt sich die Pädagogische Diagnostik zudem zu einem zentralen Element in Konzepten der Lernbegleitung sowie in Modellen der evidenzorientierten Schul- und Unterrichtsentwicklung und grundlegend im Kontext regionaler, landes- und bundesweiter Qualitätsentwicklungsmaßnahmen.

Diese Anforderungen und Entwicklungen reflektieren auch auf die Lehrer*innenbildung, von der Ausbildung über den (begleiteten) Berufseinstieg hinein in eine kontinuierliche berufslebenslange Professionalisierung von Lehrpersonen.

Vor dem Hintergrund der genannten Aspekte hat die Pädagogische Diagnostik begonnen, sich in der Berufspraxis sowie in Forschung und Lehre als eigenes Feld im Rahmen der bildungswissenschaftlichen Grundlagen zu etablieren. Gegenwärtig befindet sie sich insbesondere im deutschen Sprachraum in einer Phase der Konsolidierung als subdisziplinäres Feld. Hierbei geht es um inhaltliche Klärungen, die Entwicklung eigenständiger Instrumente sowie eine positive Abgrenzung von verwandten Bereichen wie der psychologisch orientierten Diagnostik.

Mit der Tagung „Perspektiven zur Pädagogischen Diagnostik im Kontinuum der Lehrer*innenbildung“ veranstalteten das Institut für LehrerInnenbildung und Schulforschung und die Sektion LehrerInnenbildung und -bildungsforschung der ÖFEB (Österreichische Gesellschaft für Forschung und Entwicklung im Bildungswesen) die erste diesbezügliche Fachtagung in Österreich. Ziel der Tagung war, einen Beitrag zur näheren Spezifikation zentraler Themenbereiche zu leisten, die gegenwärtig im Kontext der österreichischen Bildungsdiskussion unter Pädagogischer Diagnostik subsumiert werden.

Die Fachtagung fand am 18. und 19.11.2022 in den Räumlichkeiten des Instituts für LehrerInnenbildung und Schulforschung statt. Sie wurde von 50 Forscher*innen aus den Bereichen Bildungswissenschaften und Fachdidaktik besucht. Rektor Univ.-Prof. Tilmann Märk eröffnete die Tagung mit Verweisen darauf, wie sich die Universität Innsbruck der Bedeutung der Pädagogischen Diagnostik in Forschung und Lehre stellt. Im Lehramtsstudium ist sie curricular über ein eigenes Modul Diagnostik und Beratung verankert. Und um diesen Bereich auch wissenschaftlich nachhaltig weiterentwickeln zu können, wurde eine eigene Qualifizierungsstelle für Pädagogische Diagnostik geschaffen, deren Stelleninhaberin sich gerade in der Abschlussphase ihrer Habilitation befindet.

In zwei Hauptvorträgen und 22 Fachvorträgen diskutierten die Vortragenden und TeilnehmerInnen den aktuellen Stand des Forschungsfeldes. Die thematische Spannbreite der Beiträge zeigte hierbei auf, wie sich das Feld der Pädagogischen Diagnostik als eigenständige Subdisziplin zu entfalten beginnt; erstens strukturell im Kontinuum von Fragen der Individual- bis hin zur Systemdiagnose; zweitens inhaltlich mit besonderem Fokus auf bildungswissenschaftliche und fachdidaktische Perspektiven. Einen dritten Strang bildeten methodische bzw. methodologische Fragenstellungen.

Ergebnis dieser Zusammenschau bei der Tagung ist, dass sich die Pädagogische Diagnostik aktuell sehr dynamisch, gerade auch in positiver Abgrenzung zu Nachbardisziplinen entwickelt und etabliert. In der Abschlussdiskussion waren sich die Teilnehmer*innen insbesondere einig, dass sich die Pädagogische Diagnostik nicht primär auf quantitative, psychometrische Zugangsweisen wie etwa bei PISA oder den ministeriellen informellen Kompetenzmessungen (IKMplus) reduzieren lässt. Diese erfahren die meiste mediale Aufmerksamkeit und sind wichtiger Aspekt der Qualitätsentwicklung unseres Schulwesens. Die Aufgaben und Inhalte der Pädagogische Diagnostik reichen im Schulalltag jedoch weit darüber hinaus. Hier kann noch viel Forschungs- und Entwicklungsarbeit geleistet werden. Die Tagung war ein Auftakt dafür.

(ILS/Christian Kraler)

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