Ein Team um den Molekularbiologen Jerome Mertens will mithilfe neuer Methoden noch unbekannte Mechanismen von Alzheimer erforschen.
Ein Team um den Molekularbiologen Jerome Mertens will mithilfe neuer Methoden noch unbekannte Mechanismen von Alzheimer erforschen.

Neue Ein­blicke in Alz­hei­mer

Der Innsbrucker Molekularbiologe Jerome Mertens und sein Team benutzen neue Methoden, um die Entstehung von Alzheimer besser zu verstehen und mögliche Therapieansätze zu entwickeln.

Bei der Alzheimer-Krankheit, bei der Gehirnzellen nach und nach absterben, gibt es mittlerweile zwei bekannte Formen: die genetisch bedingte, vererbbare Form und die sporadisch auftretende Krankheit, für die es keine genetischen Indikatoren gibt. „Die genetisch bedingte, vererbbare Form der Alzheimer-Krankheit ist gut erforscht. Aufgrund des ähnlichen klinischen Bildes bei Erkrankten, die nicht über die entsprechenden Genmutationen verfügen, ging man lange davon aus, dass auch die ausschließlich im höheren Alter auftretende, sporadische Form von Alzheimer gleichen Prinzipien folgt“, erklärt Jerome Mertens, Arbeitsgruppenleiter am Innsbrucker Institut für Molekularbiologie. Ein Grund dafür ist, dass diese sporadische Form der Krankheit aufgrund fehlender „Krankheits-Gene“ schwer im Labor zu untersuchen ist. „Es gibt aufgrund der fehlenden genetischen Marker keine genetischen Tiermodelle und auch die seit Anfang der 2000er Jahre zur Verfügung stehende iPS-Methode (siehe Box), mit der es möglich ist, aus menschlichen Hautzellen Nervenzellen herzustellen, erlaubte keine Hinweise auf Unterschiede“, so der Molekularbiologe. Die iPS-Zellen waren ein Durchbruch für die Stammzell-Forschung. Bei dieser Methode gehen allerdings alle epigenetisch in den Zellen gespeicherten Informationen über das Alter verloren. „Wir erhalten mit dieser Methode zwar Nervenzellen des jeweiligen Patienten, diese befinden sich allerdings im Baby-Stadium“, erklärt Jerome Mertens. „Wenn wir aber verstehen wollen, was beim Altern überhaupt passiert und wie eine Interaktion zwischen Altern und altersbedingten Erkrankungen aussehen könnte, brauchen wir diese Informationen.“

Neue Methode

Gemeinsam mit seinem Team entwickelte der Molekularbiologe bereits vor einigen Jahren eine Methode, mit der im Labor menschliche Hautzellen zu Nervenzellen umprogrammiert werden können, die das epigenetische Alter der Spender erhalten. Bei diesem Modell der induzierten Nervenzellen (iN) transferieren die Wissenschaftler*innen Gene mittels Vektoren oder messenger-RNA in die in einer Petrischale kultivierten Hautzellen. „So bleiben anders als bei der iPS-Methode das Alter sowie alle anderen epigenetischen Informationen des Spenders erhalten, was uns ganz neue Möglichkeiten für unsere Forschungsfragen eröffnet“, erklärt der Molekularbiologe.

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Ähnlichkeiten zu Krebs

So fanden die Wissenschaftler*innen auf Basis ihrer bioinformatischen Analysen beispielsweise heraus, dass die Entstehung von Alzheimer ähnliche Mechanismen am Werk sind, wie sie auch bei der Entstehung von Krebszellen in anderen Geweben auftreten. „Wir glauben, dass Effekte, die zur Entstehung von Krebs führen, auch mit der Entstehung von Alzheimer zusammenhängen“, so Mertens. Schädigungen an Zellen, die zu Krebs führen können, passieren im menschlichen Körper täglich. Die Zellen sind allerdings so aufgebaut, dass sie sich – sehr vereinfacht gesagt – in diesem Fall selbst reparieren, erneuern oder vom Immunsystem ausgeschalten werden. Nur wenn in diesem Prozess etwas schief geht oder die Schädigungen überhand nehmen, entstehen Krebszellen. „Nervenzellen können sich aufgrund ihrer komplexen Verschaltungen nicht regenerieren oder abschalten – würden sie das tun, würden wir uns an Vieles nicht mehr erinnern“, verdeutlicht Mertens. „Deshalb ist diese Art der Zellen unglaublich gut dagegen gewappnet, zugrunde zu gehen. Das heißt aber nicht, dass sie gegen altersbedingte Schäden gewappnet sind, sie gehen nur anders damit um.“ Da die Signalwege, die bei altersbedingten Schäden in Nervenzellen aktiviert werden, denen, die bei der Entstehung von Krebs in somatischen Zellen beteiligt sind, ähneln, gehen die Wissenschaftler*innen davon aus, dass hier Zusammenhänge bestehen.

