Schema eines chemischen Reaktionsmechanismus
Drei erstaunlich unterschiedliche Reaktionsmechanismen zeigen sich bei der Kollision von Halogenen mit komplexen Molekülen.

Komplexe Chemie unter dem Ver­größe­rungs­glas

Viele chemische Reaktionen sind eine Abfolge von sehr komplexen Prozessen, die bis heute nicht vollständig verstanden sind. Ein Team um Roland Wester hat nun erstmals verschiedene Reaktionsmechanismen bei der Kollision von relativ großen Molekülen mit Ionen auf atomarer Ebene direkt beobachtet. Sie berichten darüber in der Fachzeitschrift Journal of the American Chemical Society.

Vor drei Jahren konnten Physiker um Roland Wester am Institut für Ionenphysik und Angewandte Physik erstmals direkt beobachten, ob organische Verbindungen, die mit Halogen-Ionen kollidieren, eine nukleophile Substitutionsreaktion oder eine Eliminierungsreaktion eingehen. Bei der Substitutionsreaktion bindet das Ion an das Molekül und dieses stößt das bisher gebundene Halogenatom ab, bei der Eliminierungsreaktion schlägt das Ion ein Wasserstoffatom aus der Methylgruppe und fliegt damit davon. Die Innsbrucker Forschungsgruppe nutzt für ihre Untersuchungen ein einzigartiges Experiment, mit dem Ionen und Moleküle zur Reaktion gebracht und dabei beobachtet werden können. So lässt sich ein völlig neuer Blick auf chemische Reaktionen werfen und deren Dynamiken besser verstehen. Ihre experimentellen Daten stoßen auf sehr reges Interesse von Theoretikern aus der ganzen Welt.

Große Moleküle bringen neue Erkenntnisse

Auf der Basis ihrer Daten konnten sie nun für die bisher komplexesten organischen Moleküle mit 15 Atomen (tert-Butyl Halogenide) die Reaktionsmechanismen charakterisieren. Aufgrund der Geometrie des Moleküls kommt es hier nur zu Eliminierungsreaktionen. Dabei zeigen sich allerdings drei erstaunlich unterschiedliche Reaktionsmechanismen. Bei niedrigen Energien werden die Reaktionsprodukte entlang der Kollisionsachse nach vorne und nach hinten geschleudert. „Die Theorie ist immer schon davon ausgegangen, dass es diesen Mechanismus geben muss“, erklärt Erstautorin Jennifer Meyer. „Wir konnten ihn nun erstmals auch direkt nachweisen.“ Der Effekt zeigt sich in den Daten vor allem deshalb, weil das Molekül ausreichend groß für diese Dynamiken war. Die beiden anderen Mechanismen konnten die Forscher bereits bei früheren Analysen beobachten. In der nun im Fachblatt Journal of the American Chemical Society erschienen Arbeit zeigen die Forscherinnen und Forscher auch, dass der Übergangszustand der Reaktion besonders langlebig ist.

Weitere Analysen in Vorbereitung

In dem Kreuzstrahl-Experiment messen die Innsbrucker Molekülphysiker die Geschwindigkeitsverteilung der Reaktionsprodukte und schließen daraus auf die Dynamiken der chemischen Reaktion. So können sie durch Mustererkennung rein optisch die Abläufe auf atomarer Ebene analysieren. Diese Plattform bietet weitreichende Möglichkeiten für die weitere Analysen komplexer chemischer Reaktionen. Auf Basis neuer theoretischer Arbeiten und bisher unveröffentlichter Daten wollen die Physiker um Roland Wester in Kürze weitere Untersuchungen mit einer neuen Gruppe von Molekülen durchführen.

Die Studie wurden unter anderem vom österreichischen Wissenschaftsfonds FWF und der Österreichischen Akademie der Wissenschaften finanziell unterstützt.

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