Militärnotfallkrankenhaus
Militärnotfallkrankenhaus während der Spanischen Grippe in Kansas.

Nicht mit histo­­rischen Seuchen ver­­gleich­bar

Die Erreger der aktuellen Corona-Pandemie mit jenen der Spanischen Grippe oder anderen früheren Epidemien zu vergleichen und deren Infektionszahlen gegenzurechnen, ist sinnlos, erklärte die Medizinhistorikerin Elisabeth Dietrich-Daum der APA. Stattdessen solle man soziale Reaktionen untersuchen, mit denen man solche Krisen bewältigte und altbewährte Maßnahmen wie Quarantäne schätzen.

Immer wenn nicht sofort ein Heilmittel zur Hand ist, wären solche „alten Quarantänemaßnahmen“ unumgänglich, sagte Dietrich-Daum, die am Institut für Geschichtswissenschaften und Europäische Ethnologie der Universität Innsbruck forscht. Begonnen haben die Menschen damit schon zur Zeit des Aussatzes (Lepra), wiederaufgenommen wurden sie gegen die Pest. Auch im unter Kaiserin Maria Theresia erlassenen„Sanitätshauptnormativ“ wurden sie 1770 ausdrücklich beschrieben. Die wichtigsten Methoden seit ehedem seien: Quarantäne, Isolierung, Distanz halten zu anderen Personen und eine Meldepflicht von Erkrankungs- und Todesfällen, so die Expertin. Auch das Händewaschen, das genau so einfach wie wirkungsvoll ist, wäre„nichts Neues“. 

Vergleich mit Spanischer Grippe „nur bedingt“ möglich

Mit früheren Pandemien wie der Spanischen Grippe (die von einem besonders aggressiven Influenza Viren-Typ ausgelöst wurde, sich Ende des Ersten Weltkriegs verbreitete und 25 bis 50 Millionen Todesopfer bei einer Weltbevölkerung von 1,65 Milliarden Menschen forderte) wäre die aktuelle Corona-Pandemie „nur bedingt vergleichbar“. Es handelt sich zwar bei beiden um schwere Lungenkrankheiten, die viele Todesfälle fordern, doch die Begleitumstände der beiden Pandemien wären völlig unterschiedlich.

„Damals war Weltkrieg, und Kriegsziele waren immer vordergründig“, so Dietrich-Daum. Soldaten wurden in Eisenbahnen und Schiffen zusammengeballt verfrachtet, und wenn einer von ihnen erkrankt war, steckte er die gesamte Truppe an. „Die Quarantäne und Isolierungsmaßnahmen, die Regierungen in ganz Europa ergriffen haben und die der Eindämmung der Corona-Pandemie dienen, waren im Ersten Weltkrieg nicht möglich", sagte sie: „Wir haben heute außerdem einen guten Ernährungszustand, was damals in den USA und vor allem den Schützengräben in Europa nicht der Fall war". Außerdem würden die meisten Staaten gut miteinander kommunizieren: „Experten wie Virologen und Statistiker können jetzt zum Beispiel überlegen, was in den kommenden Wochen passieren wird“, so die Medizinhistorikerin: „Wir haben also massive Vorteile gegenüber dieser Zeit und diese müssen die Staaten jetzt nutzen.“

Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) sei in der aktuellen Krise „relativ leise“, meint Dietrich-Daum: „Ich hätte mir erwartet, dass sie profilierter und stärker auftritt und zum Beispiel sagt: Es ist wesentlich, dass sich die EU auf eine gemeinsame Strategie einigt, und dass sich die Epidemie nicht Richtung Afrika und in die Flüchtlingslager ausbreitet.“ Es müssten auch Botschaften von den Regierungen kommen, wie man etwa die Menschen an der griechisch-türkischen Grenze und auf der Insel Lesbos schützen will.

Vergessene Kinderlähmungs-Ausbrüche

Eine andere wichtige Epidemien-Serie hätten schon viele vergessen, obwohl sie auch die Menschen in Österreich traumatisierte: Die Kinderlähmungs(Poliomyelitis)-Ausbrüche 1947 und 1957/58. Diese passierten vor Einführung der Polio-Impfungen: Die erste Generation der Impfstoffe, die sogenannte „Salk-Impfung“ war erst 1958 in Österreich verfügbar, und die „Schluckimpfung nach Sabin“ ab 1962. „Davor sind nicht nur sehr viele Kinder und Erwachsene gestorben, sondern durch diese Epidemien gab es auch sehr viele schwer behinderte Menschen“, erklärte die Forscherin. Genau so wie bei der Corona-Pandemie hätten die Kinderlähmungs-Ausbrüche alle Bevölkerungsklassen getroffen, im Unterschied zu früheren Tuberkulose-Wellen.

„Die Mittelschicht war 1958 fast panisch, dass die eigenen Kinder an der Seuche erkranken konnten“, sagte Dietrich-Daum. Diese Angst und Traumatisierung wäre auch an der damals „überwältigenden“ Nachfrage zur Schluckimpfung erkennbar: „Impfaufrufe der Regierungen, der Bezirks- und Schulärzte waren ein durchschlagender Erfolg und eine unglaublich schnelle Durchimpfungsrate wurde erreicht, obwohl der Impfstoff neu war“. Offenbar gab es einen enormen Bedarf wegen großer Angst vor der Krankheit. Durch die konsequente Durchimpfung der Bevölkerung wurde das Virus schließlich bis 2002 in Europa ausgerottet.

In der aktuellen Situation, wo die „Impffreudigkeit“ zum Beispiel bei Masern enorm zurückgegangen ist, sei es spannend zu beobachten, wie die Maßnahmen gegen die Corona-Pandemie, die in nächster Zeit „noch einen Dreh schwerer werden könnten“, angenommen werden, meint sie. Derzeit scheine es so, als ob die Menschen Argumente, die sie etwa gegen die Masernimpfung vorbrachten, bereitwillig beiseite schieben und die angeordneten Maßnahmen annehmen.

(APA Science)

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