Alt versus jung

Diese Vermutung wurde auch in einer kürzlich veröffentlichten Studie der Molekularbiolog*innen bestätigt. Dabei untersuchten die Wissenschaftler*innen Hautzellen von Alzheimer-Erkrankten und verglichen diese mit einer Kontrollgruppe gesunder Menschen ähnlichen Alters. Der Vergleich der „alten Nervenzellen“ mit den epigenetisch gelöschten, die mittels iPS-Methode hergestellt wurden, zeigte zum einen klar, dass diese Form von Alzheimer mit dem Alter zu tun haben muss. „Die verjüngten Spenderzellen der Alzheimer-Erkrankten zeigten nahezu keine Hinweise auf eine spätere Erkrankung. Wir sahen in den iPS-Nervenzellen keine Unterschiede zwischen den Zellen der Erkrankten und denen der Kontrollgruppe“, beschreibt Mertens. „Welche altersbedingten Mechanismen die Anzeichen von sporadischem Alzheimer auslösen, gilt es nun herauszufinden.“ Die Analysen der Wissenschaftler*innen zeigten in den kranken Nervenzellen auch eine deutliche Herunterregulierung von reifen neuronalen Eigenschaften und eine Hochregulierung von unreifen Signalwegen. „Vor allem in der Gruppe der Signalwege, die bei den Erkrankten im Vergleich zur Kontrollgruppe hochreguliert waren, gab es eine verblüffende Ähnlichkeit zu aus der Krebsforschung bekannten Daten“, erklärt Jerome Mertens. Aufbauend auf diesen Ergebnissen wollen Mertens und sein Team nun versuchen, Erkenntnisse aus der Krebsforschung zu nutzen und mit ihrer Hilfe neue und zum Teil unerwartete Methoden zur Bekämpfung der Krankheit Alzheimer aufzuzeigen.

Klinische Studie

Inzwischen ist auch die Pharmaindustrie auf die Expertise des Innsbrucker Molekularbiologen aufmerksam geworden: Mertens und sein Team arbeiten bei einer Studie des amerikanischen Pharmaunternehmens CLENE mit, bei dem die Wirkung eines vielversprechenden Wirkstoffs – eine bestimmte Form von Nano-Goldpartikeln – auch bei Alzheimer untersucht soll. „CLENE befindet sich mit diesem Wirkstoff schon in der Phase 2 der klinischen Studien für den Einsatz bei der neurodegenerativen Erkrankung ALS. Als wissenschaftliche Partner sollen wir nun in den von uns entwickelten Modellen überprüfen, ob der Wirkstoff auch bei anderen neurodegenerativen Krankheiten wie Alzheimer oder Parkinson helfen könnte“, erklärt Mertens. Auch wenn die Entwicklung eines wirksamen Medikaments gegen Alzheimer noch einige Zeit dauern wird, ist der Molekularbiologe davon überzeugt, dass die neuen Methoden mit dem Einsatz von iPS-Zellen und induzierten Neuronen (iN) die Forschungsarbeit in diese Richtung stark vorantreiben werden.

 

Induzierte pluripotente Stammzellen (iPS-Zellen)
2006 gelang es dem Japaner Shin’ya Yamanaka durch künstliche Reprogrammierung aus somatischen Zellen, also Haut oder Blutzellen, jeder Person, pluripotente Stammzellen herzustellen. Diese Zellen, die den Zellen am Anfang der Entstehung eines Menschen in der Blastozyste ähneln, sind pluripotent, das heißt, sie können zu jedem Zelltyp im Körper umgewandelt werden. Shin’ya Yamanaka wurde für die Entwicklung dieser Methode 2012 mit dem Nobelpreis für Physiologie oder Medizin ausgezeichnet.

Dieser Beitrag ist in der Juni-2021-Ausgabe des Magazins „wissenswert“ erschienen. Eine digitale Version ist hier zu finden (PDF).

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