Die bestmögliche Bildung für jedes einzelne Kind: Das Ziel, das sich die Partnerinnen und Partner mit der „Modellregion Bildung Zillertal“ gesteckt haben, ist bewusst ambitioniert. Die Modellregion (siehe Kasten rechts) besteht im engsten Sinn aus den sieben Neuen Mittelschulen (NMS) im Zillertal und wird von Prof. Christian Kraler und Mag. Livia Rößler, beide vom Institut für LehrerInnenbildung und Schulforschung der Uni Innsbruck, seit dem Start im Schuljahr 2014/15 wissenschaftlich begleitet. „Ein zentraler Begriff in der aktuellen Diskussion ist jener der Bildungsgerechtigkeit“, sagt Christian Kraler. „Vereinfacht geht es darum, jede Schülerin und jeden Schüler optimal auf dem Bildungsweg zu begleiten, unabhängig vom jeweiligen sozialen oder finanziellen Hintergrund.“
Fokus auf Stärken
Alle kennen das aus der eigenen Schulzeit: Unterricht ist traditionell fehlerfokussiert, Lehrerinnen und Lehrer korrigieren Fehler in Schüleraufgaben. „In der Modellregion wollen wir ein Stück weit weg von dieser Fehlerkultur“, erklärt Livia Rößler, die im Rahmen der wissenschaftlichen Begleitung der Modellregion ihre Doktorarbeit schreibt. Um das zu erreichen, erarbeiten die Schülerinnen und Schüler in der 1. Klassen der NMS ein sogenanntes Stärkenportfolio, in dem ihre Stärken und Potenziale systematisch dargestellt werden. „Mit entsprechenden Kursen wurden die Unterrichtenden vorab dabei unterstützt, diesen Prozess anzuleiten“, sagt Christian Kraler. Am Ende des Schuljahres veranstalten die Schulen jeweils einen Stärketag, an dem sich die Schülerinnen und Schüler einem großen Publikum präsentierten. „Zu diesem Stärketag sind auch die vierten Klassen der Volksschulen gemeinsam mit ihren Lehrern bzw. Lehrerinnen eingeladen, was wiederum zu einer Verbesserung der Nahtstelle zwischen den beiden Schultypen führte“, erklärt Livia Rößler. „Eine der Volksschulen im Zillertal arbeitet inzwischen zudem selbst mit Stärkeportfolios. Der Ansatz hat ihnen zugesagt, das freut uns natürlich sehr.“
In den weiteren Schulstufen wird dieses Portfolio vertieft: Die Kompetenzwerkstatt in der 6. Schulstufe dreht sich um die Frage, wie der einzelne Schüler und die einzelne Schülerin erfolgreich lernt. „Um dem gerecht zu werden, braucht es einerseits Lehrende, die sich im Klaren darüber sind, was mit Kompetenz gemeint ist und was es für Schülerinnen und Schüler bedeutet, in Englisch, Deutsch und Mathematik kompetent zu sein. Andererseits geht es darum, aufzuzeigen, wie Kompetenzentwicklung durch Aufgabenstellungen und ihre Bearbeitung im Unterricht ermöglicht werden kann“, sagt Livia Rößler. Davon ausgehend wurden unter der Leitung von Franz Niedertscheider (Pädagogische Hochschule Tirol) in Kooperation mit dem Forschungsteam der Uni bedarfsgerechte, schulübergreifende Weiterbildungen in den Fächern Mathematik, Deutsch und Englisch ausgearbeitet. In der 7. und 8. Schulstufe wird darauf weiter aufgebaut: Die Schülerinnen und Schüler werden sich über ihre Fähigkeiten klar und erhalten Feedback darüber, sie erarbeiten Ziele und planen ihren Weg dorthin. Darüber hinaus setzt sich die wissenschaftliche Begleitung auch mit dem Freizeitverhalten der Jugendlichen auseinander. „Bildung findet nicht nur im Kontext Schule statt, sondern auch im außerschulischen Bereich. Deshalb hat uns vor allem das außerschulische Verhalten der Jugendlichen interessiert. Gemeinsam mit Lehramtsstudierenden haben wir Workshops in allen sieben NMS veranstaltet und dabei mit rund 150 Schülerinnen und Schülern gearbeitet“, erklärt Livia Rößler.
