Zwei Forscher*innen in einem Getreidefeld bei Innsbruck.

Das Projekt „Ökosystemleistungen von Laufkäfern“ hatte eine Laufzeit von fünf Jahren und wurde im Vorjahr abgeschlossen.

Lauf­kä­fer für nach­hal­tige Lebens­mit­tel

Eine Forschungsgruppe um Corinna Wallinger hat die Nahrungswahl von Laufkäfern in heimischen Getreidefeldern untersucht. Dabei zeigte sich, dass diese Insekten eine bedeutende Rolle in der Unkrautregulation einnehmen können, da sie deutlich mehr Pflanzensamen fressen als bislang angenommen. Dieses Wissen soll helfen, Landwirtschaft nachhaltiger zu machen.

Laufkäfer sind eine weniger bekannte Gruppe von Nützlingen. Dabei bilden sie die artenreichste Käferfamilie, mit über 6.000 Arten allein in Europa. „Laufkäfer sind als Nützlinge im Vergleich zum Beispiel zu Marienkäfern verkannt“, sagt die Ökologin Corinna Wallinger. Sie hat deshalb ein vom Wissenschaftsfonds FWF finanziertes Projekt initiiert, in welchem die Regulation von Unkraut durch Laufkäfer im Ökosystem Getreidefeld untersucht wurde. Dabei stellte das Team um Wallinger fest, dass ihre Rolle in der Landwirtschaft bisher unterschätzt worden war.

DNA aus Käfernahrung

Zur Untersuchung der Insekten stellte das Forscherteam Fallen auf, bei denen es sich im Wesentlichen um bündig im Boden vergrabene Becher handelte, wie Projektleiterin Wallinger erklärt: „Die Käfer fallen hinein und die Fallen werden täglich entleert.“ Damit sich die Tiere darin voreinander verstecken können, wurden Hackschnitzel in die Becher gegeben. Im Labor wurde dann der Mageninhalt der Tiere untersucht, und zwar ohne diese töten zu müssen. „Laufkäfer besitzen einen natürlichen Verteidigungsmechanismus. Wenn sie gestresst sind, würgen sie ihre Nahrung hoch“, so Wallinger. „Das machen wir uns zunutze: Wir gaben die Käfer mit dem Kopf voraus in kleine Reaktionsgefäße, die an der Spitze kurz erwärmt wurden, was als Reiz genügte, dass die Käfer ihren Mageninhalt hervorwürgen.“ Im Anschluss daran konnten die Tiere wieder in die freie Wildbahn entlassen werden. In dieser Form wurden Proben von 6.500 Laufkäfern in Getreidefeldern zwischen Frankreich und Österreich gesammelt.

Der Mageninhalt wurde dann mit molekularen Methoden untersucht, die mit den PCR-Tests für Covid-19 vergleichbar sind, mit dem Unterschied, dass hier anstatt von Viren-RNA nach der DNA bestimmter Arten in der Nahrung gesucht wurde. Dabei wurde festgestellt, dass Pflanzensamen für Laufkäfer ein beliebtes Futter sind und zwar in weit größerem Ausmaß als bisher angenommen. Das bisherige Wissen über die Nahrungswahl von Laufkäfern basierte weitgehend auf Beobachtungen und korrelativen Analysen. Was jedoch diese äußerst mobilen, kleinen Lebewesen tatsächlich im Acker treiben, konnte erstmals durch diese Studie empirisch belegt werden.

Käfer als „Impfung“ gegen Schädlinge

Wallingers Kollege und Projektmitarbeiter Oskar Rennstam Rubbmark betont die Wichtigkeit der Laufkäfer in der Landwirtschaft. Diese erklärt er damit, dass es sich bei ihnen, im Gegensatz zu anderen Nützlingen wie den blattlausvertilgenden Marienkäfern, um „Generalisten“ handle, die nicht auf einen bestimmten Schädlingstyp spezialisiert sind. Sie fressen neben Unkrautsamen auch verschiedenste Schädlinge, wie etwa Blattläuse und Nacktschnecken, deren Eier ebenfalls auf ihrem Speiseplan stehen. Rennstam Rubbmark bemüht dabei einen medizinischen Vergleich: „Laufkäfer repräsentieren im Agrarsystem das, was Impfungen in der Medizin darstellen. Sie verhindern im besten Fall, dass Schädlinge sich explosionsartig ausbreiten, da sie bereits vor Ort sind, wenn diese im Acker eintreffen. Nur wenn das schiefgeht, können die spezialisierten Nützlinge Schadensbegrenzung betreiben.“ Letztere seien in diesem Bild das Medikament, das erst dann eingesetzt werde, wenn die Krankheit bereits ausgebrochen ist.

