Wohnanlagen Andechsstraße

Wohnen am Park: Hier wurde die Einzugsbegleitung XL für Bewohner*innen erstmals angeboten.

Auf nach­hal­tige Nach­bar­schaft!

Urbane Nachhaltigkeit bedeutet mehr als die Umsetzung neuester technischer Wohnbau-Standards. Deshalb will man die Bewohner*innen städtischer Wohnanlagen mit einer umfangreichen Einzugsbegleitung für ein nachhaltiges Miteinander sensibilisieren. Wie das gelingt, untersucht Geograph Christian Obermayr mit seinem Team.

Energieeffiziente Wohnbaustandards sind nur die halbe Miete: Um Städte im Sinne der Nachhaltigkeitsziele der UN umweltfreundlicher, inklusiver und partizipativer zu gestalten, versuchen Initiativen in europäischen Städten auf unterschiedlichen Ebenen die urbane Bevölkerung zu einem nachhaltigeren Lebensstil zu motivieren. Eine davon ist die 2020 von der Geschäftsstelle für Bürger*innenbeteiligung der Stadt Innsbruck gestartete Einzugsbegleitung XL, ein aus mehreren thematischen Modulen bestehendes Workshop-, Informations- und Vernetzungsangebot für Bewohnerinnen und Bewohnern neuer, im Passivhausstandard errichteter städtischer Wohnanlagen. Die Idee dahinter: schon vor der Wohnungsübergabe ein Bewusstsein für umweltfreundliche Mobilität, energiesparende Wohnweisen, Mülltrennung und Abfallvermeidung sowie ein Gemeinschafts- und Nachbarschaftsgefühl zu schaffen. Um den Nutzen und Erfolg der Einzugsbegleitung zu evaluieren, haben Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler der Universität Innsbruck in Zusammenarbeit mit der Stadt Innsbruck das Projekt CASH, „Creating Awareness for Sustainable Housing“, aufgesetzt, das von Christian Obermayr aus der Arbeitsgruppe Entwicklungs- und Nachhaltigkeitsforschung am Institut für Geographie geleitet wird. „Im ersten Schritt ging es darum, geeignete Methoden zu definieren, um eine Wirkungsanalyse der Einzugsbegleitung durchzuführen“, erläutert Nachhaltigkeitsforscher Christian Obermayr. Die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler fragten dabei nach dem Effekt der bereits durchgeführten Einzugsbegleitung in der Wohnanlage „Wohnen im Park“ in Form von teilstrukturierten Interviews. „Dazu haben wir Stakeholder, wie beispielsweise die Moderator*innen der Maßnahme sowie Mitarbeiter*innen der Hausverwaltung und Anlagenbetreuung, zu relevanten Themen befragt“, erklärt Projektmitarbeiterin Elsa Ventruba. Dabei gab es bereits positive Rückmeldungen und Lob für die vergleichsweise gute Mülltrennung und das geringere Aufkommen an Nachbarschaftskonflikten, wodurch Kosten gesenkt werden und so sowohl die Hausverwaltung als auch die Bewohner*innen profitieren konnten. In den Interviews zeigte sich aber auch der Wunsch nach einer geregelten Finanzierung, einer Struktur vor Ort und lokale Ansprechpersonen für die Bewohner*innen, damit vergleichbare Maßnahmen auch langfristig durchgeführt werden können. 