Vernetzung
„Neben dieser Ressourcen- und Stärkeorientierung ist die Vernetzung ein zentraler Aspekt: Sowohl die einzelnen Schulstandorte untereinander tauschen sich systematisch aus, als auch die Schulen mit dem gesamten Umfeld“, nennt Christian Kraler einen weiteren Gelingensfaktor. Auch die Erziehungsberechtigten spielen eine wichtige Rolle: Sie sind über regelmäßige Gespräche mit Lehrkräften und ihren Kindern eng eingebunden – ein Instrument, das die NMS-Reform geschaffen hat und von dem die Modellregion profitiert. „Ausgangspunkt für die Entwicklung der einzelnen Schulstandorte sind Entwicklungsporträts, in denen wir gemeinsam mit den Schulen deren Stärken und auch Bereiche, die verbessert werden können, ausgemacht haben“, sagt Livia Rößler. Abgestimmt mit den Vorhaben der Schulaufsicht im Bezirk gelingt es dadurch, Schulentwicklung regionaler und vernetzter anzugehen. In der ersten regionalen Bildungskonferenz am 28. April 2017 kamen alle Bildungspartner der Region ins Gespräch, Wirtschaft, Politik, Vereine, Gemeindevertretungen, Bildungsverwaltung, Bildungspolitik und Schulen lernen voneinander. Gemeinsam wurde über zukünftige Wege im Bildungsbereich der Region debattiert. „Wir wollen hier einen Prototypen für gelungene regionale Schulentwicklung schaffen und wir denken, das ist gelungen“, sagt Christian Kraler: „Nicht zuletzt, weil die Zusammenarbeit mit allen Partnerinnen und Partnern hervorragend funktioniert und alle hinter dem Projekt stehen, angefangen bei der zuständigen Landesrätin Beate Palfrader bis hin zum einzelnen Schüler.“ Die Modellregion Bildung Zillertal ist österreichweit derzeit einzigartig. Demnächst soll der Versuch auch um eine Oberstufenform erweitert werden, wie Christian Kraler berichtet: „Unsere Bildungs-Landesrätin konnte bei der Konferenz erfreulicherweise von positiven Signalen aus dem Ministerium berichten.“
Modellregion Bildung Zillertal
Die sieben Neuen Mittelschulen (NMS) im Zillertal, zwei in Fügen und je eine in Stumm, Zell am Ziller, Hippach, Mayrhofen und Tux, sind seit dem Schuljahr 2014/15 Teil der Modellregion Bildung Zillertal. Viele Unterrichts-Instrumente, die mit der Einführung der NMS ermöglicht wurden, werden hier prototypisch für eine gesamte Region umgesetzt und von der Universität Innsbruck wissenschaftlich begleitet; die Projektstelle von Livia Rößler wird vom Land Tirol gefördert und wurde dafür an der Universität eingerichtet. Im Steuerungsteam der Modellregion sind die Abteilung Bildung des Landes Tirol (finanzielle/bildungspolitische Verantwortung), der Landesschulrat für Tirol (Dr. Werner Mayr, pädagogische Verantwortung), die Universität Innsbruck (Leitung wissenschaftliche Begleitung – Forschung und Evaluation) und Pädagogische Hochschule Tirol (begleitenden Fort- bzw. Weiterbildungskonzepte und Beratungsangeboten für die Schulen und Unterrichtenden) verankert. Zentraler Ansatzpunkt des Projektes ist die Arbeit mit den Schulen und ihren Schülerinnen und Schülern, den Lehrerinnen und Lehrern, Schulleitungen sowie ihren Eltern bzw. Erziehungsberechtigten. Zudem kooperieren die Verantwortlichen eng mit den Volksschulen und weiterführenden Schulen, außerdem sind Gemeinden, politische Institutionen und Wirtschaftsbetriebe der Region eng eingebunden.
Dieser Artikel ist in der Juni-Ausgabe des Magazins „wissenswert“ erschienen. Eine digitale Version ist hier zu finden (PDF).