Porträtfoto Heinrich Lammasch
Heinrich Lammasch

Zur Erinne­rung an Hein­rich Lam­masch

Ein Vortrag von Dieter Köberl (Wien) und ein von Ulrike Tanzer moderiertes Podiumsgespräch mit Gerhard Oberkofler, Sigurd Paul Scheichl, Martin Schennach und Werner Wintersteiner (Klagenfurt) im Forschungsinstitut Brenner-Archiv erinnerte an den Rechtsgelehrten, Pazifisten und letzten k.k. Ministerpräsidenten.

Heinrich Lammasch (* Seitenstetten 1853 – † Salzburg 1920) war von 1885 bis 1889 ordentlicher Professor für Strafrecht, Völkerrecht und Rechtsphilosophie an der Universität Innsbruck und von 1889 bis 1914 ordentlicher Professor für Strafrecht, Rechtsphilosophie und Völkerrecht an der Universität Wien. 1899 wurde er Mitglied des Herrenhauses. Lammasch war in den letzten Jahrzehnten der Monarchie der führende Strafrechtsgelehrte in Österreich und die treibende Kraft bei der Strafrechtsreform. Seine Monographie Auslieferungspflicht und Asylrecht (1887) führte zu seiner Wahl in das Institut de Droit International in Gent. Internationale Reputation erlangte er auch durch seine Tätigkeit als wissenschaftlicher Berater der österreichischen Delegation bei den Internationalen Friedenskonferenzen in Den Haag  (1899 und 1907) und als Präsident des dortigen Ständigen Internationalen Schiedsgerichtshofes von 1900 bis 1910. Im Juni 1914 wurde er an der Universität Oxford mit einem Ehrendoktorat ausgezeichnet.

Lammasch warnte vor der zu engen Anlehnung Österreichs an das Deutsche Reich und sah darin die größte Gefahr für den Frieden, nachdem er erlebt hatte, dass die Repräsentanten des Deutschen Reiches bei der Zweiten Friedenskonferenz in Den Haag eine Schiedsgerichtspflicht bei Konflikten verhinderten. In diesem Punkt war er am ehesten einer Meinung mit Bertha von Suttner, die er von 1901 bis 1905 für den Nobelpreis vorgeschlagen hatte, obwohl er ihrem eher emotional, denn rational begründeten Pazifismus misstraute. Realistischer als sie und ermutigt durch seine erfolgreiche Tätigkeit in Den Haag galten all seine Bemühungen dem Ausbau des Völkerrechts und internationaler Institutionen.

Im Sommer 1914 warnte er vor der drohenden Eskalation zum Krieg. Nach dessen Ausbruch verfiel er nicht der Kriegspsychose (bis 1916 wurde die Kriegspolitik ja auch von den Sozialdemokraten unterstützt), sondern warb in einer Atmosphäre des Hasses für die gegenseitige Achtung der Nationen und einen tiefgreifenden Frieden, nicht bloß zwischen den Regierungen, sondern auch zwischen den Völkern. In den Jahren 1917 und 1918 hielt Lammasch im wieder einberufenen Herrenhaus drei Reden, in denen er sich für einen Verständigungsfrieden einsetzte: „Hören Sie darum meine Herren auf die Stimme der Menschlichkeit, auf die Stimme der Vernunft, auf die Stimme der Christenheit. Der sogenannte Siegfriede wäre nur ein fauler Friede, ein Waffenstillstand vor einem noch gewaltigeren und entsetzlicheren Waffengang.“ Seine Reden wurden von zahlreichen Anfeindungen und Zwischenrufen begleitet wie „Wir wollen Krieg und Sieg!“, die geforderte Distanzierung vom expansionistischen Bündnispartner Deutschland wurde als Verrat angesehen.

Das mutige Auftreten von Lammasch gegen seine eigene Klasse machte aber einen starken Eindruck. Karl Kraus bezeichnete ihn als Patrioten im tieferen Sinn und brandmarkte die politische Führung als die eigentlichen Hochverräter. Karl Renner stellte später fest, dass Lammasch mit seinen Warnungen recht gehabt hatte, aber damals nur Spott und Verwünschung erntete. Für Josef Redlich ist er der moralische Sieger geblieben, während alle Parteien versagt hätten. Hermann Bahr rühmte in seinem Nachruf, wie sehr der eine Mann den Verleumdungen der Kriegspatrioten standgehalten hat. 

Im Oktober 1918 wurde Lammasch zum letzten k.k. Ministerpräsidenten ernannt. An eine Rettung der Monarchie war nicht mehr zu denken, aber Kaiser Karl konnte zum Verzicht bewegt werden und eine friedliche Übergabe der Amtsgeschäfte gelang. Lammasch empfahl seinem klein gewordenen Vaterland einen neutralen Status nach dem Vorbild der Schweiz und entwickelte Vorschläge für eine europäische Friedensordnung im Rahmen des Völkerbunds. Im Folgejahr nahm er als Sachverständiger an der Friedenskonferenz in St. Germain teil.

Nach dem Ersten Weltkrieg war das Weltkriegsgedenken zunehmend von Verdrängung, Verharmlosung und der Dolchstoßlegende bestimmt, zahlreiche sog. Heldendenkmäler entstan­den. Eine anationale Persönlichkeit wie Heinrich Lammasch, die unbeirrt gegen den Krieg und gegen Völkerrechtsverletzungen aufgetreten war, die sich für internationale Institutionen, die friedliche Auflösung der Monarchie, die Errichtung einer unabhängigen, neutralen Republik und die Etablierung einer weltweiten Friedensordnung einsetzte, geriet in der Zeit des erstarkenden Nationalismus und Revanchismus zunehmend in Vergessenheit. Sein Tod im Jänner 1920 fand nur geringe Beachtung, Stefan Zweig berichtet erschüttert von dem Begräbnis mit nur fünf Trauergästen: „So begräbt man die Besiegten unsterblicher Ideen. Mir bleibt für immer ein Ekel vor jeglicher Politik“. Karl Kraus äußert in seinem Nachruf den Wunsch, „dass die Zeit, die seines Lebens nicht würdig war, durch sein Andenken Ehre gewinnen möge“. Ein Wunsch, der bis heute offen ist!

(Dieter Köberl)

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