Gruppenfoto mit sechs Personen im Kaiser-Leopold-Saal der Uni Innsbruck.

Dr. Friederike Stotten, Vizerektor Prof. Dr. Wolfgang Streicher, Prof. Dr. Markus Schermer, Prof. Dr. Martin Coy, assoz. Prof. Dr. Franz Eder (von links).

Abschied von Mar­kus Scher­mer

Ein zahlreiches Publikum füllte am Abend des 6. Oktobers 2022 den Kaiser-Leopold-Saal, um der Abschiedsvorlesung von Univ.-Prof. Dr. Markus Schermer beizuwohnen. Der ehemalige sowie bis vor wenigen Jahren stellvertretende Leiter des Instituts für Soziologie und Professor für Agrar- und Regionalsoziologie nutzte den Anlass, um neben der Reflexion seiner abwechslungsreichen beruflichen Laufbahn, die Notwendigkeit praktischer Erfahrungen für theoretische Perspektiven in der Wissenschaft hervorzuheben.

Nach den Grußworten von Vizerektor Wolfgang Streicher sowie der Laudatio von Univ.-Prof. Dr. Martin Coy widmete sich Markus Schermer in seinem Vortrag „Praktische Erfahrungen und theoretische Perspektiven in der Agrar- und Regionalsoziologie“ zunächst einer Betrachtung der Wandlungsprozesse, die seine Laufbahn begleiteten. Er skizzierte die Veränderungen der politischen, gesellschaftlichen, ökologischen oder ökonomischen Rahmenbedingungen für die Lebensmittelproduktion und Regionalentwicklung seit seines Studienbeginns in den 1970ern. Ein turbulentes Jahrzehnt, wie es Schermer beschreibt, denn die „wilden Siebziger“ waren Jahre des Umbruchs und trugen auch im agrarischen Kontext ihren Titel nicht umsonst. Die Mechanisierung, Spezialisierung und Rationalisierung der Agrarproduktion ermöglichten rasche Produktionsfortschritte, während im selben Akt die Endlichkeit von Ressourcen sowie Umweltprobleme immer augenscheinlicher wurden.

Schermer erzählte, wie durch Praktika in Israel und den USA seine Interessen an den globalen Auswirkungen von Modernisierung und der Finanzialisierung des Lebensmittelsystems geschürt wurden. Bereits hier begann sein roter Faden, der die Relevanz praktischer lebensweltlicher Erfahrungen für das persönliche wissenschaftliche Erkenntnisinteresse beschreibt. Zusammenhänge in der Globalisierung, Direktvermarktung als Motor für Regionalentwicklung, Entwicklungsarbeit und die bäuerliche Lebensrealität. Alle diese Interessen, Aktivitäten und Kenntnisse, so betonte Schermer, wären ihm ohne praktische Erfahrungen vorenthalten geblieben. Die Schilderungen des Professors zeugten von der Mannigfaltigkeit praxisbezogener Eindrucksmöglichkeiten, denn sie führten beispielsweise von einem Frühstück am Straßenrand im westafrikanischen Mali weiter zu Tätigkeiten in der Direktvermarktung und landwirtschaftlichen Beratung bis hin zu Langzeiteinsätzen bei Entwicklungsprojekten in Sambia.

Jene Erinnerungen an seinen „Sonderweg“ durch den Wandel der Zeit führten ihn schließlich zum wesentlichen Punkt seiner Vorlesung. Dieser bestand nämlich „keineswegs darin, die Bedeutung der Theorie kleinzureden, sondern die Bereicherung aufzuzeigen, welche praktische Erfahrung in der Lebenswelt, jenseits der akademischen Symbolik, für die Forschung und Wissenschaft bereithält“. Dabei scheinen die Facetten dieser Bereicherung grenzenlos, denn derartige Erfahrungen würden den wissenschaftlichen Themenhorizont, die Perspektivenvielfalt, die Art und Weise von Interdisziplinarität, Internationalität sowie Netzwerkbildung bei Forschungsprojekten und nicht zuletzt die praxisbezogenen Möglichkeiten für Studium wie Lehre erweitern.

Dies schnitt bereits sein abschließendes Plädoyer an, an der Universität sowie in der Wissenschaft und Forschung praktische Erfahrungen zu erlauben, zu fördern und Netzwerke mit AkteurInnen in der Praxis zu unterstützen. Abschließend sprach er dabei, in den Worten von Karl Marx, insbesondere die Soziologie an, denn: „Soziologie hat nicht nur die Aufgabe, die Welt zu interpretieren, es kommt darauf an, sie zu verändern!“ Als konkrete Handlungsanweisungen dafür riet er, „bei Stellenausschreibungen auch außer-akademische lebensweltliche Erfahrungen zu berücksichtigen und die Möglichkeit zu bieten, aus der Forschung in die Praxis sowie umgekehrt wechseln zu können“.

Im Ausklang wurde der Professor gebührend bei Speis und Trank gefeiert, wobei es sein persönlicher Höhepunkt des Abends war, so Schermer, „eine Vielzahl von anregenden Gesprächen mit all‘ den so zahlreich erschienen Menschen, geführt zu haben“. Ein denkwürdiger Abend für eine denkwürdige Persönlichkeit. Wir wünschen Ihnen alles Gute, Herr Professor!

(David Orru)

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