Nachhaltige Landwirtschaft

Für die Umsetzung der neuen Erkenntnisse in die Praxis schwebt den beiden Forschenden nicht in erster Linie der Bereich der Biolandwirtschaft vor, deren Wert sie unisono betonen. „Bio ist großartig“, sagt Rennstam Rubbmark, „aber es funktioniert nur in bestimmten Landschaften, wo die Rahmenbedingungen optimal sind und nur in gewissem Ausmaß.“ Das sieht auch Wallinger so und ergänzt: „Die Vorstellung von unberührter Natur, die man völlig sich selbst überlässt und die sich automatisch reguliert, ist im Agrarbereich nicht umsetzbar. Um die Ernährung der Weltbevölkerung gewährleisten zu können, benötigen wir optimale Erträge und deshalb eine nachhaltige Bewirtschaftung der landwirtschaftlichen Flächen. Dafür braucht es ein funktionierendes, selbstregulierendes System.“ Die bisherige Strategie in der konventionellen Landwirtschaft beinhaltet intensive Düngung und Bodenbearbeitung sowie den Einsatz von Giften zur Schädlings- und Unkrautregulation. Doch dieser Zugang hat ein Ablaufdatum; in spätestens 40 bis 50 Jahren ist damit Schluss. Wir müssen uns also rechtzeitig Alternativen überlegen.

Verbesserung durch Grünstreifen

Und wie könnte künftig Pflanzenschutz mittels Laufkäfern konkret aussehen? Dem Bild vom Aussetzen gezüchteter Nützlingsschwärme erteilt Wallinger eine Absage: „Das funktioniert nur unter bestimmten Voraussetzungen, etwa in Glashäusern oder Gemüsetunneln.“ Eine einfache, effektive Maßnahme sind schmale Grünstreifen zwischen den Feldern, die unbewirtschaftet bleiben, sogenannte Beetle-Banks. „Dort finden sich erfahrungsgemäß besonders viele Laufkäfer. Die Tiere können von dort in die Felder einwandern und sich bei Bedarf auch wieder zurückziehen“, erklärt die Ökologin. Außerdem sei eine Reduktion des Einsatzes von Chemikalien Voraussetzung. Rennstam Rubbmark erinnert an den Artenreichtum der Käfer, die alle ein vergleichbares Nahrungsspektrum hätten. Das Auftreten der Arten sei jahreszeitlichen Schwankungen unterworfen und auch Störungen können dazu führen, dass einzelne Arten ausfallen. In einem funktionierenden System wäre immer eine Spezies da, welche die Regulation übernehmen kann. Die Biodiversität ist also einmal mehr ein entscheidender Faktor, auch bei Schädlings- und Unkrautregulation durch Laufkäfer.

Was denken die Bauern?

In einem Folgeprojekt, das kürzlich gestartet wurde und ebenfalls vom FWF finanziert wird, will sich das Team vom Institut für Zoologie nun auf EU-Ebene ansehen, wie das gewonnene Wissen in der Landwirtschaft in die Praxis umgesetzt werden kann. Es geht dabei um einen sozioökonomischen Zugang, bei dem mit Landwirt:innen und anderen Stakeholder:innen Kontakt aufgenommen wird, um ihre Perspektiven zu erfahren. Es ist entscheidend zu wissen, was die Landwirtschaft braucht, welche Ängste und Schwierigkeiten es gibt. Es zeigte sich bereits im Vorfeld, dass Landwirt:innen grundsätzlich offen für alternative Methoden wie Maßnahmen zur Förderung von Käferpopulationen sind. Es liegt auch nicht in ihrem Interesse, sich und ihre Felder zu vergiften oder die Böden auszulaugen. „Gerade ihnen ist sehr daran gelegen, gesundes Ackerland auch für künftige Generationen zu erhalten“, so Wallinger. In den vielen Jahren der Kooperation habe man bisher nur eine einzige Absage erhalten, alle anderen angefragten Betriebe waren offen für die Zusammenarbeit und sehr interessiert an den Forschungsergebnissen.

Zu den Personen

Corinna Wallinger ist Ökologin mit Fokus auf Interaktion von Pflanzen und Insekten. Sie forscht am Institut für Zoologie der Universität Innsbruck und hat gemeinsam mit Partner:innen ein Unternehmen gegründet, das sich auf Dienstleistungen im Bereich der DNA-Analyse konzentriert.

Oskar Ragnar Rennstam Rubbmark forscht ebenfalls am Institut für Zoologie der Universität Innsbruck und interessiert sich unter anderem für die Funktion des Ökosystems mit besonderem Fokus auf Insekten und ihre Rolle als natürliche Regulatoren von Schädlingen in der Landwirtschaft.

Das Projekt „Ökosystemleistungen von Laufkäfern“ hatte eine Laufzeit von fünf Jahren und wurde 2021 abgeschlossen. Die Fördersumme des Wissenschaftsfonds FWF betrug 348.000 Euro. Das Folgeprojekt „Nachhaltige Restaurierung von semi-natürlichen Habitaten (FRESHH)“ läuft im Rahmen des europäischen Partnerprogramms BiodivERsA seit März 2022 für drei Jahre und wird vom FWF mit 256.000 Euro kofinanziert.

(scilog.fwf.ac.at)

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