Eine Frage des Formats

Weiters begleitete das Projektteam laufende Maßnahmen im Jahr 2022 im Campagne- Areal in der Innsbrucker Radetzkystraße sozusagen live. „Mithilfe einer teilstrukturierten Beobachtung haben wir die an den Veranstaltungen teilnehmenden Bewohnerinnen und Bewohner und deren Reaktionen auf die dargebotenen Inhalte und Formate erfasst“, erklärt Nachwuchswissenschaftlerin Marlene Benzinger und schildert beispielhaft folgende Beobachtung. „Die Moderator*innen der Module waren bemüht, interaktive Elemente in ihre Vorträge einzubauen, um den Austausch unter den Bewohner*innen zu fördern. Dies wurde zwar erwartungsgemäß zunächst nur zögerlich angenommen, allerdings zeigte sich nach Veranstaltungsende eine merkliche Steigerung der Interaktion unter den Bewohner*innen.“ Dies deuten die Wissenschaftler*innen als ersten Baustein für gute Nachbarschaft. Positiv wurde in der Beobachtung auch die Teilnahme der zuständigen Bauträger bzw. Hausverwaltungen wahrgenommen. „Nur so können Fragen zur Anlage und der Wohnung selbst direkt beantwortet werden und die Veranstaltung erhält eine höhere Relevanz“, lautet die Einschätzung aus dem Projektteam. Bleibenden Eindruck bei den teilnehmenden Bewohner*innen hinterließ auch die im Rahmen der Einzugsbegleitung durchgeführte Exkursion in das Recyclingzentrum Ahrental.

Detaillierte Erhebung

„Die Erkenntnisse aus diesen Beobachtungen sind besonders interessant, weil sie uns der Antwort auf die Kernfrage, welche Zielgruppe man wie am besten anspricht, näherbringen. Denn natürlich kann nicht jede Gruppe auf die gleiche Art und Weise erreicht werden“, stellt Christian Obermayr klar. Im Rahmen der städtischen Einzugsbegleitung wurde in einem Themenmodul vermittelt, was ein Passivhaus ist und wie man optimal darin wohnt. Dazu gab es jede Menge Expertentipps fürs Energiesparen, vom richtigen Einräumen des Kühlschranks bis hin zum Wäschetrocknen. „Man hat hier versucht, besonders die finanziellen Einsparungen als Anreiz hervorzuheben“, berichtet Obermayr. Andere Bewohner*innen-Gruppen, wie zum Beispiel Jugendliche, erreiche man über angepasste Formate, wie etwa mit einem Upcycling-Workshop, besser. Ein weiteres Messinstrument für die Wirkung der Einzugsbegleitung ist die für Ende Oktober angesetzte Befragung der Bewohner*innen der 118 Miet- und 53 Eigentumswohnungen des Areals „Wohnen am Park“ in der Andechsstraße, die nach wissenschaftlichen Kriterien nochmals untersucht, welchen Effekt die Einzugsbegleitung zwei Jahre nach der Durchführung hat und welche Themen sich tatsächlich im Alltag der Bewohner*innen verfestigt haben. „Hier wird sich zeigen, ob Bewohner*innen, die an der Einzugsbegleitung teilgenommen haben, andere Verhaltensweisen angenommen haben als jene, die keine Einzugsbegleitung erhalten haben“, hält Christian Obermayr fest. Was aus seiner Sicht definitiv in die richtige Richtung geht, sind Maßnahmen im Bereich soziale Nachhaltigkeit. „Maßnahmen, die darauf abzielen, Nachbarschaft und Gemeinschaft zu kreieren, sind in jeder Hinsicht positiv“, sagt der Wissenschaftler und hebt auch das in der Anlage im Campagne-Areal befindliche Stadteilbüro als Ort des Austauschs hervor.

Gut einziehen

Die von der Geschäftsstelle für Bürgerinnen- und Bürgerbeteiligung der Stadt Innsbruck unter Federführung von Elisabeth Meze entwickelte Einzugsbegleitung XL (EZB) wurde erstmals 2020 mit vier Modulen in den vom Wohnbauträger Neue Heimat Tirol GmbH errichteten Wohnanlagen „Wohnen im Park“ durchgeführt. 2022 wurden für die Wohnanlagen im Campagne-Areal fünf Module angeboten. Die Initiative wurde mit dem Hauptpreis in der Kategorie „Nachhaltige Kommune“ der Österreichischen Gesellschaft für Umwelt und Technik ausgezeichnet. Das vom Stiftungsfonds für Umweltökonomie und Nachhaltigkeit GmbH (SUN) und vom Förderkreis 1669 der Uni Innsbruck geförderte Projekt CASH wirft einen wissenschaftlichen Blick auf Erfolg und Nutzen der konkreten Maßnahmen.

Dieser Beitrag ist in der Oktober-Ausgabe von wissenswert, der Beilage der Universität Innsbruck zur Tiroler Tageszeitung erschienen.

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